MEMRI Special Dispatch - 27.
März 2003
Arabische Reaktionen auf die
Entwicklungen im Irak
Zahlreiche Kommentare und Berichte in arabischen Medien brachten auch
heute erneut die breite Ablehnung des Krieges gegen den Irak in der
arabischen Öffentlichkeit zum Ausdruck. In verschiedenen Zeitungen
standen dabei die zivilen Opfer insbesondere der letzten beiden Tage im
Mittelpunkt der Argumentation.
Andere Autoren kommentierten die anhaltenden Demonstrationen in Europa und
den USA sowie die Auswirkungen des Konfliktes auf die UNO. In einem
ausführlichen Interview gibt der syrische Präsident Bashar Assad zudem
einen Einblick in die Wahrnehmungen des Konfliktes in der syrischen
Führung.
Auswirkungen des Krieges auf die Zivilbevölkerung In einem Bericht der
Tageszeitung al-Sharq al-Awsat aus London beschreibt der Autor die
Reaktionen der irakischen Bevölkerung auf den anhaltenden Sandsturm, der
den Vormarsch der amerikanischen und britischen Truppen auf Bagdad
verzögerte:
"Zahlreiche Bewohner Bagdads interpretierten den starken Sandsturm, den
die Stadt seit zwei Tagen erlebte, als ,Botschaft Gottes', die geschickt
wurde, um den Vormarsch der amerikanischen und britischen Truppen zu
behindern. Emad Muhammad blickte auf die klappernden Fenster seines
Hauses und sagte, ,ich habe in meinen Leben keinen Sturm wie diesen
erlebt. Wir vertrauen alle auf Gott, wir glauben an ihn. Gott legte den
Amerikanern Hindernisse in den Weg.'"
Die ägyptische halboffizielle Tageszeitung Al-Akhbar veröffentlichte
erneut mehrere Artikel, die sich mit den Auswirkungen des Krieges auf
die irakische Bevölkerung auseinandersetzen. Neben einem Artikel zu den
Entwicklungen der militärischen Konfrontation, der unter der Schlagzeile
"Totaler Vernichtungskrieg gegen die Iraker" erschien, veröffentlichte
die Zeitung einen Kommentar ihres Chefredakteurs Galal Duwaidar. Unter
dem Titel "Vernichtung, nicht Befreiung!" schreibt er:
"Das Ausmaß der Zerstörung und des Todes, das die Flugzeuge und Raketen an
den Menschen und Gebäuden verursachen, deutet darauf hin, dass das Ziel
dieser Truppen mit ihren barbarischen und zerstörerischen Parolen darin
besteht, die Irakern ihres Rechtes auf Leben zu berauben. Diese Armeen
sind daher nichts als Angriffs- und Besatzungstruppen, geleitet vom
Groll und geprägt vom Geist der Zerstörung."
Die oppositionelle ägyptische Tageszeitung al-Wafd, ein Sprachrohr der
liberalen Wafd-Partei, berichtete in ihrer heutigen Ausgabe unter der
Schlagzeile "Der Holocaust im Irak" über die zivilen Opfer und
Zerstörungen des Krieges:
"In keiner Sprache der Welt findet sich ein Wort, mit dem die Barbarei,
die Bestialität, die Primitivität dessen beschrieben werden kann, was
die angreifenden amerikanischen und britischen Truppen am armen, von
allen, außer vom Glauben, verlassenen irakischen Volk begehen. Ihre
Armeen toben und mobilisieren die besonders zerstörerischen Waffen, vom
Himmel, vom Wasser, vom Lande wenden sie das Höllenfeuer gegen das
irakische Volk. Ihre Bomben, gefüllt mit Zorn, Heimtücke und Hass,
werfen sie auf Kinder, Frauen, Greise, während sie schlafen. Über den
Bewohnern zerstören sie die Häuser und begraben sie bei lebendigem
Leibe. Sie misshandeln die, die sich ihnen ergeben, und missachten deren
menschliche Würde, obwohl sie weder Pistole noch Gewehr geschweige denn
Proviant bei sich tragen. Sie zerstören Häuser, Schulen, Krankenhäuser,
Busse, Burgen und Gräber. Ihre Flammen überschwemmen alles. [.]
Oh Geschichte, berichte davon, dass die Massaker des Holocaust, den die
Truppen der Nazis während des Zweiten Weltkrieges begingen, angesichts
des Holocaust im Irak erblassen. Ein Holocaust, der von den Neo-Nazis,
den Waffenhändlern, den Händlern des Todes und den Öldieben begangen
wird, die zu Herrschern dieser Zeit geworden sind."
