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Konkrete Schritte:
Memorandum zum Irak

Von Thomas Uwer, Hans Branscheidt, Thomas von der Osten Sacken

Der vorliegende Text richtet sich an die deutschen Nichtregierungsorganisationen, die in den Sphären der Entwicklungs- und Katastrophenhilfe tätig sind. Er richtet sich gleichermaßen an die deutsche Außenpolitik und an das BMZ. Seine Veröffentlichung erfolgt zu einem Zeitpunkt, wo davon auszugehen ist, dass das "irakische Regime so oder so fällt" (Udo Steinbach, Orient Institut Hamburg). Auch ohne jeden Krieg ist es international und auch selbst in den arabischen Ländern der Region absolut delegitimiert. Grund und Anlass genug, um die bisherige Außenpolitik der Bundesrepublik gegenüber dem Irak und im Weiteren zum Nahen Osten einer kritischen Überprüfung zu unterziehen.

Nur dann nämlich, wenn die im neuesten UNDP-Bericht schonungslos dargelegte ökonomische, politische und kulturelle Stagnation und ein gravierendes Demokratiedefizit in den arabischen Ländern zum Gegenstand der Betrachtung wird, lassen sich Krisen und Katastrophen wie Terrorismus und antisemitische Ressentiments verhindern, die sonst unausweichlich und unabhängig von aktuellen Kriegsanlässen von furchtbarer Wirkung sein werden, die auch Europa betreffen werden. Dazu gehört nicht zuletzt die Sistierung von Akteuren innerhalb der irakischen Gesellschaft, die über kein homogenes Staatsvolk verfügt, woraus auch die scheinbare Unübersichtlichkeit und Vieldeutigkeit der irakischen Opposition entspringt. Die Überwindung der im Sinne Hannah Arendts totalitären Ba’th Diktatur mit ihren pan-arabischen und nationalistischen Fantasien, auf die sich jüngst in London die irakische Opposition verpflichtet hat, könnte durchaus zum Schlüssel der Lösung weiterer anstehender Probleme im Nahen Osten werden. Zu einem insgesamt emanzipatorischen Projekt, dessen Stichwort regionaler Föderalismus im Rahmen multiethnischer Vielvölkerstaaten lautet.

Irakische Opposition und Transition to Democracy

Während die öffentliche Debatte um einen möglichen Irakkrieg sich um die Frage der erfolgreichen Abrüstung irakischer Massenvernichtungswaffen dreht, bereitet sich die irakische Opposition seit Monaten auf ein Ereignis vor, dass für den Irak und die gesamte Region von historischer Bedeutung sein wird: Der Sturz Saddam Husseins. Mitte Dezember kamen in London die Vertreter von mehr als 50 Parteien, Interessengruppen und Exilorganisationen des Irak zusammen, um eine gemeinsame Plattform zur Bildung einer künftigen Regierung zu erarbeiten.

Der Konferenz vorausgegangen waren die Bemühungen verschiedener irakischer Parteien, vor allem der kurdischen Parteien KDP und PUK, eine Grundlage für die demokratische Neuordnung des Landes zu schaffen sowie die Arbeit der Democratic Principles Working Group (DPWG), einer Gruppe von rund 30 überwiegend in den USA lebender irakischer Wissenschaftler im Exil um Kanan Makiya, die auf Einladung des US Department of State das Arbeitspapier "Transition to Democracy in Iraq" erstellt haben, das auf der Londoner Konferenz diskutiert wurde. Aller Skepsis zum Trotz und entgegen der landläufigen Auffassung, der Irak werde mit dem Zusammenbruch des bestehenden Regimes in ethnisch/religiöse Entitäten zerfallen, kann die irakische Opposition weitreichende Erfolge vorweisen. Alle Teilnehmer der Londoner Konferenz, seien es Kurden, Schiiten, Sunniten oder Vertreter konfessioneller und ethnischer Minderheiten, sprachen sich in einem Abschlusspapier für die Schaffung eines demokratischen, pluralen, föderalen Staates Irak innerhalb der bestehenden Grenzen aus. Dieser Staat solle nicht weiter ein „arabischer“ im Sinne der noch herrschenden Ba'th-Partei sein, sondern föderal organisiert sein, vornehmlich bestehend aus dem beiden „Staatsvölkern“ der Kurden und Araber. Allen Minderheiten sollen weitgehende Rechte verliehen werden, wobei allerdings den individuellen Staatsbürgerrechten Priorität über Gruppenrechten beigemessen werden soll. Die Bedeutung dieser Erklärung ermisst sich aus der Geschichte des arabischen Ostens – erstmals richtet sich eine Opposition unabhängig von der ethnisch/religiösen Verfasstheit der einzelnen Gruppen geschlossen gegen die eigene Regierung, ohne als Panbewegung die bestehende territoriale und nationalstaatliche Verfasstheit des Landes in Frage zu stellen. Und noch ein Novum in der Geschichte des Mashreq hatte London zu bieten: Erstmals auch richtet sich das Programm oppositioneller Gruppen nicht gegen die USA und den Westen, sondern bezieht die USA und Großbritannien aktiv mit ein. Um den 15. Februar herum (das Datum konnte auf Grund der problematischen Einreisesituation nicht festegelegt werden) trifft das aus der Londoner Konferenz gebildete Übergangskomitee mit seinen 65 Mitgliedern (plus 10 weitere Mitglieder, die sich u.a. aus den in London nicht repräsentierten Faili-Kurden rekrutieren) im Nord Irak zusammen, um die in London beschlossenen Grundsätze in konkrete Organisationsstrukturen zu überführen.

