Disorientierung allenthalben:
Multikulturell und fast judenrein zwischen Bagdad und
BerlinVon Thomas von der
Osten-Sacken
Das "Haus der Kulturen
der Welt" will sich den "Juden von Bagdad" widmen und plant
deshalb den Film "Forget Baghdad" zu zeigen und die
irakisch-jüdische Schriftstellerin Mona Yahia einzuladen. Ein sehr
löbliches Unterfangen, denkt man. Schließlich sind die Millionen von
Juden aus arabischen Ländern, die in den letzten 50 Jahren
vertreiben wurden im Gegensatz zum Schicksal der palästinischen
Flüchtlinge hierzulande kein Thema.
Die weitere Lektüre der Pressemitteilung des "Hauses
der Kulturen" belehrt aber umgehend eines Besseren. "Über
Jahrtausende war der Irak Heimat einer blühenden jüdischen Kultur,"
heißt es dort weiter. "Erst als sich nach dem Ersten Weltkrieg die
antagonistischen Ideologien des Zionismus und Panarabismus im Nahen
Osten durchsetzten, kam es zu Repressionen gegen die jüdische
Bevölkerung."
Verzeihlich noch die Nichterwähnung der Tatsache,
dass der "gelbe Fleck" eine Erfindung der in Bagdad residierenden
Abassidenherrschaft war. Schließlich schreiben darüber die bekannten
deutschen Nahostexperten, die Michael Lüders, Scholl Latours und
Friedrich Schreibers, deren Analysen die Grundlage des hiesigen
Verständnisses sowohl der arabischen Strasse- als auch Seele
darstellen nicht. Warum aber die Ritualmordprozesse im osmanischen
Reich des 19. Jahrhunderts Teil der "blühenden jüdischen Kultur" und
nicht Beginn eines grassierenden arabischen Antisemitismus gewesen
sind leuchtet schon weniger ein.
Den Begriff Antisemitismus aber mag man im Haus der
Kulturen der Welt nicht benutzen und landet deshalb bei den
"antagonistischen Ideologien" Zionismus und Panarabismus, die
schließlich zum Massenexodus der Juden aus dem Irak geführt haben.
Wer also ist vornehmlich schuld am Ende der blühenden Kultur?
Zuallererst natürlich die Zionisten, deren Wunsch nach Schaffung
einer nationalen Heimstätte vom Haus der Kulturen als eine dem
Panarabismus gleichwertige "Ideologie" bezeichnet wird, nicht etwa
als Reaktion auf faschistisch-antisemitische Bewegungen, zu denen
die panarabische seit spätestens Mitte der 20er Jahre an prominenter
Stelle gehörte.
Der Irak stellte neben Palästina das Zentrum der
panarabischen Bewegung, die vor allem in Bagdad mit einem
eliminatorisch antisemitischen Programm auftrat. Mit Sa'ti Husri
fand sie einen glühenden Bewunderer der deutschen Romantik, des
Antisemiten von Schoenerer, der in der deutsch-völkischen Bewegung
ein Vorbild für die "Befreiung der arabischen Nation" von
Imperialismus und Fremdherrschaft sah. Sein Zeitgenosse Michel
Aflaq, Gründer der panarabischen Baathpartei besuchte Mussolinis
Italien und Nazideutschland.
Die Nähe zahlte sich aus. Deutsche Agenten strömten
in den 30er Jahren nach Bagdad um dortigen Panarabisten im Kampf
gegen Briten und Juden zu helfen. Ihren Höhepunkt fand diese
Kooperation 1941 in einem auch vom Großmufti aus Jerusalem
unterstützten Putsch panarabischer Offiziere um Raschid Ali gegen
die britische Mandatsherrschaft.
Neben der Liquidation von Kommunisten und
"probritischen Elementen" sollte, hieß es damals in einem
Kommuniqué, vor allem mit den Juden so verfahren werden, "wie es den
nationalen und völkischen Interessen der Araber entspricht, und wie
die Judenfrage in Deutschland gelöst worden ist".
Als britische Landetruppen dem Spuk im Juni desselben
Jahres ein Ende setzten, führten Mitglieder der Jugendorganisation
Futuwwa einen antisemitischen Pogrom, den Farhud, in Bagdad durch.
Yunis al-Sabawi, der Führer dieser Milizen drängte damals auf eine
sofortige Vernichtung der irakischen Juden, die ohne britische
Intervention das Jahr 1941 unter Umständen nicht überlebt hätten.
