Pressemitteilung
Europäischer Plan für die Neuordnung des Irak
nach Regimewechsel
Gütersloh/Brüssel, 24. März 2003 -
Bertelsmann Stiftung fordert UN-getragene Alternative
zur US-Strategie: Multinationale „Task Force“, Aufbau ziviler
Strukturen, föderative Aufteilung der Öl-Gewinne und regionale
Integration des Irak
Für die Neuordnung des Irak nach einem möglichen
Regimewechsel fordert die Bertelsmann Stiftung eine eigenständige
europäische Strategie als Alternative zu den unilateralen Plänen der
USA. Die angestrebte Neuordnung dürfe sich nicht in der
kurzfristigen Beseitigung eines aggressiven Regimes erschöpfen,
sondern sollte den umfassenden Umbau des irakischen Staates zu einer
zivilen, gerechten und friedensfördernden Gesellschaft anstreben.
Dazu aber müssten die Europäer jetzt gemeinsame und verbindliche
Strategie erarbeiten.
Die Forderungen sind die Schlussfolgerungen eines Strategiepapiers,
das die Bertelsmann Stiftung am Dienstag in Brüssel veröffentlichen
will. Danach sollte die EU in einem irakischen Neuordnungsprozess
auf allen Ebenen ihren politischen und wirtschaftlichen Einfluss
entfalten und dabei ihre spezifischen europäischen Wertmaßstäbe
anlegen. Kurzfristig seien dies die Verhinderung einer humanitären
Katastrophe, die Entwaffnung des Regimes und der Aufbau einer
multinationalen Task Force unter dem Dach der Vereinten Nationen. In
der Übergangsphase sollte eine „Hohe Internationale Behörde“ zum
frühestmöglichen Zeitpunkt den Aufbau einer irakischen
Übergangsregierung und die Organisation von Wahlen zu einer
verfassunggebenden Versammlung unter der umfassenden Beteiligung
irakischer Repräsentanten gewährleisten.
Als besonders kritischen Punkt sieht das Strategiepapier die
zukünftige Verteilung der Erlöse aus der Ölforderung. Hier gelte es
zu verhindern, dass spätere Regierungen das Ölgeschäft als Basis für
die Errichtung einer neuen autoritären Zentralmacht missbrauchten.
Daher sollten die Erlöse zukünftig nach einem föderativen Schlüssel
aufgeteilt werden, der alle ethnischen Gruppen und geographischen
Regionen nach gerechten Maßstäben berücksichtigt. Zur
Dezentralisierung der politischen Macht und Vermeidung ethnischer
Konflikte solle der Irak nach föderalen Prinzipien strukturiert
werden und teilautonome Regionen erhalten können. Die Bertelsmann
Stiftung verweist dabei auf das Beispiel der kurdischen
Autonomie-Zone im Norden des Irak: „Die gegenwärtige Regelung des
von den UN organisierten „Öl-für-Nahrung-Programms“ mit einem
festgelegten Verteilungsschlüssel könnte als Keimzelle für ein
landesweites föderatives Finanzsystem fungieren.“
Um den Frieden in der Region auch langfristig zu sichern, sollte der
Irak darüber hinaus schrittweise in ein regionales Sicherheitssystem
mit Iran, Jemen und den Golf-Kooperationsstaaten eingebunden werden.
Durch die langfristige Errichtung einer „Konferenz für Sicherheit
und Zusammenarbeit am Golf“, könnten potenzielle Konfliktfelder, wie
Wasserverteilung, Grenzfragen oder Rüstungskontrolle kooperativ
überwunden werden. Aufgrund der engen wirtschaftlichen und
kulturellen Bindungen an die arabische Welt sollte zudem die
Integration Iraks in eine Freihandelszone mit Syrien, Jordanien,
Libanon und dem zu gründenden palästinensischen Staat angestrebt
werden.
Als Voraussetzung für eine friedliche Neuordnung der Region sieht
das Strategiepapier auch die Beilegung des israelisch-arabischen
Konfliktes. In der direkten Folge des Krieges sollte die EU daher im
Rahmen des sogenannten Quartetts (UN, USA, EU, Russland) eine neue
internationale Konferenz auf der Grundlage der zurückliegenden
Friedensinitiative (Clinton-Plan) initiieren.
Josef Janning, Leiter des Themenfeldes „Internationale
Verständigung“ der Bertelsmann Stiftung, sieht in einer gemeinsamen
europäischen Strategie für den Mittleren Osten auch einen Ansatz zur
Überwindung der aktuellen Krise des internationalen Systems: „Ein
schlüssiger und verbindlicher Plan für die Neuordnung im Irak nach
europäischen Prinzipien könnte einerseits die innereuropäische
Spaltung überwinden, gleichzeitig aber auch den hegemonialen
Bestrebungen der USA begegnen und vielleicht sogar ein Weg sein, um
die amerikanische Weltpolitik wieder in ein multilaterales System zu
integrieren.“
Hintergrund:
Das Strategiepapier der Bertelsmann Stiftung entstand auf der
Grundlage von Studien und Beratungen unabhängiger
Politikwissenschaftler der Stiftung in Zusammenarbeit mit dem
Aspen-Institute Italia, dem Royal Institute of International
Affairs, London (Chatham House), dem Robert Schuman Centre for
Advance Studies am European University Institute, Florenz und dem
Centrum für angewandte Politikforschung (CAP), München. Die Autoren
sind Dr. Giacomo Luciani, Professor für politische Ökonomie des
Robert Schuman-Centre und Felix Neugart, Nahost-Expperte am CAP.
Die Bertelsmann Stiftung arbeitet seit über zehn Jahren in
verschiedenen Projekten zur Politikberatung für eine gemeinsame
europäische Außenpolitik. Einer der Schwerpunkte ist das Projekt
»Europa, der Nahe Osten und Nordafrika – Perspektiven für eine
zukünftige Zusammenarbeit« Aus der aktuellen Entwicklung im
israelisch-arabischen Konflikt und des Irak-Krieges entstand die
„Task Force Middle-East“, die sich der Entwicklung eines
Sicherheitskonzeptes für den gesamten Nahen und Mittleren Osten
widmet.
hagalil.com
10-03-2003 |