Arabischer Naher Osten

Sollte dieses bislang beispiellose Unterfangen gelingen, würde es nicht nur die Verfasstheit des Irak grundlegend neu definieren, sondern auch einen Modellcharakter erlangen für andere arabische Länder, die dringend der politischen und sozialen Reformen bedürften. UNDP konstatiert in seinen Human Development Reports über die Region einen seit Jahren anhaltenden kontinuierlichen Abstieg in allen zentralen Bereichen wirtschaftlicher und sozialer Entwicklung, während zugleich (mit der Ausnahme des Jemen und des Sudan) in den vergangenen 30 Jahren kein grundlegender Wandel der Regierungsform oder auch nur der Regierenden stattgefunden hat. Der Mashreq ist trotz seines großen Reichtums an natürlichen Ressourcen in allen Aspekten unterentwickelt und offenbar in seiner momentanen Verfasstheit reformunfähig. Innere Widersprüche und Probleme werden regelhaft nach außen, auf Israel, den Zionismus oder US-Imperialismus abgewälzt, Opposition oder Reformvorschläge als zersetzend denunziert, Oppositionelle als vermeintliche Agenten des Zionismus verfolgt. Die irakische Opposition schickt sich nunmehr an, diesen Teufelskreis zu durchbrechen. Dieser in Deutschland wenig beachtete Aspekt birgt nicht nur Gefahren, sondern in erster Linie eine große Chance hinsichtlich einer dringend anstehenden demokratischen Entwicklung der Region, die im unmittelbaren Interesse auch der Europäischen Union und Deutschlands liegt – jene, dass der viel beschworene "Flächenbrand" der Region sich als ein überfälliger Kabelbrand in den arabischen Systemen herausstellen könnte, der die Institutionen diktatorischer Herrschaft delegitimiert und zumindest demokratische Reformen erzwingt. Auch die hier zu Lande oft getätigte Aussage, dass die Ursachen des islamistischen Terrors in Unterentwicklung und undemokratischen Verhältnissen lägen, legt eine strukturelle Veränderung der Situation in den Mashreq-Staaten nahe.

