Scheitern als Chance:
Die Folgen deutscher Irakpolitik
Von Thomas Uwer und Thomas von der Osten-Sacken
"Von der arabischen Wüste her wehte der Wind
den feinen gelben Staub herüber, der, beim Hinweggleiten über den
breiten Meeresarm mit Feuchtigkeit gesättigt, wie ein schwerer
atembeklemmender Nebel über der in Gluthitze brütenden Hafenstadt
Buschir am Persischen Golf lagerte." Mit Mühe versucht der Biograph
Stimmung zu erzeugen. Es ist Frühjahr 1915, sein Held, Konsul
Wilhelm Waßmuss, verlässt gerade das Persische Buschir und da ihm
dort niemand nachtrauert, lässt er die Landschaft in Trübsinn
verfallen.
Dass Dagobert von Mikusch, Autor des 1937 in
Berlin erschienenen Bändchens "Waßmuss, der deutsche Lawrence",
seine Heldenbiographie mit einer derart bemühten Naturbetrachtung
beginnt, entspricht der Konvention. Denn wo immer sich deutsche
Diplomaten und Forscher an "ihren" Orient erinnern, tun sie dies in
Zwiesprache mit der Natur, in der sie immer fort sich selbst
entdecken. "Waßmuss fühlte", heißt es weiter, "daß mit dem Glauben
an eine vom Geschick auferlegte Aufgabe die Frage von Recht und
Unrecht sich auf eine andere Ebene verschob, sich heraushob aus der
privaten Sphäre, auf die er selbst mangels einer seinem Volk zum
Bewusstsein gekommenen höheren Bestimmung angewiesen blieb. Er
selbst hegte deshalb so rege Sympathie für die Perser, weil es sich
um ein unterdrücktes Volk handelte." Und ein ebensolches, dies ist
der eigentliche Sinn des Fühlens und Ahnens, sind die Deutschen
auch.
So voller "Sympathie" für die Perser war Waßmuss,
dass er äußerlich kaum mehr unterscheidbar war von jenen Stämmen,
deren Aufstand gegen die britischen und russischen Imperialisten er
sich im Dienste des deutschen Kaisers über zwei Jahrzehnte
verschrieben hatte. Er reiste in Stammestracht durchs Land,
verteilte in Berlin gedruckte islamische Schriften und organisierte
den Heiligen Krieg gegen das britische Empire. "O Perser", rief er
aus, "jetzt ist es an der Zeit, euch der heiligen Sache zu weihen!
Schreckt ihr jetzt, wo der gesamte Islam vom ungläubigen Feind
bedroht wird, vor dem Opfer zurück? Was wollt ihr dann dem Propheten
am Tage des Gerichts antworten?" Mehr als vor dem Tag des Gerichts
schreckten die meisten seinerzeit jedoch vor Waßmuss zurück, weshalb
sein Plan, Großbritannien und Russland aus der Golfregion zu
verdrängen und einen deutschen Platz an der Sonne zu schaffen,
scheiterte. Konsul Waßmuss wurde des Landes verwiesen, kehrte später
als Privatmann zurück und scheiterte erneut, diesmal bei dem
Versuch, eine deutsche Agrarsiedlung im Iran aufzubauen. Was blieb,
waren die Erinnerungen eines Mannes mit höherer Aufgabe und die Idee
einer indo-germanischen Sendung, die in den antikolonialen Kreisen
Teherans bis hinauf zu Rezah Schah sich in das Selbstverständnis der
jungen iranischen Nation einfraßen und in den 30er Jahren,
unterstützt von Deutschland, in einem bizarren Arier Kult
kulminierten.
