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MEMRI Special Dispatch – 20.
Oktober 2002
Al-Sharq al-Awsat kritisiert die arabische Kriegsberichterstattung
In einer Reihe von Artikeln kritisiert der Chefredakteur der Al-Sharq
al-Awsat, Abd al-Rahman al-Rashed, die arabischen Medien dahingehend, dass sie
genau wie 1967 nicht unparteiisch über den Krieg berichten würden. Schon vor
Kriegsbeginn hatte die in London erscheinende saudische Tageszeitung die
arabischen Medien für ihr Schweigen über die Forderungen der irakischen
Opposition kritisiert.
Als erstes folgt der am 27. März 2003 erschienene Artikel "Langsam, ihr Medien
von 1967". Der zweite Artikel "Sogar schlimmer als die 67er Medien" ist eine am
1. April 2003 veröffentlichte Reaktion von Abd al-Rahman al-Rashed auf die
Kritik, die an seinen Artikeln geübt wurde:
"Langsam, ihr Medien von 1967"
Der Irakkrieg kann eine Wendung hin zu einem Krieg nehmen, der Jahre andauert
oder er kann ein kurzer Krieg sein - wie es der zweite Golfkrieg war - oder
seine Mission kann in 45 Tagen vollendet sein. Der Kampf ist Aufgabe des
Militärs, während es die Pflicht der Medien ist, nicht selbst in die
Schützengräben des Krieges zu geraten. In theoretischer Hinsicht trifft dies auf
ernstzunehmende Medien zu. Wenn es um die arabischen Medien geht, dann [stellen
wir fest], dass sich seit dem letzten Jahrhundert wenig verändert hat - als ob
die Kriege von heute wie die Kriege der vergangenen 40 Jahre wären, als die
Medien mit den arabischen Armeen um Mutmaßungen wetteiferten. Sie glaubten, dass
die Verbreitung von Meldungen über den Absturz hunderter israelischer
Kampfflugzeuge im Krieg von 1967 den Menschen Freude bereiten würde und
vielleicht wird sich dies in Zukunft bewahrheiten. Diejenigen aber, die neben
dem arabischen Fernsehen einnicken und aufwachen, [.] werden diesen verlogenen
Medien nicht verzeihen, wenn der Rauch verzogen ist und die ganze Wahrheit zum
Vorschein kommt.
Ich [verstehe] die Gefühle meiner Kollegen, der arabischen Journalisten, die mit
dem Geschehen eher emotional als rational umgehen, und vielleicht Bruchstücke
von Nachrichten aufschnappen und sie möglicherweise ihren [eigenen] Wünschen
anpassen. In professioneller Hinsicht muss der Journalist so weit als möglich in
seinen Informationen unparteiisch bleiben - dies ist der beste Dienst, den er
seiner Sache, seinen Zuschauern und Lesern erweisen kann, denn diese können
[dann] ihrerseits mit der Realität als solcher besser umgehen.
Ich weiß, dass das Einnehmen einer ausgewogenen Position in der arabischen
Medienwelt einem Selbstmord [gleichkommt], weil Viele die Medien dazu drängen,
"nationalistische" Positionen einzunehmen und alles, was davon abweicht, als
Verrat an der Sache angesehen wird. [Zugleich] wird das Lügen um der Sache
willen als moralisch und ehrwürdig angesehen. Die arabischen Medien [heute]
verwandeln sich - unter diesen schwierigen Umständen - allmählich in die Medien
von 1967, als die Radio- und Zeitungskommentatoren das Heldentum aufbauschten
und die Realität der Niederlagen verheimlichten und [damit] historisch zum
Gegenstand des Spottes wurden.
Die arabischen Medien von heute, mit ihrer Voreiligkeit und den eindeutigen
Tendenzen zu Übertreibung und Siegesverheißungen, füttern die Massen mit
Geschichten, die nichts mit der Realität zu tun haben. Deswegen reproduzieren
sie die alten Medien, obwohl sie in Farbe senden und elektronische Technologien
benutzen. [...]
Bevor der [zweite Golf-] Krieg begann, machten die arabischen Anhänger des
Bagdader Regimes in der Region im Hinblick auf den großartigen Krieg sehr viele
Versprechungen: dass er eine zweites Vietnam sein und der Persische Golf sich in
ein Meer aus Blut verwandeln würde und die Eroberer in Zehntausenden von
Leichensäcken zurückkehren würden... Wir wurden mit Nachrichten über die
Unterstützung auf den Strassen der Welt [für den Irak] überschüttet und
schließlich endete die Angelegenheit abrupt mit der Unterzeichnung des
Safwan-Abkommens, in dem der Irak zur Überraschung von Millionen Menschen
vollständig kapitulierte. [.]
Deshalb sollten die Medien den Informationsministerien nicht in ihrer Propaganda
und der Armee nicht bei der Siegesverkündung zuvorkommen, denn der größte
Dienst, den sie ihrem Publikum erweisen können, ist die Verbreitung der
Wahrheit. Damit können sie sich selbst und ihren zukünftigen Ruf schützen, der
durch die früheren Ereignisse beschmutzt wurde, so dass die Medien sogar zu
Zwillingsschwestern schlechter politischer Regime wurden."
