Deutschland entwickelt sich in rasantem Tempo zur Zentrale der
weltweiten Friedensbewegung, die erst kürzlich wieder Zulauf von
prominenten Unterstützern wie dem Papst erhielt. Schon liebäugeln
der Bundeskanzler und sein Verteidigungsminister offen mit einem
klaren "Nein", sollte es zu einer weiteren Abstimmung im
UN-Sicherheitsrat kommen, während sich die Grünen nach Angaben der
FAZ an die "Spitze der Bewegung" zu stellen gedenken.
Flankierend entdecken derweil Zeitungskommentatoren wie Michael
Neumann in der Zeit und Rolf Paasch in der Frankfurter Rundschau die
Vorzüge von "Containment" und "Appeasement". Mit dem irakischen
Präsidenten könne man, etwas guten Willen vorausgesetzt, durchaus
sprechen, schließlich, so Paasch, habe er Vernunft, wenn auch eine
zynische bewiesen, als er zwar die eigene kurdische Bevölkerung mit
Gas angriff, nicht aber das "wehrhafte Israel".
Anders aber als die Deutschen, die bislang über einen regime
change in Bagdad nicht einmal reden wollen, vertrauen die
Nachbarstaaten des Irak, allen voran Saudi-Arabien und die Türkei,
längst nicht mehr auf die "Vernunft" des irakischen Präsidenten und
suchen fieberhaft nach einer Möglichkeit, ihn ohne eine
amerikanische Intervention aus seinem Amt zu entfernen. Seit Wochen
herrscht eine hektische Pendeldiplomatie zwischen Ankara, Riad und
Kairo. Sowohl der neue türkische Ministerpräsident Abdullah Gül als
auch die saudische Regierung streuen Gerüchte, sie versuchten Saddam
Hussein zum Rücktritt zu bewegen oder bereiteten gar einen Putsch
des Militärs vor.
Die Regierungen beider Länder, die noch immer eng mit den USA
alliiert sind, fürchten vor allem die für sie negativen Auswirkungen
der von den USA angestrebten Nachkriegsordnung im Irak. Voller Sorge
verfolgen die kemalistischen Eliten der Türkei, welche Rolle die
irakischen Kurden inzwischen bei der Planung dieser Ordnung spielen;
offenbar betrachten die USA die Parteien Puk und KDP nicht mehr nur
als "Separatisten", mit denen die Zentralregierung in Bagdad
destabilisiert werden kann, sondern als wichtigen Stabilitätsfaktor.
Ein föderaler, nicht arabischer Irak aber wäre ein Vorbild auch für
die inzwischen in Kadek umbenannte türkisch-kurdische Partei PKK,
die nun versucht, mit den USA ins Gespräch zu kommen.
Zum Missfallen Washingtons hat sich die türkische Regierung nicht
nur deutlich gegen einen Krieg ausgesprochen, selbst die
militärische Zusammenarbeit will sie auf ein Minimum begrenzen. Bei
einem Putsch, so hofft man in Ankara, könnten, anders als im Falle
eines Regimewechsels im Sinne der irakischen Opposition, die
bestehenden Herrschaftsstrukturen im Irak weitgehend erhalten
bleiben und es könnte auch der wachsende Einfluss der Kurden wieder
zurückgedrängt werden.
Ähnliche Überlegungen bestimmen auch die Politik Saudi-Arabiens.
Sollte sich der Irak in ein amerikanisches Einflussgebiet
verwandeln, böte sich den USA die Chance, ihre Bindungen an das
Königshaus der Sauds zu lockern. Spätestens seit dem 11. September
2001 steht die saudisch-amerikanische Allianz in Frage, stammen doch
die meisten Gelder für den weltweiten Jihad ebenso wie 15 der 19
Attentäter aus der Ölmonarchie. Auch die in Saudi-Arabien lebenden
und unter den Repressalien des sunnitisch-fundamentalistischen
Königshauses leidenden Schiiten verfolgen mit Interesse, welche
Rolle schiitische Parteien innerhalb der irakischen Opposition
spielen.
