Islamischer Bürgerkrieg:
Der Geist des Jihad
Der irakische "Widerstand"
bereitet nicht nur den USA Probleme. Auch al-Qaidas internationaler
Jihad versinkt in einem islamischen Bürgerkrieg.
Von Thomas von der Osten-Sacken und Thomas Uwer
Jungle World
42 v. 6.10.2004
"Was im Irak stattfindet, ist die systematische
Zerstörung eines islamischen Landes." Auf den ersten Blick erscheint
die Einschätzung, die in der Onlinezeitung Sawt al-Jihad zu lesen
war, weder neu noch außergewöhnlich. Kein Zweifel, dass im Irak auch
im zweiten Jahr nach dem Sturz Saddam Husseins keine Sicherheit
herrscht. Gewöhnlich, und zumal von jenen, denen am Irak als einem
"islamischen Land" gelegen ist, werden hierfür die Koalitionstruppen
verantwortlich gemacht.
Umso bemerkenswerter ist daher, dass sich die
Kritik in Sawt al-Jihad, die immerhin als eine Art Theorieorgan des
al-Qaida-Netzwerks gilt, an den so genannten irakischen Widerstand
richtet. Weder das Töten irakischer Zivilisten, noch das Enthaupten
von Geiseln, noch Sabotageakte gegen Ölpipelines, heißt es dort,
entsprächen dem "Geist des Jihad". In der Publikation werden die
"internationalen Kämpfer" dazu aufgerufen, sich aus dem Irak
zurückzuziehen und sich dem Kampf gegen den "wirklichen Feind", die
USA, zu widmen.
Die ungewöhnliche Abrechnung der Jihadisten mit
ihresgleichen weckt indes lediglich durch ihre Deutlichkeit
Erstaunen. Seit Monaten schwelt ein Konflikt zwischen der operativen
Führung von al-Qaida und der Organisation "Monotheismus und Jihad",
die unter der Führung des Jordaniers Musab al-Zarkawi für die
meisten der spektakulären Anschläge im Irak verantwortlich gemacht
wird. Dabei geht es nur zum Teil um einen Führungsstreit zwischen
dem vermutlich ins afghanisch-pakistanische Grenzgebiet
zurückgedrängten Osama bin Laden und dem neuen shooting star der
Terrorszene, Zarkawi. Schon Zarkawis mediales Auftreten verdeutlicht
die Differenzen zu bin Laden, von dem seit Monaten nicht mehr als
auf Band gemurmelte Kurznachrichten zu vernehmen sind. Hatte sich
bin Laden als apokalyptischer Prophet mit guter Kinderstube
inszeniert, so glaubt Zarkawi an die Wirkung der Tat, indem er vor
laufender Kamera Geiseln enthauptet.
Im Februar hatte Zarkawi dazu aufgerufen, im Irak
einen Bürgerkrieg zu entfachen, und jeden eingeladen, daran
teilzunehmen. Eine Konzession an die Realität im Irak, wo sich
perspektivlose Ex-Ba’athisten, Gangster und Jugendliche aus den
verarmten Vorstädten zu bewaffneten Gruppen zusammengeschlossen
haben. Mehr als 40 namentlich in Erscheinung getretene bewaffnete
Gruppen üben im Irak terroristische Anschläge aus, wobei zwischen
ideologischen und rein kriminellen Motiven oft nicht unterschieden
werden kann.
Im Wesentlichen beschränkt sich der wahhabitische
"Widerstand" auf die mehrheitlich sunnitischen Städte Falluja,
Samara und Ramadi sowie auf einige Stadtteile Bagdads. Wer dort
warum was tut, ist völlig unklar. Auf die Frage, wer denn in Falluja
die "Mujaheddin" seien, erklärte Sheikh Abdallah al-Janabi, der
selbsternannte "Emir der Islamischen Republik Falluja", jüngst in
einem Interview mit der in London erscheinenden Zeitung al-Shark
al-Awsat, dies seien jene, die eine Waffe tragen und sich vermummen.
Große ideologische Standhaftigkeit ist von solchen Leuten kaum zu
erwarten.