Nähere Zukunft des Irak

Es scheint äußerst unwahrscheinlich, dass sich das Regime Saddam Husseins auch ohne den zu erwartenden Militärschlag gegen den Irak auf längere Sicht hin an der Regierung wird halten können. Regional und international delegitimiert zeigte es sich auch in der Vergangenheit nicht willens oder in der Lage, mit der Internationalen Staatengemeinschaft zu kooperieren. Weder gab es ernst zu nehmende Anzeichen, dass die Menschenrechtslage im Lande verbessert worden ist, noch Bemühungen den Lebensstandard der Bevölkerung zu heben. Das Interim des Embargo-Regimes unter den seit 1991 gültigen Prämissen ist derart grundlegend in Frage gestellt, dass eine Rückkehr zum Status quo ante unmöglich erscheint. Eine nicht-militärische Lösung des Konfliktes unter der Bedingung des Machterhalts der irakischen Regierung – die mit dem extrem unwahrscheinlichen Unbedenklichkeitszeugnis der Vereinten Nationen resp. der UNMOVIC sowie tief greifenden Eingeständnissen der irakischen Staatsführung einhergehen müsste – würde zugleich eine Klärung der bis dato ungelösten Fragen außerhalb der Rüstungskontrolle mit sich bringen, die vor dem Hintergrund der Erfahrungen mit dem irakischen Regime nicht ohne eine weitere Eskalation zu haben sein werden. An vorderster Stelle sei hier der Status des kurdischen Nordirak genannt, der von zentraler Bedeutung auch für die irakische Opposition ist. Weder die Kurden noch die Schiiten, die in den vergangenen Jahren unter erheblichen Repressionen zu leiden hatten, würden einer Rehabilitierung des Regimes tatenlos zusehen. Eine Rehabilitierung des Ba'th-Regimes, mit oder ohne Hussein (und es darf getrost als wenig wahrscheinlich vorausgesetzt werden, dass Saddam Hussein tatsächlich die Option eines Rückzugs ins Exil wählen wird), wäre weder im Interesse der Bevölkerung des Irak – die sich, wie seriöse Quellen aus allen Landesteilen berichten, einen Sturz der Diktatur herbeisehnen – noch im Interesse der regionalen Stabilität, vor allem aber der Sicherheit Israels, noch gäbe es im Nahen Osten mit einem erstarkten Ba'th-Regime irgendeine Hoffnung auf eine friedliche Beilegung des Israel-Palästina-Konflikts.

Wenn das radikal anti-israelische und anti-westliche Ba'th-Regime den aktuellen Konflikt unbeschadet überlebte, dann wäre dies für die islamistischen und panarabischen Terrorbewegungen nach dem 11. September 2001 ein weiterer Beweis dafür, dass die unbedingte Kompromisslosigkeit gegenüber Israel und den USA zum Erfolg führt. Diese in den USA, Israel und Großbritannien diskutierten und größtenteils anerkannten Tatsachen spielen in der deutschen öffentlichen Auseinandersetzung derzeit nur eine untergeordnete Rolle. Auch wird hier offenbar die mögliche Rolle der irakischen Opposition nicht in ihrer ganzen Bedeutung wahr-, noch die von ihr getätigten Aussagen ernstgenommen. Ahmed Jalabi, Vorsitzender des Iraqi National Congress (INC) übernahm die von der DPWG formulierte Forderung, dass ein künftiger demokratischer Irak auch die im Namen der vergangenen Regime verfolgten Juden rehabilitieren würde und bewirkte damit – wie Kanan Makiya auch – einen Proteststurm in der arabischen Presse. Immerhin belegt dies, dass dort die Vorstellung einer künftigen irakischen Regierung, die nicht ad definitionem israelfeindlich und antizionistisch ist, angekommen ist.

Ethnische Zernierung, Bürgerkrieg oder Einheit

Der Wille der irakischen Opposition zur nationalen Einheit ist ernst zu nehmen. Die Geschichte der irakischen Opposition beweist diesen Willen für einen demokratischen Neuanfang im Irak und dem Nahen Osten. Die Befürchtung einer anstehenden Zersplitterung des Irak anhand konfessioneller und ethnischer Bruchlinien ist dadurch nicht notwendigerweise entkräftet. Statt aber aus Furcht vor dem Zerfall des Irak die irakische Opposition zu meiden, sollte diese im Gegenteil mit allen Mitteln gestützt und gestärkt werden. Gerade das Gelingen des von ihr unternommenen Versuchs ist angesichts der aktuellen Situation der einzige gangbare Weg, den Zerfall des Irak in Bürgerkriegsparteien zu verhindern. Als starke Partner innerhalb des Landes bieten sich die kurdischen Parteien an, die an der Einheit des Staates und einer Demokratisierung festhalten und keine Separation vom irakischen Staatsverband anstreben.

Der befürchtete Zerfall setzte nicht mit dem Erfolg der von den Kurden maßgeblich getragenen Opposition ein, sondern mit deren Scheitern, wenn nämlich mit einer Rehabilitation oder – was wahrscheinlicher ist – einem Coup d'etat innerhalb der Führungsspitze ohne grundlegende Reform des Staatswesens die kurdischen Parteien auf die Verteidigung der kurdischen Gebiete und damit auf die Wahrung von territorial/partikularen Interessen zurückgeworfen würden. Die ethnische Zernierung des Irak erscheint umso wahrscheinlicher, je weniger die derzeitigen Bemühungen der irakischen Opposition unterstützt werden.