Der Vormarsch des Jihadismus im Nahen Osten unter der Patronage
Saudi-Arabiens stellt zugleich den wohl wichtigsten Grund dar, warum
die USA einem Putsch im Irak skeptisch, wenn nicht ablehnend
gegenüberstehen. Zwar mögen einige Repräsentanten des Militärs, der
CIA und auch des Außenministeriums diese Lösung strategisch
favorisieren, politisch wäre sie eine Niederlage der Regierung Bush
und vor allem jener "Falken", die eine völlige Neuordnung des Nahen
Ostens anstreben.
Um glaubwürdig zu bleiben, muss Bush deshalb, nachdem er den
zuvor nur schwelenden Konflikt mit dem Irak derart hat eskalieren
lassen, nun auch Saddam Hussein mittels amerikanischer Truppen
stürzen, das meint zumindest der Informationsdienst Stratfor
Institute.
Nur so hätten die USA die Möglichkeit, nicht nur dem
Panarabismus, sondern auch der islamistischen Bewegung eine
nachhaltige Niederlage zu versetzen. Schließlich verkündet al-Qaida
seit Jahren, die USA seien schwach, ein Papiertiger, der so einfach
zu besiegen sei wie die Sowjetunion in Afghanistan. Ein mit den USA
alliierter Irak wäre zudem die ideale Operationsbasis für Einsätze
gegen das Netzwerk al-Qaida. Ein Putsch in Bagdad würde diese
Planungen zunichte machen und die USA zwingen, ihre Allianz mit den
Saudis weiter aufrechtzuerhalten.
Auch die irakische Opposition lehnt einen Putsch ab, der die
alten baathistsichen Eliten an der Macht ließe. Ein Vertreter der
Irakischen Kommunistischen Partei in Syrien kündigte für diesen Fall
landesweite Volksaufstände gegen eine derartige "neue" Regierung an.
Mit Aufständen rechnet auch Saddam Hussein, der offenbar den Norden
und Süden des Landes schon abgeschrieben hat, einen Gang ins Exil,
der einen Krieg verhindern würde, aber weiterhin abzulehnen scheint.
In einer Rede zum Jahrestag des Beginns des zweiten Golfkrieges
schwor er vielmehr die Bevölkerung Bagdads auf einen blutigen Kampf
gegen die USA ein, die er als "neue Mongolen" bezeichnete.
Militärisch scheint sich die irakische Führung darauf zu
konzentrieren, die Hauptstadt und Saddams Geburtsort Tikrit im so
genannten sunnitischen Dreieck zu verteidigen. Nach Aussagen Jassem
Abdullahs, eines kürzlich nach Jordanien geflohenen Leibwächters des
Präsidenten, hat Saddam Hussein seine verbliebenen
Massenvernichtungswaffen an diesen Orten unterirdisch eingelagert.
Angeblich wissen auch die USA über die Verstecke Bescheid,
weigern sich aber bislang, ihre Informationen weiterzugeben,
einerseits um ihre irakischen Informanten zu schützen, andererseits
weil sie den Franzosen und den Russen misstrauen. Da inzwischen die
Mehrheit der US-Amerikaner aber einem Krieg nur dann zustimmt, wenn
es den UN-Inspekteuren gelingt, die Existenz von
Massenvernichtungswaffen wirklich nachzuweisen, sieht sich die
Regierung genötigt, ihre angeblich sicheren Informationen nun auch
weiterzuleiten.
Derweil bereiten sich nicht nur Israel, sondern auch die
irakisch-kurdische Regionalregierung auf den Krieg vor. Neben dem
Bau von Notauffanglagern für Flüchtlinge aus dem Zentralirak
versucht sie mit Unterstützung internationaler Hilfsorganisationen
Vorsorge für den Fall eines Angriffes irakischer Truppen zu treffen.
Denn im kurdischen Nordirak ist man sich sicher, dass Saddam Hussein
über Giftgas verfügt und auch bereit ist, es erneut gegen die Kurden
einzusetzen.
Diese Schutzmaßnahmen der Kurden werden von Deutschland nicht
unterstützt. Das Auswärtige Amt bezeichnet den Nordirak weiter als
"sichere Fluchtalternative" für abgelehnte irakische Asylbewerber.
Der deutsche NGO-Dachverband Venro, dem die meisten großen
Hilfsorganisationen angehören, stellte sich nach einem Treffen mit
Heidemarie Wieczorek-Zeul, der Ministerin für wirtschaftliche
Zusammenarbeit, dennoch hinter die Bundesregierung, von Giftgas war
nicht die Rede.