Interview mit Thomas von der Osten-Sacken:
Krieg gegen Krieg?
"Saddam an der Macht zu lassen
heißt, sich einmal mehr für diesen Krieg zu entscheiden"
derstandard.at-
Interview, 14.03.2003
Für den deutschen Publizisten und
Nahostexperten Thomas von der Osten-Sacken ist der anhaltende
Konflikt im Irak nicht ausschließlich auf geostrategische Interessen
wie beispielsweise Ressourcensicherung zurückzuführen. Vielmehr
müsse dieser auch vor dem Hintergrund des Interesses einer
allgemeinen Emanzipation in den arabischen Ländern gesehen werden.
derstandard.at: In Ihren Analysen
und Kommentaren treten Sie für eine Militärintervention der USA im
Irak ein. Warum?
Thomas v. der Osten-Sacken: Ich trete für die Notwendigkeit
eines Regimewechsels im Irak ein, nicht für einen Krieg. Im
Gegenteil bin ich überzeugt, dass, hätten die Europäer eine andere
Haltung in diesem Konflikt angenommen und sich hinter die
Forderungen der irakischen Opposition gestellt, man dieses Ziel auch
ohne Krieg hätte erreichen können. Nun scheint es dafür zu spät zu
sein. Im Irak herrscht ein Krieg gegen die eigene Bevölkerung, der
in vergangenen Jahrzehnten Hundertausende von Menschen zum Opfer
gefallen sind. Saddam an der Macht zu lassen heißt, sich einmal mehr
für diesen Krieg zu entscheiden.
derstandard.at: Glauben sie, dass ein Sturz Husseins nur mit
Hilfe der USA möglich ist?
Thomas v. der Osten-Sacken: 1991 versuchte die irakische
Bevölkerung Hussein in Volksaufständen zu stürzen. Es war ein
Verbrechen, sie damals nicht zu unterstützen. Bis zum 11.9. spielte
die irakische Opposition keine wirkliche Rolle im Westen. Nun ist
sie immerhin Ansprechpartnerin der USA. Es hätte viele Möglichkeiten
gegeben, diplomatisch und politisch das Regime Saddam Husseins zu
schwächen und zu isolieren.
derstandard.at: Hätten die USA nicht schon längst durch eine
Stärkung der Opposition deren Kampf gegen des Baath-Regime
unterstützen können?
Thomas v. der Osten-Sacken: Ja, aber sie hatten lange kein
Konzept, was sie im Irak eigentlich wollen und bevorzugten einen
Ausstausch an der Spitze, etwa einen Militärputsch. Das aber ist im
Irak, einem Staat, in dem sieben Geheimdienste alles kontrollieren,
sehr schwer durchführbar.
derstandard.at: Wer sind DIE Iraker bzw. woraus setzt sich
die irakische Opposition zusammen?
Thomas v. der Osten-Sacken: Nun im Irak leben ca. 23
Millionen Menschen, davon 3,5 Millionen im seit 1991 von Saddam
Hussein befreiten und selbstverwalteten kurdischen Nordirak. Der
Irak ist kein arabisches Land, sondern besteht vor allem aus Kurden
und Arabern, aber auch einer Vielzahl von ethnischen und religiösen
Minderheiten. Die Opposition spiegelt diese Vielfältigkeit wieder,
will aber einen gemeinsamen, demokratischen und föderalen irakischen
Nationalstaat schaffen. In ihr sind die kurdischen Parteien, der
sehr westlich ausgerichtete "Iraqi National Congress", Schiiten,
Nationalisten, Monarchisten, christliche Parteien und die
Kommunisten und Sozialisten zusammengeschlossen. Zum ersten Mal in
der Geschichte des Nahen Osten (Israel ausgenommen) haben
Oppositionsparteien nun ein Programm entwickelt, das nicht auf einer
Ideologie wie dem Panarabismus oder Islamismus beruht, sondern die
realen Probleme ihres Landes reflektiert und das auf
Demokratisierung, Staatsbürgerrechten und Gewaltenteilung basiert.
