Die Truppen der Allianz werden im Irak
nicht mit Blumen empfangen, sondern mit einer Intifada-Simulation
Saddam Husseins
Von Thomas von der Osten-Sacken
Jungle World, 02.04.2003
Für den Deutschlandfunk erscheint gut eine Woche nach Ausbruch
des Krieges die Sachlage klar: Anstatt die amerikanischen und
britischen Truppen mit Jubel zu begrüßen, leiste das "irakische
Volk" heftigen Widerstand, ungeachtet der Tatsache, dass es sich bei
Saddam Hussein um einen "schlimmen Diktator" handele. Statt mit
Blumen empfange man die Invasoren mit Kugeln, verlautbarte auch der
irakische Informationsminister. Al Jazeera, das eigenen Angaben
zufolge über den Krieg aus "arabischer Perspektive" berichte, sendet
nonstop Bilder von Saddam Hussein zujubelnden Menschen. Das wirkt
authentisch und wird unkommentiert in den Hauptnachrichten von ARD
und ZDF übertragen.
Die in den USA verbreitete Hoffnung, beim Marsch auf Bagdad falle
der Süden quasi im Handstreich und wie nach Ende des letzten
Golfkrieges würden ganze Armeeeinheiten sich ergeben oder
rebellieren, hat sich in der Tat als Illusion erwiesen. Saddam
Hussein hatte mit Hassan Ali Majid, der 1988 den Giftgasangriff auf
die kurdische Stadt Halabja befehligte, einen seiner brutalsten
Kommandeure zum Oberbefehlshaber für den Südirak ernannt. Majid
verwandelte die Städte in Festungen und bereitete die ihm
unterstehenden Truppen auf eine Guerillataktik vor. Die USA hatten
hingegen gehofft, nach dem Überlaufen irakischer Truppen würde eine
kontrollierte Übergabe der Städte stattfinden, auch um eine offene
und unkontrollierte Revolte der Bevölkerung, wie sie 1991 ausbrach,
möglichst zu verhindern.
Bei der "Befreiung" ihres Landes sollten, so die Hoffnung, die
Iraker im besten Fall einfahrenden alliierten Truppen zujubeln,
selber aber keineswegs aktiv werden. Ein Vorgehen, das bei der
irakischen Opposition auf heftige Kritik stößt. Er habe, schreibt
der unabhängige oppositionelle Schriftsteller Kanan Makiya in der
New Republic, manchmal den Eindruck, ein Teil des US-Establishments
führe Krieg gegen Saddam Hussein, ein anderer gegen den Iraqi
National Congress.
Denn der seit langem in Washington schwelende Streit über die
Beteiligung der Opposition an einer Regierung im Nachkriegsirak wird
offenbar auch in Kriegszeiten unvermindert fortgeführt und hat
seinen Teil zum bisherigen Kriegsverlauf beigetragen. Während die so
genannten Neokonservativen auf Demokratisierung und
Entba'athifizierung des Landes setzen und eine enge Kooperation mit
der Opposition anstreben, hoffen andere Kräfte im Militär, im State
Department und unter den traditionellen Konservativen, dass sich das
irakische Militär mehr oder weniger geschlossen ergibt, nur die
oberste Ba'ath-Führung gestürzt wird und eine amerikanische
Militärverwaltung dann auf weitgehend intakte Verwaltungs- und
Herrschaftsstrukturen zurückgreifen kann. Aufstände der Bevölkerung
und Racheaktionen an Vertretern der Ba'ath-Partei und der
Geheimdienste passen nicht in dieses Konzept.
Trotz des offenkundigen Fehlschlages – die irakischen
Eliteeinheiten machen bislang keinerlei Anstalten, sich zu ergeben –
bleibt der Aufruf zum Aufstand auch weiterhin aus. "Die Koalition
will", heißt es aus Oppositionskreisen, "keine Aufstände in den
Städten." Hamid Bayati, der Londoner Vertreter des Supreme Council
of the Islamic Resitance in Iraq (Sciri), erklärte, die Amerikaner
betonten immer wieder, sie wünschten, dass die Bevölkerung zu Hause
bleibe und sich auch die Sciri-Milizen, die so genannten
Badr-Brigaden, nicht an den Kämpfen beteiligten. Donald Rumsfeld
drohte in einer Pressekonferenz sogar, sollten sich diese Brigaden
ohne Einwilligung der Koalitionstruppen gegen die irakische Armee
wenden, würden sie als "feindliche Elemente" behandelt. Washington
fürchtet, ansonsten könne der Einfluss des Iran im Irak zu groß
werden, schließlich befindet sich das Hauptquartier von Sciri in
Teheran.
