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Interview mit Jassim al-Hilfi:
"Der Irak ist ein reiches Land"

Jassim al-Hilfi ist ein Mitglied des Zentralkomitees der Irakischen Kommunistischen Partei. Am 12. April, unmittelbar nachdem die US-Army die Stadt eingenommen hatte, kam er nach Bagdad, wo er seither das neu eröffnete Parteibüro leitet. In den vergangenen Jahren arbeitete er vor allem in Irakisch-Kurdistan.

In Bagdad sprach Thomas von der Osten-Sacken
mit ihm.
Jungle World, 04. Juni 2003

Wie war Ihre Rückkehr nach Bagdad?

Wir alle waren glücklich, dass Saddam Hussein, den wir so lange bekämpften, endlich gestürzt wurde und sich die Chance für einen Neuanfang bietet. Aber noch sind die Folgen des Krieges nicht überwunden. Eine Regierung fehlt, und das führt zu Unsicherheit in den Straßen Bagdads und anderer Städte, es kommt zu Plünderungen und Übergriffen. Die Menschen führen, auch wenn es schon besser geworden ist, ein Leben im Ausnahmezustand. Wir haben uns über den Sturz des Ba'ath-Regimes gefreut, sehen aber auch die aktuellen Probleme.

Die Kommunisten haben sich gegen den Krieg ausgesprochen und sind den Oppositionstreffen von London und Salahedin ferngeblieben. Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit mit jenen irakischen Parteien, die den Krieg befürworteten?

Wegen all der gegenwärtigen Probleme haben wir alle Parteien aufgerufen, eine große Konferenz abzuhalten. Das betrifft jene, die in London und Salahedin waren, und jene, die ferngeblieben sind. Auch die USA und andere Mitglieder der Koalition sollen daran teilnehmen. Der Aufruf fand bei den Kurden, beim Irakischen Nationalkongress und bei den schiitischen Parteien eine positive Resonanz.

Das Ziel der Konferenz muss es sein, so schnell wie möglich eine weitgehend souveräne Übergangsregierung zu schaffen. Aber nun scheint es, dass die Amerikaner entgegen ihrer Ankündigung kein Interesse mehr an einer Übergangsregierung haben, sondern den Irakis nur beratende Funktionen zubilligen wollen. Das lehnen wir und die anderen Parteien ab. Das ist einer der Gründe, warum sich die Konferenz verzögern wird. Aber wir arbeiten mit allen Parteien eng zusammen, und es spielt keine Rolle, welches Verhältnis die anderen zu den Amerikanern haben. Es gibt eine gemeinsame Grundlage: die Schaffung eines demokratischen und föderalen Irak, der sich so schnell wie möglich selbst regiert.

Fordern Sie immer noch den sofortigen Abzug der US-Truppen?

Uns geht es momentan darum, dass eine neue irakische Regierung ihre Arbeit aufnimmt. Dann ist es für die USA, die aus eigenen ökonomischen und politischen Interessen diesen Krieg geführt haben, an der Zeit abzuziehen. Es wird schwer sein, sie dazu zu bewegen. Aber augenblicklich gibt es andere Prioritäten. Zuerst muss die Lage normalisiert werden. Mit Saddam Hussein wurde der ganze Staatsapparat gestürzt. Der Irak wurde von der Ba'ath-Partei systematisch und über Jahrzehnte zerstört, nichts wurde für den Ausbau und Erhalt der Infrastruktur unternommen.

Zuerst brauchen wir eine Regierung und Sicherheit auf den Straßen. Dann muss es Wahlen geben und eine neue Verfassung. Und völlig neue Parteien müssen entstehen, denn die vorhandenen repräsentieren keineswegs alle Irakis.

Was aber ist dann die besondere Rolle der Kommunisten im künftigen Irak?

Unser zentrales Anliegen ist die Schaffung einer wirklichen Demokratie. Wir haben einen sehr weit gefassten Begriff von Demokratie, der über die Zusammenarbeit von Parteien oder die Abhaltung von Wahlen hinausgeht. Es geht auch um neue Gewerkschaften, Interessenvertretungen, die Partizipation und Stärkung der Frauen. Wir fordern die Einführung einer sozialen Demokratie, einen Rechts- und Sozialstaat im Irak, der dem Einzelnen nicht nur bürgerliche, sondern auch grundlegende soziale Rechte garantiert.

