MEMRI
Special Dispatch, 25. März 2003
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Reaktionen in arabischen Medien auf die
Auseinandersetzungen im Irak
Wie in den letzten Tagen erschienen auch heute erneut ausführliche
Kommentare in arabischen Medien, in denen verschiedene und z.T. bisher
nicht berücksichtige Aspekte der Auseinandersetzungen im Irak beleuchtet
werden.
Neben der Perspektive nach einem Sturz Saddam Husseins ging es dabei vor
allem um die Berichterstattung und die Bedeutung des Widerstandes, der
sich den britischen und US-amerikanischen Truppen in den letzten Tagen
entgegenstellte.
Zum irakischen Widerstand
Die Tageszeitung Akhbar al-Khaleej aus Bahrain veröffentlichte in ihrer
Ausgabe vom 25. März 2003 einen Kommentar ihres Chefredakteurs, Anwar
Abd al-Rahman, in dem er die US-amerikanischen Kriegsziele als
unglaubwürdig zurückweist. Angesichts der zivilen Opfer schreibt er: "Es
ist lächerlich, dass all dies unter der Parole ‚Befreiung des Iraks'
geschieht. Wenn dies die Befreiung ist, was ist dann erst eine
Aggression? Welche Freiheit und welche Demokratie ist dies, in deren
Namen Unschuldige getötet, vertreiben und deren Häuser zerstört werden?
[...]
Unabhängig vom Ergebnis dieses Krieges gibt es die strahlende Gewissheit,
dass das irakische Volk sich nicht hat täuschen lassen und nicht in die
Knie ging. Es leistet Widerstand mit allem, was ihm zur Verteidigung
seines Landes, seiner Heimat und seines arabischen Geistes zur Verfügung
steht."
In der libanesischen Tageszeitung al-Safir schrieb Wissam Sa'ada, den USA
stelle sich heute wie nach dem 11. September die Frage, warum ihre
Politik in anderen Teilen der Welt nicht auf Zustimmung stoße und
bekämpft werde. Erneut frage sich die US-Regierung:
"Warum hassen uns die Iraker, und warum opfern sie sich für die
Verteidigung eines tyrannischen Regimes, das verschwinden muss? Warum
hassen sie uns? Erneut stellt sich der amerikanischen Regierung die
verwunderte Frage, die sich ihr bereits nach den Angriffen vom 11.
September stellte, damals war sie eine Vorbereitung auf den Krieg und
nicht Sühne für die Sünden, wie es die Gutgläubigen in unseren Reihen,
die sich mit dem ‚Dialog der Kulturen' beschäftigen, dachten. Warum
hassen uns die Iraker, obwohl wir gekommen sind, um sie von den
Massenvernichtungsmitteln und von einem lügnerischen und brutalen Regime
zu befreien?"
Die saudische Tageszeitung al-Watan schreibt dazu in der Ausgabe vom 25.
März 2003: "Die Amerikaner zahlen heute den Preis für ihre Fehler, die
sie vor 12 Jahren am irakischen Volk begingen. Die Iraker, die seit
Jahrzehnten auf die Freiheit warten, hießen die Amerikaner und die
Truppen ihrer Verbündeten während der zweiten Golfkrieges willkommen,
sie rebellierten gegen Saddam Hussein und seine Armee und übernahmen
tatsächlich in jenen Städten die Gewalt, in denen die USA und ihre
Armeen gegenwärtig leiden und versuchen, die Kontrolle zu erringen:
Basra, Nasarija und Umm Qasr. [...]
Der irakische Bürger in Umm Qasr, der von einem amerikanischen
Journalisten befragt wurde, brachte diese paradoxe Situation zum
Ausdruck: ‚Wir sind froh, dass Sie gekommen sind, aber ich bin nicht
zuversichtlich. Ich werde meine Freude nicht zeigen, denn ich weiß
nicht, ob sie sich nicht erneut mit Saddam einigen werden.'"
Aus einer anderen Sicht beschäftigt sich auch ein Artikel der
libanesischen Tageszeitung al-Nahar mit der Stimmung in der irakischen
Bevölkerung. In dem Artikel wird ein Vertreter der größten schiitischen
Oppositionsgruppe mit seinen Einschätzungen der gegenwärtigen Situation
zitiert:
"Der Präsident des Supreme Council for Islamic Revolution in Iraq, der
größten schiitischen Oppositionsbewegung, Ayatollah Muhammad Bakr
al-Hakim, erklärte gestern, die amerikanischen Streitkräfte würden nach
dem Zusammenbruch des Regimes von Saddam Hussein aus dem Irak vertrieben
werden. In der von seinem Teheraner Büro herausgegebenen Erklärung hieß
es: ‚Nach Kriegsende werden wir die amerikanischen Streitkräfte aus dem
Irak vertreiben. Die Iraker werden die Lenkung ihrer Angelegenheiten
übernehmen.' Sie erwarteten ein schnelles Kriegsende und den Fall
Saddams, der getötet oder verhaftet und für seine Verbrechen gegen die
Menschheit verurteilt werden wird. […]
Der oppositionelle irakische schiitische Religionsgelehrte Muhammad Bahr
al-'Ulum erklärte gestern, der Sturz von Präsident Saddam Hussein werde
nicht zur Errichtung eines islamischen Schiitenstaates im Irak nach Art
des Iran führen. Er lehnte die Spaltung des Landes ab, falls die von den
Amerikanern geführte Invasion erfolgreich sei. […]
Er erklärte: ‚Wir werden jede Entwicklung in Richtung eines radikalen
religiösen Staates nach dem Sturz Saddams ablehnen. Es wäre nicht
logisch, sich die Erfahrung des schiitischen Staates Iran zum Vorbild zu
nehmen, denn der Irak ist durch eine kulturelle Vielfalt gekennzeichnet
und umfasst Schiiten, Sunniten, Christen und viele andere
Gemeinschaften.' Er bekräftigte, ‚alle oppositionellen Parteien lehnen
die Teilung des Irak ab, Schiiten, Sunniten, Christen und Kurden werden
alle in einem Boot sitzen.'"