Die Konvention hat Bestand. Fast hundert Jahre
später wirkt diese kleine Episode aus der Geschichte deutscher
Orientpolitik wie ein Lehrstück zur jüngsten Nahostpolitik. Mit der
Verkündung eines "deutschen Wegs" durch Gerhard Schröder im
vergangenen Jahr hat sich die deutsche Außenpolitik auf die Spuren
der Vergangenheit begeben. Zweimal in der Geschichte hat sich
Deutschland auf der Seite der "unterdrückten Völker" des Nahen
Ostens engagiert – unter Kaiser Wilhelm II und dessen "Drang nach
Osten" sowie unter Adolf Hitler. Beide hatten sich zur Durchsetzung
ihrer Ziele nationalistischer und antibritischer Bewegungen nicht
nur bedient, sondern entscheidend an ihrer ideologischen Entwicklung
und Radikalisierung mitgewirkt. Wie Reminiszenzen an vergangene Tage
wirkten daher nicht nur der Vorwurf, der US-Regierung sei es
lediglich um die irakischen ?lquellen gelegen, und der
transatlantische Streit, den die kompromisslose Haltung der
Bundesregierung ausgelöst hat, sondern auch jener an den Tag gelegte
Rigorismus, selbst dann noch an dem bereits eingeschlagenen Kurs
festzuhalten, wenn dieser sich längst als falsch oder doch zumindest
schädlich herausgestellt hat.
Denn misst man das Erreichte an den erklärten
Zielen, so weist die jüngste deutsche Irakpolitik eine derart
klägliche Bilanz auf, dass es in der Tat fraglich erscheint, welchen
Vorteil sich die Regierung Gerhard Schröders von diesem "deutschen
Weg" versprochen hat. Von ihrem Vorhaben, den irakischen Diktator
Saddam Hussein zu stürzen jedenfalls haben sich die Vereinigten
Staaten genauso wenig abbringen lassen, wie die Vereinten Nationen
der deutschen Voraussage folgen wollten und in Staub zerfielen. Vom
deutschen Projekt einer "gemeinsamen europäischen Außen- und
Sicherheitspolitik" unter dem Vorsitz von Außenminister Fischer
indessen ist kaum mehr die Rede, seit sich herausgestellt hat, dass
ein nicht unerheblicher Teil Europas in außenpolitischen Fragen von
Bedeutung den Amerika eher traut, als den europäischen
Führungsmächten Deutschland und Frankreich, die sich von einem
regelrechten Cordon Sanitaire der "Koalition der Willigen"
umschlossen fanden. Die deutsche Wirtschaft, die gerade dabei war,
den irakischen Markt wieder für sich zu erschließen, wird auf
absehbare Zeit einen schlechten Stand haben, wenn es darum geht, mit
der künftigen irakischen Regierung ins Geschäft zu kommen.
Erfolg hatte Schröder hingegen wo anders. Die
deutsche Weigerung, den Sturz Saddam Husseins zu unterstützen oder
doch wenigstens hinzunehmen, wurde nicht zufällig als Unterstützung
von genau jenen empfunden, die eine Demokratisierung der arabischen
Staaten des Nahen Ostens am meisten fürchten. Als am 9. April
amerikanische Truppen in bagdad einmarschierten und 30 Jahre
Ba’thdiktatur beendeten, reagierte die deutsche ?ffentlichkeit in
ähnlich geschockt, wie die Regimes des Nahen Ostens. "Was die
Befreiung anbetrifft", sagte Bundestagsvizepräsidentin Antje
Vollmer, "so glücklich wollte dieses Volk nicht aussehen, auch nicht
jene US-gestützten Straßengangs von männlichen Jugendlichen." Die
zugrundliegende Vorstellung, wonach nicht die Freiheit von Diktatur,
sondern das Ende fremder Besatzung "Befreiung" ist, teilt sie mit
arabischen Nationalisten und Islamisten.
