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Die Kurden, der Krieg gegen den Irak und Israel:
Interview mit Haydar Isik

Herr Haydar Isik lebt in München als Freier Schriftsteller, er ist Kurde und Mitglied des Kurdischen Nationalkongresses

Das Gespräch führte Max Brym

Herr Haydar Isik, erzählen Sie uns zunächst einmal etwas zu Ihrer Person.

Ich bin 65 Jahre alt und 1937 in der kurdischen Stadt Dersim in der Türkei geboren. In der Türkei studierte ich Pädagogik und schloß zusätzlich eine Pharmaziestudium ab. Im Oktober 1974 entsandte mich der türkische Staat nach Deutschland um Kinder von türkischen Arbeitsimigranten zu unterrichten. Im Jahr 1980 forderte mich der türkische Staat auf in die Türkei zurückzukehren, dieser Aufforderung kam ich allerdings nicht nach.

Warum kamen Sie dieser Aufforderung in die Türkei zurückzukehren nicht nach?

Bekanntlich fand im Herbst 1980 in der Türkei ein Militärputsch statt, der sich gegen die stark gewordene türkische Linke richtete. Vor allem aber  gegen die sich formierende kurdische Nationalbewegung, die endlich ihre demokratischen Rechte durchsetzen wollte.

Das türkische Militär gilt hierzulande als Wahrer der säkularen Türkei. Richtete sich der Putsch nicht auch gegen islamisch-fundamentalistische Kräfte?

Überhaupt nicht. Jene spielte in der damaligen Türkei nur eine marginale Rolle. Dominierend waren die Linkskräfte, die sich Ende der 60-er Jahre im Rahmen der weltweiten Studentenbewegung in der Türkei formierten. Ihr Einfluß in der Studentenschaft war bis zum Militärputsch 1980 sehr hoch. Auch hatte sich eine Arbeiterbewegung formiert, mit einer radikalen gewerkschaftlichen Ausrichtung. Im Jahr 1978 wurde die Arbeiterpartei Kurdistans die PKK gegründet, die nach langer Zeit die türkische Staatsdefinition in Frage stellte. Nach jener bis heute geltenden Doktrin gibt es in der Türke keine Kurden. Die Militärjunta überzog damals das Land mit Terror und bereitete vor allem der türkischen Linken eine schwere Niederlage. Der Hauptterror wütete jedoch in der kurdischen Region.

Können Sie uns noch etwas näher auf den Militärputsch eingehen

Der Putsch fand in einer angespannten internationalen Lage statt. Im Jahr 1979 stürzten die fundamentalistischen Kräfte um Khomeni das Regime im Iran. Ende 1979 marschierte die Sowjetunion in Afghanistan ein und die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit fokusierte sich, auf diese zwei Gebiete. Im Schatten dieser weltpolitischen Ereignisse führten die türkischen Militärs ihren Putsch durch. Sie spekulierten darauf, daß ihr grausames Regime relativ unbeobachtet das Land mit Terror überziehen könnte. Das ist eine alte Taktik der türkischen Nationalisten, daß hat historische Kontinuität.

Was verstehen Sie unter historischer Kontinuität?

Die türkische Elite ist sehr geschichtsbewußt, sie weiß, daß man Grausamkeiten am Besten in Zeiten weltpolitischer Spannungszustände durchführt. Der Erste große Genozid im 20. Jahrhundert wurde unter Enver Pascha im 1. Weltkrieg begangen. 1915 rottete man ca. 1,5 Millionen Armenier im Osmanischen Reich ziemlich unbeachtet aus. Die Welt blickte auf den 1. Weltkrieg im Gesamten und der Genozid begangen an den Armeniern wurde ignoriert. Im Rahmen des türkischen Unabhängigkeitskampfes, ab 1918 unter der Führung von Mustafa Kemal, genannt Ata Türk, vertrieben die türkischen Truppen einige hunderttausend Griechen und ermordeten viele Menschen

Wie bewerten Sie die Entstehung der Türkei und den Unabhängigkeitskrieg zwischen 1918 und 1923?