Die in London erscheinende Tageszeitung veröffentlichte einen Beitrag des
Kolumnisten Daud Shiriyan. Er stellt fest, dass es im Gegensatz zum
zweiten Golfkrieg bisher keine Anzeichen für eine Massenflucht der
irakischen Bevölkerung gebe, obwohl von verschiedener Seite die Flucht
von Millionen Menschen befürchtet wurde. Shiriyan erklärt dies mit dem
Durchhaltewillen der irakischen Bevölkerung:
"Es gibt keinen Zweifel, dass die Standhaftigkeit der Iraker in ihrem Land
den Krieg schwieriger macht und die militärischen Operationen und Pläne
beeinträchtigt und Washingtons Träume zerstreute, die Bevölkerung könne
Sympathien mit den angreifenden Truppen zeigen. Wichtiger aber ist, dass
die Iraker den arabischen Völkern eine wertvolle Lehre über
Nationalismus und Standhaftigkeit erteilten, die sie trotz der Blockade
und der politische Unterdrückung, die sie durchleben, bewahrten. Der
Nationalismus der Menschen zwischen Euphrat und Tigris aber übersteigt
die Berechnungen der Politiker, das Begehren der Opportunisten und
Händler des Krieges."
Zur Rolle des UN-Generalsekretärs Aus einer anderen Sicht beschäftigt sich
ein weiterer Artikel der ägyptischen Tageszeitung al-Akhbar mit dem
Konflikt. Asim Abd al-Muhassin beschreibt darin die Rolle des
UN-Generalsekretärs Kofi Annans in der Auseinandersetzung um den Irak.
Anders als andere Generalsekretäre wie Kurt Waldheim und Butros Butros
Ghali habe sich Annan den Interessen der USA und Israels unterworfen.
"Es scheint, als habe sich Annan, der mit dem Segen und durch das Beharren
der Amerikaner vom einfachen Angestellten der Vereinten Nationen zu
deren Generalsekretär aufstieg, in der Schuld Washingtons gesehen und
sich zur Begleichung verpflichtet gesehen. Dies bliebe ohne Schaden,
ginge es nicht auf Kosten der Charta der Organisation, der er als
Repräsentant der Welt vorsitzt und verstieße dies nicht gegen
internationales Recht, das er kraft seines Amtes schützen soll. Das
erste, was Annan tat, war sein Beschluss, die Beobachter der Vereinten
Nationen von der kuwaitisch-irakischen Grenze abzuziehen. Niemand
erklärte, welche der beiden betroffenen Seite dies eigentlich gefordert
hatte, Kuwait oder Irak. Wer aber forderte denn nun diesen Abzug? [.]
Das Mindeste, was man sich vorstellen konnte, war, dass Annan eine
Resolution präsentieren würde, in der er den Krieg kritisierte und
verurteilte. Aber er tat nicht, was alle Generalsekretäre vor ihm getan
hatten.
Schließlich veröffentlichte Annan einen Beschluss, das Programm
,Oil-for-Food' zu stoppen. [.] Wir waren froh über den Generalsekretär
Annan, der aus unserem Afrika stammt. Wir sind aber sicherlich nicht
froh über einen Generalsekretär, der vom Recht schweigt, nur weil das
Recht schweigt."
Friedensbemühungen Saudi Arabiens
Die saudische Zeitung Okaz berichtet in ihrer heutigen Ausgabe über die
Bemühungen der saudischen Monarchie um eine friedliche Beilegung des
Konfliktes. In einem Kommentar hebt sie hervor, dass es trotz der
gegenwärtigen Eskalation darum gehen müsse, Wege aus der Krise zu
finden. Aus der Geschichte sei bekannt, so heißt es in dem Kommentar,
dass die Friedensdiplomatie "in keinem der vorangegangenen Kriege zum
Stoppen kam, sondern den Krieg begleitete und sich verstärkte, je mehr
das Töten eskalierte und je größer die Zahl der menschlichen Opfer
wurde. Sie zielte darauf, einen Kompromiss zu finden, der alle vom
Konflikt betroffenen Parteien zufrieden stellt und auf dessen Grundlage
eine Vereinbarung über das Ende der militärischen Operationen getroffen
wird. Damit wird der Weg zu vernünftigen und akzeptierten Regelungen für
die Zeit nach dem Krieg geebnet."
Reaktionen auf die Demonstrationen in Europa und den USA In einem anderen
Kommentar der Zeitung Okaz werden die Hintergründe der Demonstrationen
in Europa und den USA beschrieben. Die Menschen, die gegen den Krieg
protestieren, "demonstrieren für den Irak und dessen Volk, und nicht aus
innenpolitischen Gründen, obwohl man sonst den Eindruck hat, die Bürger
im Westen kümmern sich nur um ihre persönlichen Interessen. [.]
Die Demonstrationen in der westlichen Welt gehen nicht auf religiöse,
nationale oder ethnische Bindungen zurück. Diese Völker haben die
religiöse Abgrenzung, und was damit an Kreuzzügen und Religionskriegen
verbunden war, überwunden. Sie überwanden den faschistischen Glauben an
eine Herrschaft eines Volkes über die anderen Völker, den Irrglauben,
ein Volk stehe über den anderen."