Es mag an der Tendenz der Geschichtsschreibung
liegen, Taten an ihren unmittelbaren Ergebnissen zu messen und nicht
am Willen der Beteiligten, dass dem deutschen Wirken im Nahen Osten
wenig Aufmerksamkeit geschenkt wurde. In der Tat könnte man das
Scheitern diplomatischer und militärischer Unternehmungen zum
eigentlichen Markenzeichen deutscher Orientpolitik erklären. Von
Wassmuss’ Perseraufstand über die berühmte Afghanistanexpedition
oder die pénétration pacifique des Osmanischen Reiches unter Kaiser
Wilhelm II endeten die militärischen und diplomatischen Abenteuer in
Nahost regelmäßig im Desaster. Leichthin wird daher übersehen, dass
der Kampf um deutsche Interessen in Nahost auch im Namen einer
historischen Mission geführt wurde, in der sich Deutschland an die
Seite der unterdrückten Perser, Muslime und später Araber geschlagen
sah. Gerade die Misserfolge deutscher Nahost-Eroberung stellen das
Kapital dar, mit dem die deutsche Außenpolitik immer wieder
erfolgreich um die Gunst panislamischer und nationalistischer
Bewegungen buhlte und die dem Berliner Außenamt bis heute in der
Region den Ruf eines "ehrlichen Maklers" ohne koloniale
Vergangenheit beschert.
Wie wirkungsvoll die deutsche Nahostpolitik auch
dann war, wenn sie ihre unmittelbaren politischen und militärischen
Ziele verfehlte, zeigt das Beispiel des Diplomaten Dr. Fritz Grobba,
der von 1932 bis 1941 deutscher Geschäftsführer in Bagdad war und
dort jene arabischen Nationalisten unterstützte, die im Irak seit
1936 in immer kürzeren Abständen Regierungen einsetzten und wieder
stürzten. Wer nicht gleich im Sold der deutschen Botschaft stand,
suchte doch zumindest deren ideelle Unterstützung, um sich gegen die
wachsende pro-deutsche Falange abzusichern. Zum Ende der dreißiger
Jahre wurde im Irak keine Regierung mehr gebildet, an deren
Zusammensetzung das deutsche Außenamt nicht wenigstens durch
Konsultationen beteiligt war. Als Grobba und sein Stab 1941 den Irak
verließen, befanden sie sich auf der Flucht vor britischen Truppen.
Sie hinterließen ein Land, das mit ihrer Unterstützung nicht nur die
erste faschistische Diktatur der Region erlebt hatte, sondern in
dessen Politik der Antisemitismus als feste Größe eingeführt war.
Natürlich hatte sich Grobba einen handfesteren
Erfolg gewünscht. In den arabischen Nationalisten sah das Auswärtige
Amt Verbündete im Kampf um die Vorherrschaft in der
Mittelmeerregion. "Selbst wenn die arabische Freundschaft zu
Deutschland von eigenen Interessen geleitet ist," berichtete Grobba
seinem Dienstherren in Berlin, "so ist sie doch ein wichtiger
Faktor, aus dem wir sowohl politischen, als auch ökonomischen Nutzen
ziehen können." Ein Aufstand der Araber in den Kolonien und
Mandatsgebieten, so hoffte Grobba, würde Frankreich und
Großbritannien empfindlich schwächen. Deutsche Agenten unterstützen
daher vom Maghreb bis in den östlichsten Teil der arabischen
Halbinsel antikoloniale arabische Bewegungen. "Dieselben Agenten,
die ... in Palästina gearbeitet haben – gegen die Juden, aber auch
gegen die Engländer – arbeiten heute in Algerien – gegen die Juden,
aber auch gegen die Franzosen", wird bereits 1937 in der Jüdischen
Revue die deutsche Propaganda beschrieben. Grobba sah, wie viele
andere, in den nationalistischen Bewegungen der arabischen Halbinsel
allerdings durchaus nicht nur Verbündete im Kampf gegen die
Westalliierten, sondern Brüder im Geiste. In dem 1939 erschienen
Buch "?lkrieg" beschreibt Anton Zischka, woraus die deutsche Liebe
zu den Arabern entsprang: "Der Kampf um das ?l Mesopotamiens, um die
Bagdadbahn und damit den Persischen Golf, war nur der Auftakt eines
viel grausigeren Kampfes gewesen. Der "Drang nach Osten" war ja den
Engländern längst ein Dorn im Auge und nicht der unwesentlichste
Grund zur Weltkriegseinkreisung." Deutschland und Arabien erschienen
dieser Fraktion der Nationalsozialisten als im gleichen Kampf um
Raum und gegen die Macht internationaler Finanzmagnaten zu stehen.