Differenziert. Zunächst einmal war es völlig gerechtfertigt, den damaligen Besatzungsmächten, den Engländern, Franzosen und den Griechen Widerstand entgegenzusetzen. Die Briten und Frankreich, versuchten damals in der Türkei ein kolonialistisches Besatzungsregime zu etablieren. Widerstand dagegen war gerechtfertigt und auch die Kurden die unter französisches Mandant gestellt werden sollten, beteiligten sich an diesem Widerstand. Ihnen wurde von Seiten der Kräfte um Mustafa Kemal versprochen, in dem kommenden Staat den Türken gleichgestellt zu sein. Der türkische Staatspräsident sprach noch 1923 auf einer Konferenz in Lausanne von "einem Staat der Türken und Kurden". Von den negativen Begleiterscheinungen des nationalen Kampfes speziell den Massakern an den Griechen begangen von türkischen Nationalisten habe ich bereits gesprochen.

Wie ging es nach der Erkämpfung der türkischen Staatlichkeit in der Kurdenfrage weiter?

Die türkische Staatsführung brach sämtliche Versprechen, die Sie den Kurden in der Zeit des Unabhängigkeitskampfes gegeben hatte. Ab 1924 gab es nach offizieller türkischer Staatsdoktrin keine Kurden mehr. Praktisch über Nacht wurde die Sprache, die nationalen Trachten, die kurdische Identität als Straftatbestand behandelt. Diese Auffassung wurde mit den entsprechenden terroristischen Methoden durchgesetzt. Dies geschah unter dem Motto "Wer sich nicht als Türke fühlt, hat den Türken zu dienen." Der türkische Nationalstaatsgedanke war und ist rassistisch.

Herr Isik, Sie haben als Schriftsteller zwei Bücher über den Umgang der türkischen Staatsmacht mit den Kurden in den 30-er Jahren geschrieben. Könnten Sie uns kurz, etwas über diese beiden Bücher erzählen?

Das erste Buch hieß, "Der Agha aus Dersim". Dieses Buch wurde 1990 in der Türkei verboten und erschien 1994 in deutsch. Mittlerweile hat das Buch eine zweite Auflage erreicht und wird vom Bayerischen Kultusministerium für den Schulunterricht empfohlen. Mein neuestes Buch trägt den Titel, "Die Vernichtung von Dersim". Es erschien wiederum zuerst in türkisch 1996 und wurde umgehend in der Türkei verboten. Seit dem Jahr 2002 gibt es das Buch in deutsch. Ich will jetzt aber keine literarische Eigenwerbung betreiben, vielleicht könnten wir über die Zeit reden, in denen die beiden Romane spielen.

Gut, dann reden wird über die Jahre 1937/38 im Raum Dersim, Was ist da passiert?

Wiederum im Schatten der Weltgeschichte und des Weltinteresses führten die türkischen Staatsorgane ein Massaker in der kurdischen Stadt Dersim durch. Unter Führung von Seyid Riza erhoben sich die hauptsächlich alevitischen Kurden 1937 im Raum Dersim. Sie forderten Freiheit und Gleichheit. Die türkischen Staatsorgane ermordeten 1937 70.000 Kurden in dem genannten Gebiet. Dennoch dauerte der Aufstand bis 1938. Die türkischen Militärs spekulierten zu Recht darauf, daß die Weltöffentlichkeit sich mit dem Kampf gegen Franco und Hitler in Spanien befaßte. Diese türkische Spekulation war richtig, im Windschatten des europäischen Faschismus begingen sie ein bis heute relativ unbeachtetes Massaker. An dieser Stelle möchte ich betonen, daß der türkische Staat in der damaligen Zeit eng mit dem Hitlerfaschismus verbunden war. Es gab ideologische Übereinstimmungen wie z.B. das Verbot des 1. Mai´ als Arbeitertag in der Türkei, der bis heute nur als Frühlingstag gefeiert werden darf. Zur türkischen Definition der Nation habe ich bereits weiter oben gesprochen. Im 2. Weltkrieg war die Türkei trotz offizieller Neutralität einer der wichtigsten Rohstofflieferanten des deutschen Naziregimes. Erst kurz vor Ende des 2. Weltkrieges löste die Türkei diese Verbindung um im Lager der westlichen Alliierten auftauchen zu können.