Berichterstattung über den Konflikt
Die in London erscheinende Tageszeitung Al-Sharq al-Awsat veröffentlichte
einen Kommentar des Chefredakteurs Abd al-Rahman al-Rashid, in dem er
auf die US-amerikanische Kritik an Berichten im arabischen Fernsehen
eingeht. In dem Kommentar, der am 25. März 2003 erschien, schreibt er:
"Wenn das Zeigen von amerikanischen Gefangenen im irakischen Gewahrsam im
Fernsehen unrechtmäßig war, warum sagte man dann nichts, als vor drei
Tagen die Bilder von irakischen Gefangenen und Toten in Umm Qasr
gesendet wurden? [...]"
Die Bedenken, die über das Zeigen von Bildern US-amerikanischer Gefangener
geäußert wurden, seien vielleicht verständlich, aber "die Lage der
irakischen Soldaten ist noch gefährlicher. Es geht hier um Leben und Tod
der Familien der Gefangenen, wenn ihre Söhne im Fernsehen erkannt
werden. Es gibt oppositionelle Milizen, die gegen Saddam kämpfen, die
die Angehörigen dieser Soldaten ermorden könnten. Auch das irakische
Regime selbst könnte die Soldaten nach ihrer Befreiung bestrafen, wenn
es den Eindruck hat, die Soldaten hätten sich ergeben und unterworfen.
Die Angst über die Wirkung der Fernsehbilder für die irakischen Soldaten
ist daher bedeutender als die Begründungen, die sich auf den Schutz der
amerikanischen Soldaten berufen."
Auswirkungen des Krieges im Irak auf den israelischen-palästinensischen
Konflikt
Die in London erscheinende Tageszeitung al-Sharq al-Awsat schrieb zur
gegenwärtigen Situation im israelisch-palästinensischen Konflikt:
"Seit dem Toben des Krieges gegen den Irak sind an der palästinensischen
Front keine Bewegungen mehr ausmachen. Ganz im Unterschied zu dem, was
während der Operation Wüstenfuchs geschah, als israelische und westliche
Medien einige Zeichen von Unruhen [in den palästinensischen Gebieten]
ausnutzen, um sie gegen die Palästinenser zu verwenden. […]
Es ist natürlich zu wünschen, dass diese Ruhe der Kämpfe an der
palästinensisch-israelischen Front anhält und vielleicht kann diese Zeit
der Ruhe tatsächlich dazu genutzt werden, um auf Israel Druck auszuüben
und Washington und das Nahostquartetts zur Eile bei der Umsetzung der
lang erwarteten Roadmap zu drängen. […]
Wenn sich die Krise entsprechend der Situation an der irakischen Front zum
Guten entwickelt, dann könnte daraus eine politische Situation
entstehen, die den Friedensbemühungen im Nahen Osten dienlich ist. In
jedem Fall aber darf die palästinensische Führung nicht wartend zusehen,
sondern sie muss aus jeder positiven Entwicklung einen politischen
Nutzen ziehen, sie muss ihre Reformschritte umsetzen noch bevor sich das
Bild im Irak klärt und ohne auf die Ergebnisse eines sich hinziehenden
Krieges zu warten."
Hingegen veröffentlichte die englischsprachige libanesische Tageszeitung
Daily Star einen Kommentar, in dem scharfe Kritik an Israel erhoben
wird:
"Die israelische Regierung wartete nicht sehr lange noch dem Beginn des
anglo-amerikanischen Angriffes auf den Irak, um seinen eigenen Angriff
gegen die Palästinenser zu beginnen. Am Sonntag kündigte die Regierung
Sharon an, dass es den ‚Trennungszaun', den es zwischen den israelischen
und palästinensischen Gebieten baut, weiter nach Osten verlegen wolle.
Angesichts der inoffiziellen Bedeutung des Zaunes als Markierung der
zukünftigen Grenze zwischen Israel und einem unabhängigen
palästinensischen Staat würde die Verlegung des Zaunes nach Osten mehr
israelische Siedlungen einschließen und den Palästinensern noch mehr
Land nehmen. [...]