Lange allerdings fehlte ihnen die volle Unterstützung Adolf Hitlers,
der erst in seinem berüchtigten Testament aus dem April 1945 es als
Fehler bezeichnete, den arabischen Freiheitskampf nicht aus vollem
Herzen unterstützt zu haben, sich Mitte der 30er Jahre allerdings
über die Araber noch als "bemalte Halbaffen" ausließ.
Es gab allerdings eine bedeutende Gruppe innerhalb
der deutschen Regierung, die schon früh auf ein deutsch-arabisches
Kampfbündnis setzte. 1934 veröffentlichte das
Reichspropagandaministerium ein Memorandum zur "kulturellen
Propaganda" gegenüber "Ländern und Völkern in unserem Interesse", in
dem die gezielte ideologische Anbindung nationaler und
pan-Bewegungen an Deutschland propagiert wird. "Muß die Tatsache
also noch bewiesen werden," heißt es dort, "daß Jugoslawen,
Bulgaren, Türken und Ägypter, die deutsche Schulen besucht haben
oder wenigstens deutschen Unterricht genossen oder an deutschen
Universitäten studierten, weniger kosten und weitaus einflußreicher
sind, als eine ganze Armee von Vertretern und Agenten für deutsche
pharmazeutische Waren?" - im Falle des Irak sicherlich nicht. Die
Bedingungen, auf die der Botschafter Grobba und seine Agenten in
Bagdad stießen, waren mehr als günstig. Der Irak war von den Briten
bei seiner Gründung unter die Regentschaft des Hashemiten-Königs
Faisal gegeben worden, der für die Aufteilung der Region zwischen
Frankreich und Großbritannien im Sykes-Piquot Abkommen entschädigt
werden sollte. In London erhoffte man sich so die Gunst der
panarabischen Elite zu erwerben, deren von Faisal angeführten
Aufstand gegen die Osmanen man einst unterstützt, später aber fallen
gelassen hatte. Statt Gunst jedoch beherrschten Unzufriedenheit und
antibritische Sentiments die Eliten. Die neue Staatsklasse
rekrutierte sich aus Offizieren und Beamten, die den Irak von Beginn
an als unzureichenden Ersatz empfanden und deren eigentliches Ziel
weit über die nationalen Grenzen hinaus in einem arabischen
Großreich lag. Deutschland galt hier, nicht nur aufgrund der
Erfahrungen, die viele Offiziere mit der preußischen Militärschule
im Osmanischen Reich gemacht hatten, als Vorbild für die eigenen
großarabischen Ambitionen. Die Araber standen vor dem Problem, daß
"sie keinen ‚arabischen’ Staat hatten", erklärt der Historiker Reeva
Simon die germanophile Disposition der Panarabischen. Das
bürgerlich-republikanische Nationsmodell, das die Existenz eines
legalen Staates voraussetzt, kam für sie schon von daher nicht in
Frage. "Nichtsdestotrotz waren sie (nach ihrer Vorstellung) eine
Nation." Der kututuralistische deutsche Nationalismus, "mit seiner
Trennung von Nation und Staat, von kulturellem ‘Sein’ und legalen
Institutionen, wurde folgerichtig zum Vorbild." Deutschland und die
"arabische Nation" hatten aus dieser Perspektive auch gemein, daß
ihr nationales Programm an der Intervention der selben westlichen
Staaten gescheitert war.