Auch Sami al Jundi, Mitbegründer der syrischen Ba'ath
Partei, stellte rückblickend fest: "Wir waren vom Nazismus
fasziniert (...) Wer in Damaskus lebte, dem konnte die Affinität des
arabischen Volkes zum Nazismus (...) nicht verborgen bleiben." Für
Saddam Hussein, der Hitlers "Mein Kampf" als wichtigstes Buch des
20. Jahrhunderts bezeichnete, stellten die Putschisten von 1941
direkte Vorgänger seiner Baathpartei dar. Rashid Ali konnte floh
nach Niederschlagung seines Putsches nach Berlin, von wo er,
gemeinsam mit dem Mufti von Jerusalem, das antisemitische "Radio
Freies Arabien" leitete.
1942 versprach Hitler seinen panarabischen
Bundesgenossen "Sobald die deutschen Armeen im Kaukasus
aufmarschiert sind, werde ich eine öffentliche Erklärung abgeben:
Die Zeit der Befreiung für die arabische Welt ist gekommen. Das
einzig deutsche Interesse dabei ist die Vernichtung der Juden. Der
Mufti ist der legitime Vertreter der arabischen Welt."
Glücklicherweise verhinderte die Rote Armee den Aufmarsch im
Kaukasus, ansonsten müsste heute der irakischen Juden wohl in Yad
Vashem gedacht werden.
Im Zentrum der panarabischen Ideologie stand und
steht ein eliminiatorischer Antisemitismus, ebenso aggressiv richtet
sie sich gegen alle anderen nichtarabischen Gruppen, seien es
Assyrer, Kurden oder Perser. Die lange Geschichte des Panarabismus
im Irak ist zugleich eine Geschichte unendlichen Leids, das der
irakischen Bevölkerung im Namen des Kampfes gegen den Zionismus
angetan wurde. Ein Großteil jener, deren Überreste dieser Tage in
den irakischen Massengräbern entdeckt wurden, seien es Kurden,
Schiiten oder andere irakische Bürger starben als "zionistische
Agenten". Schon in den 30er Jahren kritisierte ein ägyptischer Autor
der Panarabismus irakischer Prägung "drückt das Gefühl aus, daß die
Arbeit für das Wohl der arabischen Nation die Annahme einer
feindseligen Haltung gegenüber allen nicht arabischen Elementen
verlangt, gleich ob diese innerhalb des arabischen Raumes leben oder
außerhalb."
Die Verfolgung der irakischen Juden erreichte nach
1948 einen Höhepunkt, kulminierte allerdings erst 1967, als das
damalige irakische Regime antijüdische Gesetze nach Vorbild der
Nürnberger Rassegesetze erließ und dann ein Jahr später einen
Großteil der wenigen verbliebenen Juden öffentlich hinrichten ließ
in einer hysterischen Kampagne gegen Spione und zionistische
Agenten, die sich zuallererst gegen die jüdische Gemeinde dann gegen
andere Bevölkerungsgruppen richtete. Terror, Angst und Exekutionen
bestimmten das Leben der Juden im Irak, nachdem der Panarabismus in
Form der Baathpartei die Macht übernommen hatte.
In der Sprache des "Hauses der Kulturen der Welt"
liest sich dies dann so: "In Folge der arabisch-israelischen Kriege
mussten die Juden den Irak nach und nach verlassen,
irakisch-jüdisches Leben ging vom Zustand der alltäglichen Praxis in
den Bereich der Erinnerung über."
Von jenem jüdischen Leben, das auf dem
Unabhängigkeitsplatz Bagdads vom Zustand des Lebens in den Zustand
des Todes durch öffentliches Erhängen ging, spricht man in Berlin
dagegen lieber nicht. Der weiterhin virulente Antisemitismus in der
arabischen Welt, der inzwischen auch all jene Juden bedroht, die in
den vergangenen Jahren aus dem Irak nach Israel fliehen konnten,
passt offenbar nicht in das Programm eines "Hauses der Kulturen der
Welt". Lieber schwafelt man von einem "Spannungsfeld von Erinnern
und Vergessen, die Behauptung von Erinnerung im Exil, das Bewahren
und die Aneignung von Identität." Das hört sich gut an und jeder
friedensbewegte Freund des "irakischen Volkes", der sich bis zuletzt
mit Händen und Füßen gegen den Sturz im Irak verhassten Regimes
Saddam Husseins gewehrt hat, ebenso wie der Globalisierungskritiker,
der den arabischen Antisemitismus als Ausdruck des nationalen
Befreiungskampfes des palästinensischen Volkes verteidigt, haben
nämlich größtes Verständnis für das "Bewahren und die Aneignung von
Identität" - solange wie die irakischen Juden als ein weiteres Opfer
des Zionismus verbucht werden.
Erstveröffentlichung in: "die
jüdische" 25.06.2003
hagalil.com
29-06-2003 |