Aber auch die den USA weit enger verbundenen kurdischen Parteien
klagen über die ausbleibende Unterstützung. Bei einem
Oppositionstreffen im nordirakischen Salaheddin protestierten alle
anwesenden Parteien gegen die bisherige US-amerikanische
Kriegsstrategie. Es gebe, erklärte Hoshiar Zebari, Mitglied des
Politbüros der Kurdischen Demokratischen Partei, einen gewaltigen
Unterschied zwischen Befreiung und Eroberung. Befreiung hieße, auch
Irakis an vorderster Front kämpfen zu lassen. Irakisches Militär
ergebe sich gerne irakischen Kämpfern, nicht aber fremden Truppen.
Wohl weniger die Einsicht in diese Argumente als militärische
Notwendigkeit veranlasste die USA nun im Norden, ihre Taktik zu
ändern. Schließlich blieben die Unterstützung der Türkei und die
Eröffnung einer zweiten Front im Norden aus. Inzwischen sind die
ersten US-Soldaten in Irakisch-Kurdistan gelandet, und sowohl die
KDP wie auch die Patriotische Union Kurdistans konnten einige
irakische Stellungen mit amerikanischer Unterstützung einnehmen und
ein Stück auf Kirkuk marschieren. Auf einer Pressekonferenz gab der
Verbindungsmann Washingtons zur irakischen Opposition, Zalmay
Khalilzad, bekannt, die Kurden, die über schätzungsweise 70 000
leicht bewaffnete Milizionäre verfügen, seien nun auch offiziell
Verbündete der Koalition.
Aber das Misstrauen gegenüber den USA sitzt in der irakischen
Opposition tief. Der Vorsitzende des INC, Achmed Chalabi, etwa
fürchtet, dass die USA einen "rein amerikanischen Sieg erringen
wollen und die Irakis außen vor lassen". Wie wenig man ihnen auch in
der Bevölkerung traut, mussten die US-Truppen im Südirak erleben, wo
sie glaubten, schon in den ersten Tagen als Befreier bejubelt zu
werden. Nun hören sie immer wieder, sie hätten die Menschen 1991
verraten, und solange Saddam Hussein an der Macht sei, glaube man
nicht, dass sie es diesmal ernst meinen.
Die Taktik Saddam Husseins geht also doppelt auf. Sie erschwert
den weiteren Vormarsch, zwingt Briten und US-Amerikaner in
Häuserkämpfe und ist vor allem ein unschätzbarer Sieg im
Medienkrieg. Denn es gelingt der irakischen Führung, den Krieg im
Süden als eine Art zweite Intifada gegen die "zio-imperialistische"
Invasionsarmee erscheinen zu lassen. Die Bilder von
Selbstmordattentätern, Guerilleros und kämpfenden Zivilisten, die
sich später als Mitglieder von Spezialeinheiten entpuppen, sollen
wie eine Kopie des palästinensischen Aufstandes wirken. So soll der
Eindruck entstehen, nicht Saddam Husseins Einheiten, sondern die
Bevölkerung selbst kämpfe entschlossen gegen die verhassten USA.
Dass Munir Magdeh, ein hoher Fatah-Offizier im Libanon und
Kritiker Arafats, nach Angaben der Jerusalem Post
Selbstmordattentäter nach Bagdad geschickt hat, rundet das Bild ab.
Die Iraker, auch wenn sie unter der Diktatur litten, verlautbarte
die ägyptische Al Ahram, stünden doch heldenhaft gegen die fremden
Invasoren zusammen. So könnte ein neuer Mythos entstehen, der alle
Pläne der irakischen Opposition konterkarieren könnte. Ihre Berichte
über den Terror allerdings, der in den Städten des Irak herrscht,
von Massenexekutionen, Zwangsrekrutierungen und Ausgangssperren,
stören dabei nur.