Auch das schwerwiegende Manko des arabischen
Nationalismus, aus der Niederlage heraus einen Nationalbegriff zu
entwickeln, hatte Deutschland in den Augen der Panarabischen
beispielhaft gelöst, das sich nach der Niederlage im Ersten
Weltkrieges erneut zu einer Großmacht entwickelt hatte. So entwarf
der Theoretiker des arabischen Nationalismus, Sa'ti Husri, eine fast
mystische arabische Kulturnation, die nur äußerlich durch nationale
Grenzen voneinander getrennt sei. Husri, zu dessen Vorbildern neben
Herder, Fichte und Ernst Moritz Arndt auch der radikale Antisemit
und Pangermane van Schönerer zählte, waren die aus dem Kolonialismus
hervorgegangenen neuen Staaten genauso verhasst, wie die
nicht-arabischen Minderheiten, die innerhalb dieser einen Anspruch
auf Macht erhoben. "Husrismus" bemerkte ein ägyptischer Autor
damals, "drückt das Gefühl aus, daß die Arbeit für das Wohl der
arabischen Nation die Annahme einer feindseligen Haltung gegenüber
allen nicht arabischen Elementen verlangt, gleich ob diese innerhalb
des arabischen Raumes leben oder außerhalb." Diese Feindseeligkeit
richtete sich bei Husri, der engen Kontakt zur deutschen
Gesandtschaft in Bagdad unterhielt, seit Mitte der Dreißiger immer
offener gegen die Juden.
Erleichtert wurde die Arbeit deutscher Agenten
auch durch die Widersprüche der imperialen britischen Politik.
Formal unabhängig, waren der irakische Staat und seine
militärisch-bürokratische Elite in der politischen Praxis nach wie
vor weitgehend an Großbritannien gebunden. Innerhalb der
Nomenklatura des Staates scheiterte der vor allem gegen die Briten
gerichtete Panarabismus immer daran, daß seine Träger im Alltag
praktisch ständig mit ihren Feinden kooperieren mußten. Die Arbeit
der deutschen Vertretung in Bagdad konzentrierte sich daher vor
allem auf jene marginalisierten Zirkel arabischer Nationalisten, die
im Hinblick auf die jüdische Immigration in Palästina offen mit der
deutschen Rassepolitik sympathisierten und eine neue aufstrebende
urbane Gesellschaftsschicht darstellten, die sich im Gegensatz zu
den traditionellen Notabeln oder Stammesfürsten befand. Über diese
"Palästina"-Komitees erfuhr die panarabische Idee eine neue
Gewichtung. Galt den Panarabischen die jüdische Einwanderung nach
Palästina lange Zeit als Ausdruck kolonialer Politik gegen die
Araber – da die Briten diese doch duldeten - so konzentrierte sich
die Wahrnehmung nunmehr gänzlich auf eine verzerrte und rassistisch
begründete Beschäftigung mit dem Zionismus, bis die Rolle der Briten
nur noch zu der von Helfern der eigentlichen "jüdischen Bedrohung"
geschrumpft war. Der Antisemitismus wurde so über "Palästina" zu
einer ideologischen Konvention, mittels der sich die panarabische
Überzeugung äußern konnte, ohne in direkten Konflikt mit der
britischen Imperialmacht zu geraten.
Die Arbeit der deutschen Gesandtschaft richtete
sich gezielt auf eine massenwirksame Verbreitung dieser Konvention.
Unterstützung erhielt sie dabei seit 1939 von Hadj Amin Al-Husseini,
dem Mufti von Jerusalem, der über Beirut nach Bagdad gelangt war und
eine der zentralen Figuren der Panarabischen wurde, die sich um die
deutsche Gesandtschaft versammelten. Über den Archäologen Dr.
Jordan, der im Dienst des Reichspropagandaministeriums stand, wurden
zuerst an den Universitäten des Landes, später auch an ausgewählten
Schulen, deutsche Lehrkräfte eingesetzt. Die deutsche Botschaft
lieferte Bücher und Hefte an Schulen, richtete einen
Studienaustausch ein und lud Beamte des Erziehungsministeriums zur
Fortbildung nach Deutschland. Mit durchschlagendem Erfolg.