Für den Nahen Osten ist das eine Revolution. Es wäre zu hoffen, dass
dieses Programm auch umgesetzt werden wird.
Die Irakis selbst sind einerseits sehr optimistisch, andererseits
wissen sie, was es bedeutet, ein Land zu übernehmen, das 30 Jahre
lang systematisch zerstört worden ist. Aber auch in Kurdistan war
die Situation 1991 fast hoffnungslos, alleine 4.000 Dörfer hatte das
Regime völlig zerstört. Inzwischen sind die meisten wieder aufgebaut
und Irakisch-Kurdistan hat sich in jeder Hinsicht sehr positiv
entwickelt. Für viele Irakis ist das eine Art Vorbild für das ganze
Land. Die Kurden, die ja keineswegs, wie so oft behauptet wird,
einen eigenen Staat wollen, können beim Aufbau des restlichen Irak
mit den Erfahrungen, die sie in den letzten Jahren gesammelt haben
sehr hilfreich sein.
derstandard.at: Ist es nicht fraglich, ob die USA nach ihrem
Einmarsch tatsächlich eine Staatsführung einsetzen, die nicht wieder
größtenteils aus alten Eliten besteht? Dies in Anbetracht der
Tatsache, dass im Falle eines US-Alleinganges niemand Druck ausüben
kann in Richtung einer tatsächlichen "Demokratisierung"?
Thomas v. der Osten-Sacken: Bislang sieht es so aus, dass die
USA wirklich ein neuartiges Experiment im Irak unterstützen wollen.
Angesichts ihrer vergangenen Politik im Nahen Osten, wo sie mit
Ausnahme Israels äußerst fragwürdige Regimes unterstützen, ist
sicher Skepsis angebracht. Die sogenannten Neokonservativen in der
Administration jedenfalls meinen es ernst, andere im
Außenministerium würden lieber an den bisherigen Strukturen oder,
wie es der bekannte exilirakische Intellektuelle Kanan Makiya einmal
sagte, an einem "Baathismus ohne Saddam Hussein" festhalten. Ist
aber dieser erst einmal gestürzt, bieten sich, selbst wenn die USA
es nicht wollen, völlig neue Möglichkeiten für die Irakis. Auch 1991
wollte eigentlich niemand ein de facto selbstverwaltetes
Irakisch-Kurdistan, aber die Kurden konnten eben die Gunst der
Stunde nutzen.
derstandard.at: Neben dem Sturz Husseins geht es aber auch um
die Neugestaltung des Nahen Ostens. Welche Rolle spielt dabei der
11. September?
Thomas v. der Osten-Sacken: Eine zentrale, hat er doch die
inneren Widersprüche der amerikansichen Außenpolitik extrem
zugespitzt. Al Qaida kommt schließlich aus den Eliten Saudi
Arabiens, nicht aus irgendwelchen Flüchtlingslagern. Diese Eliten
zeigen sich unfähig zur Reform ihrer Länder und regieren nur noch
mittels eines extremen Antisemitismus und Hass auf Amerika, auf das
sie den Unmut der Bevölkerung ableiten. Saddam Hussein, auch wenn er
kein Islamist ist, teilt diese Weltannschauung mit Al Qaida aber
auch anderen Herrschern im Nahen Osten. Er erklärt die Situation in
seinem Lande als zionistsich-imperialistische Verschwörung und
predigt Hass und Zerstörung. Den Menschen dort bietet er keine
Perspektive. Nun sind einige maßgebliche Leute in den USA zu der
Überzeugung gekommen, dass man wirklich die Wurzeln des Terrors
bekämpfen muß und die liegen genau in diesen Strukturen. Einige
Länder, so sagt man, Iran oder Saudi Arabien etwa, können durch
äußeren Druck und Hilfe reformiert werden. Im Irak ist das
undenkbar. Da eben muss die baathistische Regierung gestürzt werden.
derstandard.at: Wie erklären sie sich die ungewohnt
kriegsablehnende Haltung insbesondere Deutschlands und Frankreichs?