Herr Isik wenden wir uns der Aktualität zu, Sie sind ja im hier und jetzt politisch sehr aktiv. Erzählen sie doch darüber.

Ich gehöre dem Kurdischen Nationalkongreß mit Sitz in Brüssel an, bin Mitglied des bayerischen Schriftstellerverbandes sowie der Gewerkschaft GEW.

Herr Isik, was ist denn der Kurdische Nationalkongreß?

Wie Sie wissen, gibt es weltweit zirka 35-45 Millionen Kurden. Die Masse von Ihnen circa 20 Millionen in der Türkei, 5 Millionen im Irak, über 9 Millionen im Iran und in Syrien 1,2 Millionen. Es gibt aber auch Kurden in verschiedenen Kaukasusstaaten. Der Nationalkongreß hat 300 Mitglieder, die allesamt gewählt wurden und ein ständiges leitendes Gremium bestehend aus 60 Mitgliedern. Ich gehöre diesem ständigem Gremium an. Der Kurdische Nationalkongreß repräsentiert unterschiedliche politische und gesellschaftliche Strömungen, sowohl Vertreter der ehemaligen PKK, heute KADEK, sowie bürgerlich liberale Richtungen. Der Kongreß repräsentiert zudem gesellschaftliche Bewegungen wie Frauen-, Jugend- und Kulturvereinigungen.

Sind im Kurdischen Nationalkongreß moslemisch- fundamentalistische Organisationen vertreten?

Nein. Wir lehnen islamischen Fundamentalismus, der für uns eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Faschismus hat, grundsätzlich ab. Wir bestehen auf der zivilisatorischen Errungenschaft der Trennung von Kirche und Staat, jeder religiöse Fanatismus wird von uns zurückgewiesen. In den kurdischen Gebieten sind solche Strömungen so gut wie nicht vorhanden. Selbstverständlich finden Sie auch religiöse Kräfte im Kurdischen Nationalkongreß , allerdings wie bereits gesagt keinerlei Fundamentalisten.

Was sind denn die Ziele der kurdischen Nationalbewegung?

Da die Kurden in verschiedenen Staaten leben, sind die Ziele natürlich zu spezifizieren. In der Türkei fordern wir, die Demokratisierung der Türkei, hin zu einer wirklichen demokratischen Republik, dies kann nur geschehen, wenn die Türkei die kurdische Identität anerkennt und die kurdische Sprache legalisiert wird. Wir fordern keine Spaltung der Türkei. Im Irak fordern wir die Schaffung einer autonomen kurdischen Staatlichkeit mit den Städten Kirkuk und Mosul. Wir streben eine demokratische Föderation mit dem Irak nach dem Sturz Saddam Husseins an.

Wie stehen Sie zum Irak unter dem Regime von Saddam Hussein?

Für uns Kurden ist das Regime Saddam Husseins, das schrecklichste Regime das es überhaupt gibt. Dieses Regime muß unbedingt beseitigt werden. Saddam Hussein brachte in der Zeit seiner Herrschaft Hunderttausende unserer kurdischen Landsleute um.

Befürworten Sie den bevorstehenden US-amerikanischen Krieg gegen den Irak oder haben Sie Vertrauen in die US-amerikanischen Diplomatie?

Tatsache ist, daß Regime Saddam Hussein, kann nur durch einen Anstoß von Außen gestürzt werden. Dennoch mißtrauen wir der US-amerikanischen Politik. Bereits mehrmals in der Geschichte machten uns die USA Versprechungen und ermutigten uns gar 1991 zu einem Aufstand gegen Saddam. Wir machten diesen Aufstand und die US-Administration ließ uns fallen und ermöglichte den Truppen von Saddam den kurdischen und schiitischen Aufstand blutig niederzuschlagen. Wir habe den Verdacht, daß es den USA eventuell darum geht, Saddam Hussein durch eine ähnliche Gestalt zu ersetzen. Dennoch hoffe ich, daß unser Mißtrauen gegen die US-amerikansiche Politik diesmal nicht gerechtfertigt ist. Trotzdem muß gesagt werden, Krieg ist schrecklich und trifft meist Unschuldige. Zudem befürchten wir einen türkischen Einmarsch in die kurdischen Gebiete im Irak.