Der Leiter der Behörde, Mohammad Fadhil al-Jamali
zeigte sich vor allem fasziniert von dem "militärischen Geist", der
an deutschen Schulen herrsche, wo "Schülern nicht der Kopf verstopft
wird mit Fakten, sondern wo es um die Herausbildung von Charakter"
gehe. Auch sein Kollege Sami Shawkat, der von Berlin mit SA-Uniform
nach Bagdad zurückkehrte und der, wie es in den Bulletins des
britischen Nachrichtendienstes heißt, sich gerne "besonders deutsch"
gab, war vor allem von der Hitler-Jugend fasziniert. In Anlehnung an
die HJ gründete er die Studentenorganisation Futuwwa, über deren
Aufgaben er 1939 der Zeitung Al-Bilal erklärte: "Wir wollen Krieg.
Wir wollen unser Blut vergießen für das Heil des Arabertums."
Dieser Gedanke schlug sich auch im Curriculum für
die staatlichen Schulen nieder, in denen die "Geschichte der Araber"
nunmehr als völkische Überlegenheitsvision einer arabischen "Wiege
der Zivilisation" gegenüber den "zugewanderten und minderwertigen
Völkern" – Juden, Assyrer, Chaldäer – gelehrt wurde. Deutsch
verdrängte Französisch als zweite Fremdsprache, die Geschichte des
deutschen "Volkes" wurde als Vorbild für das "arabische Erwachen"
obligatorisch. Shawkat empfahl sogar, in Anlehnung an sein deutsches
Vorbild, eine öffentliche Verbrennung "unarabischer" Bücher. Das
Lehrmaterial sei ein "Katechismus des Hasses" beschwerte sich eine
besorgte Mitarbeiterin der britischen Botschaft bei der irakischen
Regierung – ergebnislos.
Über den palästinensischen Arzt Dr. Ruwayha, der
später als Nazi-Spion von den Briten inhaftiert wurde, förderte die
deutsche Gesandtschaft "Hilfsprojekte" in irakischen Kliniken und
nahm sich über den Präsidenten der medizinischen Fakultät, einem
Bruder von Sami Shawkat, der Ärzteschaft an. Offiziell war Ruwayha
Botschaftsarzt, inoffiziell arbeitete er als Mittelsmann zu jenen
klandestinen Zirkeln, die illegal Waffen ins Mandatsgebiet Palästina
schmuggelten und aus denen sich die spätere faschistische Regierung
rekrutierte.
Die britische Vertretung in Bagdad hingegen konnte
oder wollte lange Zeit diese Aktivitäten nicht wahrhaben. Noch 1938
wurde der Wunsch des irakischen Premierministers Nuri al-Sa’id
zurückgewiesen, Grobba auszuweisen. Erst als es 1939 in mehreren
Städten zu Unruhen kam, die in der Ermordung des britischen Konsuls
Monck-Mason gipfelten, änderte sich die Wahrnehmung. Nachdem die
verhafteten Organisatoren der Aufstände aussagten, ihre Flugblätter
seien von deutschen Lehrern formuliert und mit Hilfe der Botschaft
gedruckt worden, wurden rund ein Dutzend Deutsche, darunter auch der
Archäologe Dr. Jordan des Landes verwiesen. Damit war freilich nur
ein kleiner Teil der deutschen Beteiligung aufgedeckt.
Die deutsche Legation, berichtete das
Verbindungsbüro der Royal Airforce nun alarmiert nach London,
finanziere nicht nur den Studentenbund Futuwwa, dem die Verhafteten
angehörten, sondern sei finanziell stark an der arabischen Presse
beteiligt und habe die Zeitung Al-Alam al-Arabi praktisch
übernommen. Dort erschien seit 1938 unter anderem Hitlers "Mein
Kampf" auf Arabisch. Auf Grobbas Initiative wurden irakische
Journalisten zu "Weiterbildungen" nach Berlin eingeladen,
Redaktionen wurden kostenlos mit deutschen Agenturmeldungen und
"Fotographien aus dem Reich" versorgt. 1937 hatte Grobba umgekehrt
einen Besuch Baldur von Schirachs beim Studentenverband Futuwwa in
Bagdad organisiert, woraufhin dieser ein Jahr später eine eigene
Delegation zum Reichsparteitag der NSDAP nach Nürnberg entsandte.
