Zu den Misshandlungen in irakischen Gefängnissen:
Der Irak ist nicht Abu Ghraib
Im Irak tätige deutsche
Hilfsorganisation warnt vor pauschalen Verurteilungen und fordert
ein stärkeres Engagement beim Aufbau ziviler Strukturen im Irak
"Der Irak ist nicht Abu Ghraib", erklärt die
deutsche Hilfsorganisation WADI, die nach wie vor im Irak tätig ist.
Die Bilder von Misshandlungen und Demütigungen von Gefangenen im
Gefängnis Abu Ghraib seien schockierend. Eine Entschuldigung reiche
angesichts der Tatsache, dass sich die Täter über Monate sicher
genug wähnten, ihre Misshandlungen zu dokumentieren, nicht aus.
Vielmehr müssten deutliche Schritte unternommen
werden, die Situation von Häftlingen vor Ort zu verbessern.
Gefangene im Irak dürften nicht vom Wohl und Wehe von
Gefängniswärtern, privaten Sicherheitsdiensten und Soldaten abhängig
sein. Dies schließe nicht nur Misshandlungen und Folter aus, sondern
erfordere auch das Recht von Gefangenen auf Verteidigung und den
unbehinderten Zugang von Verteidigern zu den Beschuldigten.
Gefangene, auch solche, die schwerwiegender Verbrechen verdächtigt
würden, hätten ein Recht auf ein rechtsstaatliches Verfahren und
müssten vor der Gewalt der Exekutive geschützt werden.
Zugleich warnt die Hilfsorganisation davor, die
Misshandlungen von Häftlingen mit der gesamten Entwicklung im Irak
gleichzusetzen. "Das Gefängnis Abu Ghraib war einst ein Symbol der
Willkürherrschaft des irakischen Staates", erklärt Thomas Uwer,
Sprecher der Organisation, die im Irak selbst Projekte mit
Strafgefangenen und Opfern staatlicher Verfolgung durchführt. Folter
in ihren schlimmsten Formen, Haft ohne Urteil und willkürliche
Hinrichtungen waren bis vor einem Jahr das Schicksal der rund 30.000
dort einsitzenden Gefangenen.
Den Vereinten Nationen lägen detaillierte Berichte über
Massenhinrichtungen aus dieser Zeit vor. 1998 seien binnen weniger
Tage mehr als zweitausend Menschen hingerichtet worden, um Platz für
neue Häftlinge zu schaffen. "Die unwürdigen Lebensbedingungen in den
Gefängnissen des Landes waren ein Sinnbild der Gewalt, mit der das
irakische Regime die Bevölkerung unterdrückte," sagt Thomas von der
Osten-Sacken, der das Programm der Organisation im Irak leitet. Um
so wichtiger sei heute eine Liberalisierung und Öffnung des
Strafvollzugs. In den kurdischen Regionen des Nordirak habe in den
vergangenen Jahren bereits eine grundlegende Reform des
Strafvollzuges stattgefunden, die Gefangenen nicht nur Rechte
garantiert, sondern auch die Reintegration in die Gesellschaft nach
verbüßter Strafe als Ziel formuliert hat. An diesen Reformen sei
anzuknüpfen. Die grauenvollen
Ereignisse in dem Gefängnis sollten nicht über die vielen positiven
Entwicklungen im Irak hinwegtäuschen. Trotz der Anschläge und der
militärischen Auseinandersetzungen um die zentralirakischen Städte
Falujah und Najaf habe sich die Lebenssituation der meisten Irakis
merklich verbessert. Die Versorgung der Bevölkerung sei längst
deutlich besser als vor dem Krieg. Die Menschen im Irak würden heute
größere Freiheiten genießen, als in anderen arabischen Staaten und
diese auch nutzen. Von den schlagzeilenträchtigen Ereignissen
weitgehend überschattet würden vor Ort Initiativen entstehen und
unterstützt werden, in denen Irakis ganz konkret an politischen
Entscheidungen teilnähmen. So
würden sich bspw. allerorten Frauen zusammenschließen, um gegen den
Einfluss islamischer Gruppen wie der Mahdi-Armee des schiitischen
Extremisten Muqtadr Al-Sadr zu agieren. "Diese Kräfte gilt es zu
unterstützen, anstatt sich auf der trügerischen Gewissheit
auszuruhen, es immer schon besser gewusst zu haben", erklärt
WADI-Sprecher Uwer mit Blick auf die Politik der Bundesregierung.
Bei der dringend notwendigen Förderung demokratischer Strukturen
halte sich die Regierung "vornehm zurück". Die Unterstützung
deutscher Organisationen, die trotz des Terrors islamistischer
Gruppen vor Ort tätig seien, gehe "gegen Null".
Dies alles relativiere nicht die Misshandlungen in
dem Teil des Gefängnisses, den die US-Truppen übernommen hätten.
Eine Demokratisierung des Irak könne es nicht exklusiv für einige
geben. Recht, nicht eine abstrakte Gerechtigkeit, sei den Irakern
versprochen worden. Dieses Versprechen sei nur dann glaubhaft, wenn
es für alle gelte. Über
WADI: Die Hilfsorganisation WADI
– Verband für Krisenhilfe und solidarische
Entwicklungszusammenarbeit
-, die sich nach dem zweiten Golfkrieg gegründet hat, arbeitet sehr
mehr als zehn Jahren im Irak. Neben Bildungsprogrammen und Projekten
zur Stärkung von Frauen ist die Organisation auch in Gefängnissen
mit Hilfsprojekten aktiv. Dazu zählen Ausbildungswerkstätten,
Gefängnisbibliotheken, Computerkurse und die Förderung von
Gefangenenzeitungen.
hagalil.com
10-05-2004 |