Diese Demonstrationen "unterstützen mit Sicherheit nicht das irakische
Regime, sondern richten sich gegen einen illegitimen Krieg. Die
Demonstranten rufen die Parole ,Nein zum Krieg' und sorgen sich um das
Leid des irakischen Volkes. Sie sehen in diesem Krieg eine Aggression
und Unrecht, weshalb sie ihn verabscheuen. Die Massen sammeln sich unter
humanistischen Werte und Begriffen, die nichts mit religiösen oder
ethnischen Bindungen zu tun haben. Dies ist die kulturelle Dimension
dieser demonstrierenden Völker, etwas, was in der Kultur unserer Region
vage bleibt. Sie spiegelt die Fähigkeit wider, die Erwartungen und
Forderungen [der Bevölkerung] mittels dieser Werte zu formen. Diese
Werte mobilisieren die Massen."
Interview mit Bashar Assad
Die libanesische Tageszeitung al-Safir veröffentlichte in ihrer heutigen
Ausgabe ein Interview mit dem syrischen Präsidenten Bashar Assad. Assad
äußerte sich darin ausführlich über die gegenwärtigen Entwicklungen im
Irak:
"Eine historische Betrachtung der gegenwärtigen Situation, des Krieges und
dessen, was ihm voranging, muss verschiedene Faktoren berücksichtigen,
die mit den Großmächten Großbritannien, Frankreich und den USA in
Beziehung stehen. Dies ist ein Kampf zwischen jenen Großmächten und wir
befinden uns mittendrin. [.]
Wir müssen zwischen einem Sturm [als Naturereignis] und einem geplanten
Ereignis unterscheiden, denn es besteht ein Unterschied zwischen ihnen.
Das, was gerade geschieht, geschieht planmäßig und ist kein Sturm. Ein
Sturm kommt und zieht vorüber. [.]
Sie haben die Masken fallen gelassen, indem sie erklärten, dass sie das
Erdöl und eine Neuordnung der Region wollen, die sich mit den Interessen
Israels deckt.
Israel hat ein Interesse an der Spaltung des Irak in konfessionelle,
nationale und ethnische Kleinstaaten, womit Israel zu einer Quelle
gesellschaftlicher Legitimation werden kann. Es gibt im Nahen Osten
Staaten, die mehrere Volksgruppen umfassen, aber gleichzeitig gibt es
gesellschaftliche Schnittpunkte und eine gemeinsame Geschichte. Trotz
der verschiedenen ethnischen Gruppen innerhalb eines einzigen Volkes
ähneln sich die gesellschaftlichen Zusammensetzungen in der Region im
Allgemeinen. [Allein] Israels Beschaffenheit ist anormal, es ist ein
Staat, der auf einem einzigen Moment basiert, nämlich dem religiösen
Moment. Seine Demokratie besteht innerhalb dieser religiösen
Zugehörigkeit, und nicht innerhalb der Grenzen des Staates.
Also wäre Israel kein legitimer Staat mehr, wenn der Friedensprozess
erfolgreich wäre, denn seine Anormalität in der Region und vielleicht
auch in der ganzen Welt würde sichtbar. Wenn es jedoch Kleinstaaten wie
Israel gäbe, die auf einem ethnischen, rechtlichen, religiösen bzw.
konfessionellen Moment beruhen, dann würde auch Israel legitim."
Auf die Frage, ob er vom Widerstand der Iraker überrascht gewesen sei,
erklärt Assad:
"Nein, keinesfalls. Aufgrund unserer eigenen Erfahrungen kam es für uns
nicht überraschend. Die bedrückendste Erfahrung des Widerstands ist die
in Palästina. Syrien unterstützte den Widerstand im Libanon und trug
dazu bei, die Souveränität im größten Teil des Landes wiederherzustellen
und den Rückzug und die Niederlage Israels zu erreichen. Aber heute ist
die Lage in Palästina eine andere, die Palästinenser sind umzingelt. Es
gibt arabische Staaten, die stärker als Israel selbst zur Unterdrückung
der Intifada beitragen.
Und trotzdem, wenn das Volk sich zum Widerstand entschließt, dann sind die
Folgen eindeutig. Nach zweieinhalb Jahren sehen wir die Konsequenzen der
Intifada für Israel in allen Bereichen. Das Problem ist nicht Stärke der
angreifenden Macht. Sicherlich sind die USA eine Großmacht, die einen
verhältnismäßig kleinen Staat besetzen kann, aber kann sie ihn auch
kontrollieren? Die USA und Großbritannien können nicht den gesamten Irak
kontrollieren. Es wird noch einen wesentlich heftigeren Widerstand
geben. Diese Entwicklungen werden noch die Propagandalügen einiger
arabischer Verantwortlicher bloß stellen, die - mit oder ohne Absicht -
die Wahrheit anders sehen als sie nun einmal ist. Diese Entwicklung wird
sich auf das arabische Volk auswirken. Es wird sich in Form einer
größeren Standhaftigkeit, eines stärkeren Aufbegehrens und in Misstrauen
gegenüber den Vorschlägen einiger arabischer Verantwortlicher
auswirken."
THE MIDDLE EAST MEDIA RESEARCH
INSTITUTE (MEMRI)
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