Demokratie & Stabilität

Es erscheint als Teil des seit dem 11. September 2001 offenbar gewordenen Desasters der alten, auf Containment und Dual-Containment fußenden Nahost-Politik, dass Stabilität im Mashreq bis dato nicht über den Weg einer demokratischen Entwicklung gesucht wurde, sondern über das Containment von Staaten und Regierungen, deren eigentliches Wesen als domestic politics abgetan wurde. Dass, zumal vor dem Hintergrund panislamischer und panarabischer Mobilisierung, die Grenzen zwischen domestic und foreign politics längst aufgehoben waren, zeigte sich bereits vor den Al-Qaida-Anschlägen in der Auseinandersetzung mit Israel und dem finalen Scheitern des Osloer Friedensprozesses. Sicherheit und Stabilität können in der Region nicht durch totalitäre oder diktatorische Regime, sondern nur durch demokratische Staaten gewährleistet werden, die ihre innere gesellschaftliche Verfasstheit nicht über die Außenbeziehungen zu Israel oder zu westlichen Staaten legitimieren. Der kritische Dialog mit Diktaturen wie dem Irak ist bereits gescheitert, bevor er überhaupt in Gang kommen konnte. Nicht demokratische Staaten, sondern Diktaturen stellen eine Bedrohung für andere Staaten dar. Die Zukunft des Irak wird zentral für die Entwicklung des Nahen Ostens sein. Sollte hier der Versuch gelingen, eine föderale Demokratie unter Wahrung der Rechte aller Bürger des Staates zu errichten, so wäre dies auch eine Grundlage für Verhandlungen zwischen Israel und den Palästinensern sowie anderen arabischen Staaten.

Folgen

Die Rede vom "Flächenbrand" im Nahen Osten ist nicht gänzlich unbegründet. Mit dem Irak steht – so oder so – auch die fragile Ordnung arabischer Staaten des Mashreq zur Disposition. Mit entsprechenden Reaktionen (bspw. seitens der Hizbullah) ist zu rechnen. Eine Wahrung des Status quo birgt zugleich das Risiko einer wesentlich tief greifenderen Destabilisierung. Das Gelingen einer demokratischen und von den maßgeblichen Gruppen des Landes getragenen Regierung ist im Hinblick auf den Irak wie auch auf den gesamten Mashreq alternativlos. Weder mit Saddam Hussein noch mit einem möglichen militärischen Nachfolgeregime gegen das Interesse der Bevölkerungsmajorität und der organisierten Opposition noch erst recht ein Auseinanderbrechen des Oppositionsbündnisses und ein darauf folgender Rückzug auf Territorial- und Partikularinteressen und ein entlang dieser verlaufender Verteilungskrieg um Ressourcen und Territorien sind im Interesse Europas und der Bundesrepublik Deutschlands.

Auf Grund der Haltung der Bundesregierung zur militärischen Drohkulisse der USA gegenüber dem Irak befindet sich die Bundesrepublik derzeit in einer isolierten Position nicht nur gegenüber den USA, sondern auch gegenüber jeder denkbaren positiven Entwicklung vor Ort. Angesichts der Tatsache, dass eine Änderung, welche Gestalt sie auch annehmen sollte, der Herrschaftsverhältnisse im Irak unausweichlich erscheint, befindet sich die Bundesregierung in der Situation, außer dem derzeitigen Regime keine Alternativen entwickelt zu haben. Die Suche nach alternativen Entwicklungswegen für die Zukunft stünde dringend an. Voraussetzung hierfür sollte nicht die Annahme eines positiven Szenarios alleine, sondern auch die Erwägung der mit dem Sturz des Regimes Saddam Husseins einhergehenden Risiken sein. Diesen ist aus unserer Sicht am wirkungsvollsten dadurch zu begegnen, dass sich die Bundesrepublik Deutschland aktiv in die Gestaltung einer post-Saddam-Ordnung einbringt und die demokratischen und stabilisierenden Elemente innerhalb der Riege möglicher Anwärter für eine künftige Regierung, unterstützt.

Es kann umgekehrt nicht im Interesse der Bundesrepublik Deutschland sein, alleine am Status quo eines zum Zusammenbruch verurteilten Regimes festzuhalten. Alleine aus dieser Konstellation erwächst der Anschein, die Bundesregierung träte für einen Erhalt der irakischen Diktatur und gegen israelische und amerikanische Interessen im Nahen Osten auf.