Thomas v. der Osten-Sacken: Der Irak ist ökonomisch ein enger
Partner der beiden Länder. Sie haben geholfen, das Land mit den
Massenvernichtungswaffen auszurüsten, um die es heute geht. Und auch
auf allen anderen Ebenen pflegen sie sehr enge wirtschaftliche
Kontakte, so waren vergangenes Jahr etwa 101 deutsche Firmen auf der
Bagdader Industriemesse vertreten, auch über 100 französische. Man
hofft sich im Nahen Osten ein Einflussgebiet gegen die USA zu
schaffen. Zudem fürchten beide Länder, dass bei einem Sturz Saddams
die Archive in Bagdad in die Hände der USA oder Opposition fallen
und dann das ganze Ausmaß der Zusammenarbeit vor allem im
militärischen Bereich bekannt werden würde.
derstandard.at: Was ist mit Russland? Stehen dort andere
Faktoren für eine ablehnende Haltung im Vordergrund?
Thomas v. der Osten-Sacken: Rußland versucht weiter etwas
Weltpolitik im Nahen Osten zu betreiben. Die russisch-irakische
Beziehung waren zudem immer sehr eng, Saddam Hussein hat ja mit Ost
und West im Kalten Krieg kooperiert. Und es geht um viel Geld, sehr
hohe Schulden und neue Verträge über 38 Milliarden Dollar, die
Russland vergangenes Jahr abgeschlossen hat. Die irakische
Opposition und Bevölkerung weiß sehr gut um die engen Kontakte
dieser drei Länder mit dem Saddam Regime und ich denke, dies wird
ein Grund sein, warum sie bei einem Wiederaufbau des Landes keine
sehr große Rolle spielen werden. Sie hoffen, dass Saddam Hussein an
der Macht bleibt und ihre Haltung im UN-Sicherheitsrat entsprechend
honorieren wird.
derStandard.at: Und wie sieht es mit den
Menschenrechten in Europa aus, insbesondere hinsichtlich der
Unterstützung von Flüchtlingen aus dem Irak?
Thomas v. der Osten-Sacken: Die
Anerkennungsquoten irakischer Flüchtlinge werden kontinuierlich
gesenkt. Betrugen sie etwa in Deutschland 2001 noch über 60%, sind
es jetzt knapp zehn. Während man Saddam Hussein objektiv
unterstützt, führt man zugleich einen stillen Krieg gegen die
Flüchtlinge. An den Grenzen des Irak werden jetzt schon Lager
errichtet, um zu verhindern, dass, sollte die irakische Armee
Giftgas gegen die Bevölkerung einsetzen und es zu einer Massenflucht
kommen, Flüchtlinge nicht in die Türkei oder den Iran kommen. In
Deutschland gilt der kurdische Nordirak, den man nie anerkannt hat,
als sogenannte "inländische Fluchtalternative". Die Menschen dort
richten sich auf Giftgasangriffe ein - mit Giftgas aus deutscher
Produktion. Dieser Fakt drückt die deutsch-europäische Irakpolitik
am deutlichsten aus. Es geht leider nicht um Frieden, sondern um
einen Krieg gegen die irakische Bevölkerung, der, ich sagte es
schon, Saddam Hussein heißt. (red)
Thomas
von der Osten-Sacken veröffentlichte neben zahlreichen Artikeln zum
Thema auch gemeinsam mit Arras Fatah das Buch
"Saddam Husseins letztes Gefecht? Der lange Weg in den Dritten
Golfkrieg" (Hamburg, 2002). Der Autor ist unter anderem auch für
die Hilfsorganisation WADI
tätig und verbrachte selbst einige Zeit im Nordirak.
hagalil.com
17-03-2003 |