Nicht nur organisatorisch unterscheiden sich
dieser "Widerstand" und Abu Musab al-Zarkawis Gruppe von al-Qaida,
die angetreten ist, die islamistischen Gruppen in einem Netzwerk und
unter einem exklusiven Wahhabismus zu einen. Al-Qaida verfolgt eine
langfristige Strategie, an deren Ende die Errichtung eines neuen
Kalifats steht, die Zerstörung der USA, die Vernichtung der Juden
und die Unterwerfung Europas. Dies eint sie mit vielen anderen
islamistischen Gruppen genauso wie die Einschätzung, dass vor allem
Arabien potenziell in der Lage ist, zukünftig die Rolle einer
Weltmacht zu spielen. Unterhalb dieser Gemeinsamkeiten liegt nicht
nur der seit Sayyid Qutb und Hassan al-Banna herrschende Streit, ob
der Errichtung des Kalifats die Selbstläuterung und -reinigung der
Muslime vorauszugehen habe oder ob diese im Krieg gegen die Feinde
vollzogen werde, sondern auch der Kampf um Kontrolle und
Disziplinierung islamistischer Gruppen im Sinne langfristiger Ziele.
Das transnationale Konzept der al-Qaida war nicht
nur eine Antwort auf die Erfahrungen mit den nach nationalen
Revolutionen strebenden klassischen islamistischen Bewegungen,
sondern auch auf den außer Kontrolle geratenen, aber im Wesentlichen
national begrenzten Terror der Bewaffneten Islamischen Gruppen (GIA)
in Algerien und des ägyptischen Jihad. Al-Qaida hielt dagegen
symbolkräftige Anschläge, die sich unmittelbar gegen den "großen
Satan" USA richteten, für das richtige Mittel.
Der als zweiter Mann hinter Osama bin Laden
eingestufte Ayman al-Zawahiri erklärte zwar erst jüngst, der Irak
werde zum Grab der USA. Doch könnte die Differenz zwischen dem
irakischen "Widerstand" und dem Konzept von al-Qaida kaum größer
sein. Der Terror im Irak und die auf Enklaven begrenzte Herrschaft
der "Mujaheddin" jeder Couleur erinnern mehr an die gefürchtete
"Fitna", das Chaos und den islamischen Bürgerkrieg, den al-Qaida
unbedingt zu vermeiden sucht, als an den Jihad, den bin Laden 1997
ausgerufen hat.
Mit dem Sturz Saddam Husseins stand der Feind
plötzlich im Herzen der arabischen Welt. Dies mag, folgt man der
Analyse von Reuven Paz vom israelischen Moshe Dayan Center, durchaus
im Kalkül al-Qaidas gelegen haben, die darauf hoffte, die USA im
Irak so zu besiegen wie zuvor die Sowjetunion in Afghanistan. Der
11. September und die darauf folgenden Kriege sollten die Schwäche
der Amerikaner zeigen, der islamischen Welt ihre Würde wiedergeben
und einen Keil zwischen Europa und die USA treiben. Bis auf
letztgenanntes hat al-Qaida jedoch keines ihrer Ziele erreicht. Wie
in Tschetschenien und Afghanistan ist im Irak eine Situation
entstanden, in der auch die internationalen "Mujaheddin" korrumpiert
werden und der Sache al-Qaidas Schaden zufügen. Wo einfache Mörder
von solchen mit göttlichem Auftrag ununterscheidbar werden,
verwischen die Grenzen zwischen "Fitna" und "Jihad".
Was für die US-amerikanische Außenpolitik Vietnam
ist, wurden für die Vordenker von al-Qaida Ägypten und Algerien, wo
der Jihad in den neunziger Jahren in einen unkontrollierten
Bürgerkrieg und Massaker an der Bevölkerung ausartete. Während es
den jeweiligen Sicherheitskräften einerseits gelang, mit schärfster
Repression die militanten Gruppen weitgehend zu zerschlagen, wandten
sich große Teile der islamischen Sympathisanten von den Terroristen
angewidert ab. Ein ähnliches Schicksal könnte dem irakischen
"Widerstand" blühen. Während die US-Armee in Samara eine
Großoffensive gestartet hat, boten jüngst verschiedene Stammeschefs
aus Falluja und Tikrit der irakischen Übergangsregierung an, die
internationalen Jihadisten in ihren Städten eigenhändig zu
bekämpfen. Und selten zuvor haben sich im arabischen Nahen Osten
derart viele Stimmen zu Wort gemeldet, die den Terror verurteilen
und dabei nicht die Politik der israelischen Regierung meinen.
hagalil.com
12-10-2004 |