Umgekehrt ist die Haltung Deutschlands für die künftige irakische Entwicklung von zentraler Bedeutung. Es braucht wohl kaum erneut auf die tief gehende ideelle Bezugnahme von Irakern auf Deutschland (die sich nicht zuletzt in der Vorstellung von Arabiens Preußen äußert) verwiesen zu werden, um zu verdeutlichen, dass ein offener und entgegenkommender Umgang der Bundesregierung mit den Vertretern der demokratischen Opposition diese enorm aufwerten würde. Innerhalb der irakischen Opposition wird ein entsprechendes Signal der Bundesregierung seit langem erhofft.

Der begonnene Prozess der Ausformierung einer irakischen Übergangsregierung bildet eine gute, auf der Differenziertheit der Bevölkerungsschichtung und Interessenlage aufbauende Möglichkeit. Dieser Prozess, der vor enormen Hürden steht, wenn es darum gehen wird, die partikularen Interessen einzelner Parteien zu Gunsten eines tragfähigen staatsbürgerlichen Nationalverständnisses zurückzudrängen, kann nur durch die Ausarbeitung eines konkreten organisatorischen Rahmens zur Umsetzung der demokratischen Prinzipien am Leben gehalten werden, auf die sich die Oppositionsgruppen bereits geeinigt haben. Dem von der DPWG vorgelegten Papier "Transition to Democracy" folgend wird dieser Prozess zentral auf zwei Säulen fußen müssen:

1. Die Ausarbeitung eines föderalen Ordnungsprinzips mit klarer Trennung zwischen regionalen und staatlichen Befugnissen.

2. Die Entwicklung eines klaren Rahmens für die künftige De-Ba'thisierung, den Umgang mit den in das heutige System eingebundenen Verwaltungseliten, den Aufbau eines demokratischen Bildungs- und Erziehungswesens sowie den Umbau der ba'thistischen Institutionen in ein föderal-demokratisches Staatswesen. In diesem Zusammenhang stellt Kanan Makiya, prominentester Vertreter der DPWG und Mitglied des in London gewählten Übergangskomitees fest:

"Föderalismus ist zu dem zentralen Thema der irakischen Opposition geworden. (...) Die Anfänge dieser Debatte gegen auf das Jahr 1992 zurück, als das kurdische Parlament für einen föderalen Staat stimmte. Wenige Monate später übernahm der Irakische Nationalkongress (INC) diese Politik. (...) Diese Abstimmungen waren die ersten dieser Art in der modernen irakischen und arabischen Geschichte und durchbrachen die Sackgasse irakischer und arabischer Politik. Es existiert keine arabische Literatur zu diesem Thema, genauso wenig wie es Erfahrungen mit Föderalismus in der arabischen Welt gibt. Und trotzdem treten jetzt fast alle irakischen Oppositionsgruppen für die Idee des Föderalismus ein. Natürlich gibt es Meinungsverschiedenheiten, wie genau dieser Föderalismus aussehen soll. Aber mit wenigen Ausnahmen akzeptieren alle, dass der Föderalismus eine notwendige Grundlage für Demokratisierung im Irak ist und dass es darum geht, die Macht von Bagdad auf die Provinzen zu verlagern.

Die Neuheit, die dieses föderale Konzept bedeutet, ist Teil der weitergehenden Neuheit der Nach-1991er Opposition im Irak, einer Opposition, die nicht auf ‘nationaler Befreiung’, ‘bewaffnetem Kampf’ und dem Kampf gegen den ‘Zionismus’ und ‘Imperialismus’ fußt (alles Slogans arabischer Politik nach 1967), sondern auf dem Widerstand gegen ihre eigene Diktatur. Zugegebenermaßen war es nicht immer einfach mit dieser Opposition zu arbeiten: sie schließt die verschiedensten Elemente der irakischen Gesellschaft ein, ist fraktioniert und neigt zu Grabenkämpfen. Trotzdem stimmen praktisch alle ihre bedeutenden Teile zu, dass im Irak eine repräsentative Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, ein pluralistisch Regierungssystem und Föderalismus geschaffen werden müssen."

Es scheint offensichtlich, dass die Bundesregierung an ihrer ablehnenden Haltung gegenüber einem Krieg gegen den Irak festhalten wird. Viele gute Gründe sprechen für diese Haltung. Dies ändert nichts an der Notwendigkeit, sich um demokratische Alternativen, die sich in Form der irakischen Opposition anbieten, zu bemühen. Eine Veränderung des Irak steht auf der Tagesordnung und wird auch stattfinden, wenn es jetzt zu keinem Waffengang kommen sollte.