Daß all dies den britischen Behörden entgangen sein soll ist schwer
vorstellbar. Wahrscheinlicher ist, daß diese dem Treiben so lange
zusahen, wie dieses sich scheinbar nur gegen Juden richtete. Diese
Haltung sollte sich bald rächen.
Im Juli 1940 dient sich ein Kreis panarabischer
Offiziere den Achsenmächten als künftiger Verbündeter an. Sie
erklären sich bereit, nach einer Machtübernahme mit Großbritannien
zu brechen, sofern sie den Schutz der Achsenmächte genießen.
Deutschland und Italien sollen zuvor eine Verpflichtungserklärung
unterzeichnen, in der sie die nationale Unabhängigkeit arabischer
Staaten anerkennen und erklären: "Deutschland und Italien anerkennen
das Recht der arabischen Länder, die Frage der jüdischen Elemente,
die sich in Palästina und in den anderen arabischen Ländern
befinden, so zu lösen, wie es den nationalen und völkischen
Interessen der Araber entspricht, und wie die Judenfrage in
Deutschland gelöst worden ist." Während die Erklärung – mit Ausnahme
des Selbstbestimmungsrechts arabischer Nationen – von Deutschland
sofort akzeptiert und über Radio ausgestrahlt wird, verhindert
Italien den geplanten Deal in letzter Sekunde. Grobba, der seit
Kriegsausbruch aus dem Irak verbannt ist, drängt dennoch weiter auf
eine Unterstützung der Putschisten. Ein erfolgreicher
Militärstreich, so seine Begründung, würde die strategisch wichtige
Nachschubroute britischer Soldaten unterbrechen, die vom indischen
Subkontinent ans Mittelmeer verlegt wurden. Als im April 1941 der
Putsch erfolgt und der irakische Faschist Rashid Ali Al-Gaylani die
Anbindung seiner "Nationalen Notstandsregierung" an die Achsenmächte
propagiert, reist Grobba in eiliger Mission nach Bagdad, um die
Unterstützung des neuen Regimes zu koordinieren. Als er eintrifft,
befindet sich dieses bereits in arger Bedrängnis.
Während britische Landetruppen von der Hafenstadt
Basra aus nach Norden vorrücken, haben die Jugendgruppen Futuwwa und
al-Kata’ib al-Shabab unter Yunis al-Sabawi praktisch die
Polizeigewalt übernommen und terrorisieren die Bevölkerung. Sabawi,
der sich selbst zum Gouverneur mehrerer Provinzen ernennt, war zuvor
Angestellter der deutschen Botschaft und übersetzte Artikel aus
"Stürmer" und "Völkischer Beobachter" ins Arabische. Ende Mai
verhängt er eine Ausgangssperre für Juden und kündigt deren
Ermordung an. Unter dem Eindruck des Terrors beteiligen sich in
Bagdad nur wenige Menschen an den täglichen Aufmärschen unter der
Führung des Muftis Al-Husseini. Schiitische Stämme im Süden, die
Kurden im Norden und Teile des Militärs stehen dem Regime offen
feindselig gegenüber und unterstützen die Briten. Grobba ist
angesichts der Lage verzweifelt, kann aber dennoch bis Mitte Mai
erwirken, daß Militärunterstützung von der deutschen Führung
zugesagt wird. Als schließlich Jagdflugzeuge der Luftwaffe in Bagdad
eintreffen, schießen irakische Soldaten versehentlich die erste
Maschine mitsamt des deutschen Fliegeridols Major von Blomberg ab.
Grobba, sollte ein deutscher Agent gegenüber US-Streitkräften später
aussagen, sei ein "Idiot" gewesen, mit der "Vision, als zweiter
Lawrence von Arabien einen Aufstand anzuführen". Er habe völlig
übersehen, daß ein solcher Aufstand vorbereitet werden muß.