Eine andere Frage, wie steht der Kurdische Nationalkongreß zur israelischen Politik und zum Existenzrechts Israels?

Israel ist der einzige demokratische Staat in der Region. Für uns ist des Existenzrecht Israels absolut zu gewährleisten. Wir Kurden haben uns viel mit der jüdischen Geschichte befaßt und können die Schoa, die dem Staat Israel die entscheidende Legitimierung gegeben hat gut nachvollziehen. Auch wir Kurden wurden in unserer Geschichte meist verfolgt, mißhandelt und getötet. Daß soll nicht die Einmaligkeit der Schoa ignorieren, sondern nur belegen, daß wir die Leiden der Juden gut nachvollziehen können. Die Juden  haben das Recht auf einen eigenen Staat. Was nicht heißt, daß wir jede israelische Regierungspolitik unterstützen. Im Gegenteil, wir haben unsere Kritik an bestimmten Aspekten der israelischen Staatspolitik. Wir gehen davon aus, daß die palästinensischen Selbstmordattentate menschenverachtende, faschistoide Aktionen sind. Dennoch wird auf Dauer nur eine Zwei-Staatenlösung, ein selbständiges Palästina und ein unabhängiges Israel, die Chance auf einen Frieden bieten.

Es gab bei Teilen der deutschen Linken in der Vergangenheit das Gerücht, in der kurdischen Nationalbewegung gäbe es antisemitische Tendenzen.

Es ist ein Gerücht, geradezu lachhaft. Antisemitismus können Sie in der türkischen Parteienlandschaft finden, die faschistische MHP vertreibt in der Türkei völlig legal in türkisch Hitlers " Mein Kampf".  Die jetzt in der Türkei regierenden Fundamentalisten geben sich nach außen zwar weltoffen, aber in den Moscheen wird eine andere Sprache gesprochen. Nun zurück zur kurdischen Bewegung. Persönlich sprach ich an Weihnachten 1998, in Rom mit Abdullah Öcalan über Israel. Er sagte mir in einem langen Gespräch, daß er von Syrien die Schnauze voll hätte und ich mich persönlich um Kontakte mit dem israelischen Staat bemühen sollte.

Was heißt "von Syrien die Schnauze voll"?

In Syrien selbst sind 1,2 Millionen Kurden vollständig rechtlos. Sie besitzen keinen syrischen Paß, dürfen keinen Grund und Boden erwerben, haben den Status von Geduldeten, denen die meisten Erwerbsquellen verschlossen sind. Zudem "arabisiert" das syrische Regime die kurdischen Gebiete, d.h. die Kurden sollen vollständig aus Syrien verdrängt werden.

Ist es Ihnen gelungen, mit offiziellen Stellen des Staates Israel in Kontakt zu treten?

Leider nicht, wir haben nur Kontakte zur israelischen Friedensbewegung und zu Nicht-Regierungsorganisiationen. Dies ist aber unserer Meinung nach nicht ausreichend. Im Jahr 1999 nach dem Zwischenfall in Berlin, bei dem 4 Kurden aufgrund einer unbedachten Aktion auf dem israelischen Botschaftsgelände um das Leben kamen, bemühte ich mich, sofort darum, die Spannungen zu reduzieren. Damals hatte ich nach längeren Telefonaten mit Ignatz Bubis einen Termin mit ihm vereinbart. Das Gespräch zwischen Kurden und dem Zentralrat der Juden kam leider aufgrund der schweren Erkrankung von Herrn Bubis nicht zustande. Aber auch wegen der Ereignisse in Berlin. Mir war klar, daß es in Deutschland darum gehen muß, zwischen Juden und Kurden einen Dialog herzustellen. Zur Klarstellung es war ein Termin mit dem Repräsentanten der Juden in Deutschland nicht mit einem Vertreter des israelischen Staates, das muß man streng voneinander trennen. Trotzdem halte ich es  für sinnvoll, wenn die kurdische Nationalbewegung mit dem israelischen Staat Gespräche führen könnte. Diese Gespräche können bezüglich der Region nur nützlich für beide Seiten sein.

hagalil.com 05-02-2003

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