Ein paar Tage später reagierte al-Rashed auf die Kritik, die an seinem
vorherigen Artikel geübt wurde:
"Schlimmer als die arabischen Medien von 1967"
Ich gehe noch weiter in meiner Kritik, denn die arabischen Medien sind sogar
noch schlimmer als im Jahre 1967, weil sie weder objektiv noch unparteiisch
sind. [.] Die Medien von 1967 hatten [nur] eine begrenzte Verbreitung, während
vor den Medien [im Jahr] 2003 keiner mehr sicher und kein Haushalt von ihnen
unerreicht bleibt. [.]
Die arabischen Medien zensierten absichtlich die Vorschläge der irakischen
Opposition, obwohl sie einen Teil der irakischen Bevölkerung repräsentiert. Was
noch wichtiger ist, sie zensierten jeden Bericht, der ihren Auffassungen
widersprach, so wie der Bericht über die irakischen Geheimdiensteinheiten, die
auf Iraker, die zu fliehen versuchten, schossen. [Stattdessen] veröffentlichten
die arabischen Medien Geschichten, die an die Abenteuer von Sindbad erinnern,
wie z.B. die Geschichte über den Bauern, der einen Apache-Hubschrauber mit einem
alten Gewehr vom Himmel holte. Einige der arabischen Medien hoben Berichte
hervor, nach denen die Koalitionsstreitkräfte chemische Waffen benutzten - eine
Anschuldigung, die nicht mal der irakische Informationsminister, Muhammad
al-Sahhaf, erhob. Viele Berichte wurden einfach gestrichen, entweder weil sie
dem widersprachen, was Bagdad sagte oder weil ihre Quellen amerikanische waren.
Es stellt sich die Frage, wie wir die Wahrheit erfahren sollen, wenn der
Journalist sich als voreingenommener Zensor gebärdet?
Ich fordere nicht, die irakischen Berichte zu ignorieren, so lächerlich oder
verlogen sie auch seien. Und ich fordere nicht, sich auf die Verbreitung von
Nachrichten amerikanischer Kommandeure zu beschränken, so wahr sie auch sein
mögen. Ich fordere, dem arabischen Individuum sein Recht auf Nachrichten beider
Versionen zuzugestehen, damit es nicht in die Falle einer Meldung aus nur einer
einzigen Quelle gerät [.] so wie 1967.
Dies ist ein Kampf um Informationen genau wie 1967, wo auch jeder Herausgeber
seine Schere benutzt und den Leuten sagt: dies bekommt ihr zu sehen und dies ist
euch nicht erlaubt, zu hören; weil es einen Iraker zeigt, der Washington
unterstützt oder über die Niederlage einer tapferen [irakischen] Einheit
berichtet oder weil es nach einem Propagandafeldzug aussieht. Es besteht ein
Unterschied zwischen Medien, die als Gegenstand der Säuberung [Zensur?] oder als
Gegenstand der Verbreitung fungieren. Letztere sind richtig.
[Einige Kritiker fragen] warum ich die qualitative Verbesserung der arabischen
Medien nicht anerkenne. Dies ist nicht der Ort, um die Verbesserungen in
Qualität, Kunst, Farbe, Elektronik oder bei der Übertragungsgeschwindigkeit zu
bewerten. Leider entspringen sie nicht der Genialität der arabischen Medien,
sondern sind importiert - genau wie das Papier aus Schweden oder die
Druckerpresse aus Deutschland. Sie sind importierte Verbesserungen, genau wie
Kleidung, Autos und Uhren. Aber die Berichte werden immer noch auf dieselbe alte
Art und Weise verfasst, welche [eher] die Prinzipien [des Journalismus?]
angreift als dass sie darauf bedacht sind, Tatsachen zu unterbreiten.
Schauen sie sich an, was die meisten arabischen Kabelsender - nicht nur
al-Jazzera - über Bagdad berichten. Die meisten verhalten sich wie Sprachrohre
des irakischen Informationsministers. Keiner von ihnen wagte es, Fragen zu
stellen - [nicht einmal] an dem Tag, als das Drama des Flugzeugabschusses in
Bagdad und die Verfolgung der Piloten am Tigris bekannt gegeben wurden. Niemand
fragte das Informationsministerium, das die Leute zusammenrief und sie zur
Beobachtung des Dramas schickte, wo das Flugzeug sei, das sich nach seinem
Abschuss nicht in Luft aufgelöst haben konnte oder wo die Fallschirme, die die
zwei benutzt hatten, geblieben seien? Leider erwies sich die Geschichte als
erfunden.
Beobachten sie die Unterschiede in Pressekonferenzen auf beiden Seiten. Im
Westen begnügen sich die Journalisten nicht damit, zuzuhören. Vielmehr
widersprechen sie, protestieren, prüfen nach, streiten um das, was ihnen
angetragen wird und decken Lügen in ihren Zeitungen und Fernsehsendungen auf. In
unseren Medien wird alles, was al-Sahhaf [der irakische Informationsminister]
sagt, so an die Öffentlichkeit gebracht, als ob er Freitagsprediger in einer
Moschee sei. [.]"
THE MIDDLE EAST MEDIA RESEARCH
INSTITUTE (MEMRI)
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