Ohne eine andere Alternative benennen zu können als den Erhalt der bestehenden Diktatur, droht die Glaubwürdigkeit deutscher Nahostpolitik nachhaltig in Frage gestellt zu werden. Entgegen der amerikanischen Option, die derzeit weitgehend auf militärische Mittel konzentriert zu sein scheint, stünde es an, politische Wege der Stabilisierung und Demokratisierung – und damit auch: der Konfliktvermeidung – zu suchen. Damit würden sich zugleich neue Gestaltungsmöglichkeiten eröffnen.

Praktische Umsetzung

Sowohl das Übergangskomitee wie der DPWG als auch die verschiedenen Parteien innerhalb der irakischen Opposition haben den Wunsch geäußert, sich mit Fachleuten, Akademikern und Politikern in Deutschland über die Möglichkeiten, Gefahren und Probleme der Schaffung eines föderalen Staatssystems im Nahen Osten auszutauschen. Wie Kanan Makiya formuliert, gibt es weder Erfahrung noch Fachliteratur zu diesem Thema, lediglich den erklärten Willen der Iraker. Die mögliche Umsetzung eines solchen Konzeptes hängt zentral an der konkreten Ausformulierung praktischer Fragen, etwa über Gestaltung bundesstaatlicher oder föderaler Institutionen, Polizeirecht, ökonomische Gliederung des zu schaffenden Staates, Organisation der Zugriffs- und Ausbetungsrechte vorhandener natürlicher Ressourcen etc. – und damit an der konkreten Verantwortungs- und Machtteilung entlang behördlich-administrativer Erfordernisse unter demokratischer Kontrolle und nicht entlang ethnisch/religiöser oder parteipolitischer Klientelstrukturen. Die Bundesrepublik Deutschland verfügt hier über einen besonderen Erfahrungsschatz. Vielen Irakern gilt Deutschland als besonderes Beispiel, wenn nicht Vorbild für die Transformation einer zentralistisch verwalteten, militarisierten Diktatur in einen föderal organisierten Bundesstaat. Aus Deutschland sind in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder Initiativen zur Unterstützung und Beratung beim Aufbau föderaler und demokratischer Rechtsstaatsstrukturen in anderen Ländern ausgegangen. Die Erfahrungen bei der Unterstützung der "Wahrheitskommissionen" in Südafrika bspw. wären von besonderer Bedeutung auch für die drängende Frage nach einer De-Ba'thisierung des Irak.

Bislang nämlich fehlt die materiale Unterfütterung der unter anderem in London vorgestellten Ideen. Ein Austausch in Form von Konferenzen, Workshops, Trainings, Kursen u.ä. wäre ein wichtiger Schritt zur Implementierung der angestrebten Programme. Ein Expertenaustausch zwischen Irakern und Deutschen sowie Fachleuten aus anderen europäischen Ländern liegt im dringenden Interesse der Irakischen Opposition.

Dieser Austausch sollte als der Beginn einer institutionalisierten Zusammenarbeit verstanden werden, die weniger darauf hinausläuft, fertige Programme vorzulegen als die „richtigen Fragen“ zu stellen und den begonnenen Prozess substanziell zu vertiefen. Entsprechende Konzepte und Vorschläge sollten dann der künftigen irakischen Legislative zur Verfügung gestellt werden und als Entscheidungshilfe im Gesetzgebungsverfahren dienen. Dieser Prozess würde zugleich helfen, dass Vertreter der unterschiedlichen Parteien sich weitergehend mit den Fragen föderaler Staatverfassung beschäftigen.

Konkrete Schritte

Als ersten Schritt schlagen wir ein Experten-Hearing zu den Themen Föderalismus und De-Ba'thisierung vor. Dies liegt im ausdrücklichen Interesse des gewählten Übergangskomitees, das in London gewählt wurde, der DPWG und vieler irakischer Einzelparteien. Zu diesem Expertenhearing sollen neben irakischen Experten und Vertretern der Opposition internationale Irakkenner sowie Fachleute in Fragen föderaler Staatsordnungen, Staatsrechtler etc. geladen werden. Ziel ist es, die zentralen Problemfelder aufzuzeigen, Teilbereiche und Einzelfragen der konkreten Entwicklung zu formulieren und an "Workinggroups" zu delegieren, deren Arbeit langfristig angelegt werden soll.

Die Autoren sind Mitglieder der Koalition für einen demokratischen Irak (KDI).
epd-Entwicklungspolitik 4/2003

hagalil.com 02-03-2003

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