Die Aufmerksamkeit der Welt für das Geschehen im Irak darf nicht von der
sich verschlechternden Situation in Palästina ablenken, die einer der
wichtigsten Gründe für die politischen Spannungen in der Region und
zwischen den arabischen Ländern und der USA bleibt. In welchem Zustand
auch immer Washington aus seinem Irak-Abenteuer hervorgehen wird, es
wird sich dem Fall Palästinas wieder annehmen müssen, wenn es darauf
hofft, in den zentralen Fragen der Region, einschließlich der
Anti-Terror-Kampagne, des wirtschaftlichen Wandels und der politischen
Modernisierung, Fortschritte zu machen."
Deutungen des Irakkonfliktes
Die oppositionellen ägyptische Wochenzeitung al-Usbua schrieb in ihrer
Ausgabe vom 24. März 2003 über die Bedeutung des Irak-Konfliktes als
Wiederholung einer historischen Gefahr der islamischen Gemeinschaft.
Unter der Überschrift: "Werden sie es schaffen, die Hauptstadt des
islamischen Kalifats zum Fall zu bringen?" heißt es: "Vor den Mauern der
Blüte der arabisch-islamischen Zivilisation [Bagdad] stehen die Mongolen
von heute, die darauf warten, dass die Hauptstadt des abbasidischen
Kalifats fallen möge. [...]
Sie kommen nicht aus der Mongolei, sondern aus einem anderen Land, das
sich zu jener Zeit, als der Irak die Welt mit seinen Zivilisationen,
seinem Wissen, seinen Gelehrten und seiner islamischen, politischen,
historischen und zivilisatorischen Bedeutung erleuchtete, auf keiner
Weltkarte fand. [...]
Werden die arabischen und islamischen Länder eine deutliche Haltung
einnehmen, um den Angriff auf die Hauptstadt des islamischen Kalifats,
der Festung al-Rashids und al-Mansours, zu stoppen, oder werden sie die
Geschehnisse weiter auf den Satellitensendern verfolgen [...]?"
Auch in der in London erscheinenden Tageszeitung Al-Hayat erschien ein
Artikel, in dem die Bedeutung des Konfliktes für die arabischen Länder
angesprochen wird. In dem Artikel von Bishara Nissar Sharbal vom 25.
März 2003 heißt es: "Die arabische Welt steht dem Krieg in tiefer
Zerrissenheit gegenüber: Sie ist unfähig, eine entschiedene Haltung, die
den Irakkrieg zurückweist, einzunehmen oder eine Übereinkunft über eine
Initiative zu erreichen, ihre Staaten aus der politischen Marginalität
herauszuholen. […]
Die Demonstrationen, die in einigen Hauptstädten losbrachen und in die
sich lärmende Rufe und blutige Auseinandersetzungen mischten, künden von
schweren, ja gefährlichen Zeiten, sollte sich der amerikanisch-britische
Krieg hinziehen."
Die halboffizielle ägyptische Tageszeitung al-Gumhuriya veröffentlichte
einen Artikel von Papst Shenouda III., dem obersten Geistlichen der
ägyptischen koptischen Kirche. In seinem Artikel geht Shenouda III. auf
die Lage in der Welt, und insbesondere im Nahen Osten ein.
Er schreibt: "Viele Menschen betrachten diesen Niedergang und fragen uns:
Ist dies die Ankündigung für das Ende der Welt? Sind die Kriege, die
Kämpfe, die Spaltungen, die Nuklearwaffen, das Giftgas und all die
biologischen und anderen Waffen der Zerstörung ein Zeichen, dass sich
die Welt gegenseitig auslöschen wird? Sind die aufeinander folgenden
Erdbeben, die Überflutungen, die Umweltkatastrophen, die Zunahme des
Ozons - sind all dies Hinweise auf den Zorn Gottes über die Welt? Wird
sie bald zu Ende gehen? Gott zürnt über die moralische Korrumpiertheit,
über den gedanklichen Verfall, über die Gottlosigkeit und das, was man
Satanismus nennt. Über die Einbildungen der Menschen, über den Wunsch,
mit Gott in der Schöpfung zu konkurrieren. Über die Eingriffe in die
Fortpflanzung durch Klonen, durch künstliche Befruchtung und
Leihmutterschaften sowie durch andere Dinge, die zweifellos den Zorn
Gottes erregen. Über die Hinwendung vieler zu Perversionen. Mit seiner
Korrumpiertheit, mit der sie sich dem Zorn des Schöpfers aussetzt,
richtet die Welt über sich selbst. Mit den Kriegen, mit denen sie sich
gegenseitig vernichten, mit den Zerstörungen des Landes, dass Gott zu
ihrem Wohlbefinden und zu ihrem Nutzen schuf. [...]
Die Welt benötigt eine Erneuerung des Geistes, sie bedarf einer Erneuerung
des Wissens. [...]
Wenn uns der gegenwärtige Krieg an unser ewiges Leben erinnert, an unsere
Versöhnung mit Gott, so wäre dies zu unserem Wohl und zum Wohle der
Welt."
THE MIDDLE EAST MEDIA RESEARCH
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