Doppelter Standard:
Die arabische Debatte über Folter im Irak
Von Thomas von der Osten-Sacken
Die von US-Soldaten misshandelten und gefolterten
irakischen Gefangenen erinnerten ihn an die Bilder aus Auschwitz,
erklärte der linke israelisch-arabische Knessetabgeordnete Azmi
Bishara. Ein sudanesischer Minister, dessen Regierung gerade die
nicht arabischen Bewohner aus der Region Darfur vertreibt, verbat
sich jede Kritik mit dem Hinweis auf Abu Ghraib, während Buthyana
Sha'ban im Namen der syrischen Regierung die Folterbilder als
Ausdruck einer rassistischen Kampagne gegen den "Islam und die
Muslime in Europa" bezeichnete.
Die Empörung in der arabischen Welt, die seit
Jahrzehnten darauf geschult ist, Israel und die USA bei jeder sich
bietenden Gelegenheit der schlimmsten Menschenrechtsvergehen zu
überführen, wurde begierig von europäischer Seite als Ausdruck tief
verletzter "arabischer Ehre" aufgenommen. In Arabien könne eine
solche "Schmach", wusste etwa die Süddeutsche Zeitung, nur "mit Blut
abgewaschen werden". Auch George W. Bush meinte sich ausgerechnet
zuerst beim jordanischen König für die Misshandlungen in Abu Ghraib
entschuldigen zu müssen. Im
Irak dagegen waren es keineswegs nur die Bilder der Gefolterten, die
Empörung auslösten, sondern auch der Umgang arabischer Medien sowie
der US-Regierung mit dem Skandal. Jahrzehntelang symbolisierte das
als "Palast des Todes" bekannte Gefängnis Abu Ghraib die
Grausamkeiten des Regimes wie kein anderer Ort im Irak. Entsprechend
bedeutsam waren auch die Ereignisse in diesem Gefängnis am 8. April
2003, als Hunderte Irakis den Komplex auf der Suche nach ihren
Angehörigen stürmten und lediglich ein paar verscharrte Leichen
fanden. Mit völligem Unverständnis wurde deshalb die Entscheidung
der von den USA geführten Übergangsregierung aufgenommen, Abu Ghraib
nicht etwa in eine nationale Gedenkstätte zu verwandeln, sondern
weiter als Haftanstalt zu verwenden.
Dass nun ausgerechnet dieser Name, der im Irak so
bedeutungsschwer ist, von radikalen Islamisten, ehemaligen
Ba'athisten und arabischen Staatsführern mit geheuchelter
moralischer Empörung im Munde geführt wird, schockierte die Menschen
ebenso wie die Bilder der Misshandelten selbst. Nach Angaben von
Ibrahim al-Idrissi, dem Präsidenten der Association of Free
Prisoners, kann seine Organisation inzwischen nachweisen, dass
mindestens 147 000 Menschen in Iraks Gefängnissen exekutiert worden
sind. Der neu ernannte irakische Menschenrechtsminister Baktiar Amin
kritisierte deshalb nicht nur die US-Amerikaner, sondern vor allem
auch die offiziellen arabischen Reaktionen. Alle, die heute laut die
USA anklagten, hätten jahrzehntelang über die Verbrechen des Regimes
von Saddam Hussein geschwiegen.
Amin fordert deshalb die arabischen Führer auf, sich
an den US-Amerikanern ein Beispiel zu nehmen und sich für ihre
Vergehen öffentlich zu entschuldigen. Aber auch in der arabischen
Presse finden sich erstaunlich viele Artikel, die den herrschenden
Doppelstandard kritisieren und ihr Augenmerk auf die Missstände in
ihren eigenen Ländern zu lenken versuchen. "In allen arabischen
Ländern wird mit Wissen der arabischen Presse gefoltert. Wenn aber
jemand auf diesen Sachverhalt hinweist, wird er angeklagt, dem Ruf
der Araber zu schaden und für die Zionisten zu arbeiten", schreibt
etwa Abd al-Rahman al-Rashed in al-Sharq al-Awsat.
Solche Kritik an jener "arabischen Straße", die nach
Ansicht des deutschen Feuilletons auf die Bilder misshandelter
irakischer Gefangener nur mit Rufen nach Rache zu reagieren vermag,
ist aber angesichts der Tragweite des Folterskandals von Abu Ghraib
nur ein unbedeutender Lichtblick.
Erschienen in:
Jungle World, 09. Juni
2004
hagalil.com
09-06-2004 |