Die deutschen Waffen, die Grobba angefordert hat,
erreichen Bagdad Anfang Juni. Gaylanis Regierung ist zu diesem
Zeitpunkt bereits gestürzt. Im letzten Moment verläßt auch der
deutsche Lawrence Bagdad, das bereits von britischen Truppen
eingekreist ist. An Bord seiner Maschine befinden sich Gaylani und
der Mufti von Jerusalem, die ihren panarabischen Kampf nunmehr von
Berlin aus weiter führen. Ihre zurückgebliebenen Kampfgefährten
verüben noch in der selben Nacht einen antisemitischen Pogrom, den
ersten in der Geschichte des Irak. 179 irakische Juden werden
ermordet, an die Tausend verletzt. In seinen Memoiren streitet
Grobba später jede Verantwortung ab. Als Beleg für die "guten
Beziehungen" zwischen der deutschen Botschaft und den "gänzlich
unpolitischen" irakischen Juden führt er an, daß selbst der Rabbiner
der Bagdader Gemeinde ihn konsultiert habe. Dieser hat Grobba in der
Tat aufsucht. Er bat ihn vergeblich, den irakischen Freischärlern
Einhalt zu gebieten.
In die panarabischen Bewegungen des Nahen Ostens
hat sich der Antisemitismus seitdem so tief eingefressen, dass auch
die heutigen islamistischen Selbstmordattentäter sich umstandslos
auf "säkulare" Wurzeln berufen können. Ihr einstiger Förderer und
Mentor, der irakische Staatspräsident Saddam Hussein, bekannte sich
offen zu der Tradition, die zwischen 1935 und 1941 die Deutschen im
Irak eingeführt haben. In irakischen Schulbüchern wird Gaylani als
antiimperialistischer Held gefeiert, dessen Mission die Baathpartei
zu Ende geführt habe. Als diese 1968 endgültig an die Macht kam,
bestand eine ihrer ersten Handlungen darin, irakische Juden in einem
öffentlichen Schauprozess als zionistische Verschwörer abzuurteilen
und auf dem "Liberation Square" im Zentrum Bagdads zu erhängen. Die
Haltung, von der Staatsverschuldung bis zur militärischen Niederlage
jedes eigene Versagen als das Ergebnis des Zionismus und
Imperialismus hinzustellen, ist in arabischen Staaten derart
verbreitet, dass man leicht übersieht, was dem notwendigerweise
vorausgeht: Die assoziative Verbindung von Juden mit einer scheinbar
alles begründenden (kolonialen) Fremdbestimmung, die als
Volksvorurteil schon im Alltagsbewußtsein der Massen verankert war,
bevor der Staat Israel überhaupt gegründet wurde. Die scheinbar
selbstlose Haltung, mit der Deutschland sich immer wieder auf die
Seite "unterdrückter Völker" geschlagen hat, spielte eine zentrale
Rolle bei der Durchsetzung dieses Bewusstseins.
So blickt die Rolle des "ehrlichen Maklers", die
das wiedervereinigte Deutschland heute in Nahost gerne einnimmt, auf
eine lange Tradition zurück, in der die politische und ökonomische
Zweckrationalität immer wieder ideologischen Prämissen geopfert
wurde und die ein besonderes Licht auch auf die jüngsten deutschen
Versuche wirft, einen Krieg im Irak und damit einen Sturz des
Hussein-Regimes zu verhindern. Auf der Suche nach den Quellen, aus
der sich die deutsche Friedensbewegung im vergangenen Jahr speiste,
trifft man auf jene bekannte Mission, die Völker des Orients vom
Joch der "Fremdbestimmung" zu befreien. Wenn heute in Deutschland
sich also Demonstranten und Politiker um das unterdrückte irakische
Volk sorgen und im Gegensatz zu dessen politischen Vertretern, ein
umgehendes Ende der Besatzung fordern, so stehen sie, ob gewollt
oder ungewollt in einer langen Tradition, ebenso, wie die
Fortwährende Unterstützung Syriens und des Iran.
Die Autoren arbeiten für die im Nahen Osten
tätige entwicklungspolitische Organisation WADI e. V, sind freie
Publizisten und haben gerade das Buch "Amerika, der War on Terror
und der Aufstand des alten Europa" herausgegeben.
Zuerst erschienen in
Haaretz
hagalil.com
23-11-2003 |