Der Irak ist ein reiches Land, und die Grundlage für die Schaffung eines modernen Wohlfahrtsstaates besteht. Die Ölrente, die bislang von Saddam Hussein vergeudet wurde, ist gerecht zu verteilen und für den Aufbau einer neuen Wirtschaft zu verwenden. Das Öl darf keineswegs, wie es viele Amerikaner wollen, privatisiert werden, sondern muss der Bevölkerung zugute kommen.

Schon jetzt entwickeln sich neue Ausdrucksformen. Viele der Demonstrationen, die täglich stattfinden und sich gegen die Ba'ath-Partei richten, fordern die Offenlegung aller Verbrechen. Sie werden von uns unterstützt. Wir wollen, dass die verschiedenen Gruppen ihre Rechte einfordern, sich organisieren und dass so eine neue pluralistische Gesellschaft entsteht.

Sie fordern also eine radikale Entba'athisierung?

Diese Partei war ein riesiger Apparat, in dessen Zentrum die wirklich Schuldigen saßen. Das waren mehr als die jetzt gesuchten 55. Es ist nötig, alle Verbrechen aufzudecken und die Schuldigen vor Gericht zu stellen. Zugleich gibt es viele, die gezwungen wurden, in die Partei einzutreten und die sich nichts haben zuschulden kommen lassen.

Sollen die Schuldigen vor ein Internationales Gericht gestellt oder sollen sie im Irak verurteilt werden?

Das hängt von den Taten ab. Das Regime hat seine Hauptverbrechen an der eigenen Bevölkerung begangen und viele Menschen getötet. Diese Verbrechen wurden an Irakis begangen, und die Täter sollten von Irakis verurteilt werden.

Das Regime hat auch Verbrechen an anderen Ländern begangen, es hat Kriege geführt und Nachbarstaaten überfallen. Außerdem finden sich jetzt auch Massengräber von Angehörigen anderer Nationalitäten. Diese Taten sollten vor einem internationalen Gericht verhandelt werden. Aber die Irakis müssen die wichtigste Rolle spielen. Jetzt werden die Täter von den USA inhaftiert, und wir wissen nicht, was sie preisgeben. Das muss sich ändern.

Trauen Sie den Ankündigungen der USA, das Land zu entba'athisieren, nicht?

Wir betrachten das mit großer Skepsis. In manchen Einrichtungen tauschen sie nur die Spitze aus, obwohl Demonstranten die Überprüfung aller hohen Beamten und Angestellten fordern. In Mossul müssen Beamte nur eine Erklärung unterschreiben, dass sie sich von der Ba'ath-Partei distanzieren. Das kann man kaum Entba'athisierung nennen.

Solange Saddam Hussein und seine Söhne nicht gefasst werden, haben viele Leute weiterhin Angst, er könne wiederkommen. Manche denken, es sei die Absicht der Amerikaner, ihn zu verstecken. Schließlich haben ihn die USA in der Vergangenheit, wenn es ihnen passte, unterstützt. Und warum behindern sie jetzt die Bemühungen der irakischen Bevölkerung und der irakischen Parteien, selbst zu regieren?

Glauben Sie immer noch, dass es den USA darum geht, einen neuen starken Mann im Irak zu installieren, der ihre Interessen vertritt?

Das könnten sie gar nicht, denn die Irakis würden es nicht akzeptieren. Aber unsere Angst ist, dass die Amerikaner es bei einer formalen Demokratie belassen, in der sie eine wichtige Rolle spielen und nicht auf die anderen Forderungen der irakischen Opposition eingehen. Wir fürchten, dass sie wie die Briten in den zwanziger Jahren ihre Berater installieren, die dann über die wichtigen Fragen entscheiden.

In Europa ist öfter zu hören, die Irakis seinen nicht in der Lage, sich selbst zu regieren. Es drohe ein ethnisch motivierter Bürgerkrieg und im Süden ein islamistisches Regime.

Die Menschen in Kurdistan, die sich 1991 befreien konnten, haben bewiesen, dass die Irakis nicht diesen Klischees entsprechen. Haben sie einen eigenen Staat gefordert? Nein. Gibt es dort einen Krieg zwischen Turkmenen, Assyrern und Kurden? Nein. Selbst die Differenzen zwischen den kurdischen Parteien sind beigelegt. Es gibt keinen ethnischen Hass im Irak.

Im Süden sind die Schiiten kein homogener Block. Wir haben längst unsere Büros in Najaf und Kerbala eröffnet. Die Frage, wie sich der Süden entwickeln wird, hängt auch davon ab, ob säkulare Bewegungen wie wir oder andere Parteien aus Europa und der arabischen Welt unterstützt werden.

hagalil.com 05-06-2003

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