Auf der Friedenstour von Attac wurde nicht
nur gegen den Irakkrieg argumentiert. Es wurde auch erklärt, warum
Israel der wahre Schurkenstaat sei.
Von Peter Bierl
Jungle World, 05. Februar
2003
"Es hat begeisterte Veranstaltungen gegeben", sagte Barbara
Fuchs, die Organisatorin von Attac, zum Abschluss der so genannten
Friedenstour am vergangenen Donnerstag in der Berliner Humboldt-
Universität. Auf eine Reise durch 16 Städte der Bundesrepublik hatte
Attac die Jurastudentin Julie Fry aus den USA, die Journalistin
Yvonne Ridley aus London und Alfonso De Vito, einen Aktivisten der
Antiglobalisierungsbewegung aus Neapel, geschickt. Sie sollten gegen
den Irakkrieg argumentieren und möglichst viele Leute für die
Demonstration am 15. Februar in Berlin gewinnen.
Auf den Veranstaltungen ging es aber nicht nur um den Krieg gegen
den Irak. Die drei Referenten und Referentinnen forderten auf den
Veranstaltungen auch immer wieder "Solidarität mit dem
palästinensischen Volk" und prangerten Israel als Apartheidsstaat
an, oft zur Freude ihrer Zuhörer, manchmal unter Protesten.
Ridley, die der britischen Stop the War Coalition angehört,
sorgte beim Auftakt der Tour in Göttingen am 18. Januar für den
ersten Eklat, als sie die "heroischen Kämpfer der Intifada"
begrüßte. Statt sich auf den Irakkrieg zu konzentrieren, erklärte
die "Starreporterin", wie die taz sie nennt, im Münchner
Eine-Welt-Haus am 27. Januar, die Parolen "Stoppt den Krieg" und
"Gerechtigkeit für Palästina" gehörten zusammen. Wer das nicht
begreife, brauche sich an der Friedensbewegung nicht zu beteiligen.
Mit einem Palästinensertuch über der linken Schulter behauptete sie,
Israel habe Kriegsverbrechen und Völkermord begangen.
Die Frau, die vor etwa zwei Jahren einige Zeit eine Gefangene der
Taliban in Afghanistan war, ließ keinen Zweifel daran, wer für sie
der Schurkenstaat sei. Israel habe 72 Uno-Resolutionen missachtet,
sechs Staaten angegriffen und halte Teile anderer Staaten besetzt.
Der Irak hingegen habe 16 Resolutionen missachtet und zwei Nachbarn
angegriffen. Ridley sagte, ohne den "heroischen Widerstand des
palästinensischen Volkes" hätten die USA den Krieg längst begonnen.
Julie Fry von der Gruppe Answer (Act Now to Stop War & End
Racism) aus den USA warb auf den Veranstaltungen für ihre
Organisation, die sie als "einzigartiges Bündnis" in den USA rühmte.
Die Organisation habe am 20. April des vergangenen Jahres unter der
Parole "Freiheit für Palästina" 100 000 Menschen in Washington D.C.
versammelt, berichtete sie in München. Die Kundgebung an dem Tag,
den Nazis als den Geburtstag des Führers feiern, bezeichnete sie als
"historischen Durchbruch" im Kampf für die Rechte der Palästinenser
sowie für die Zusammenarbeit der Friedensbewegung mit den
islamischen Einwanderern in den USA.
Es war nicht die einzige größere Aktion ihrer Organisation, die
sich gegen Israel richtete. Im Juni des Jahres 2002 organisierte
Answer in Boston eine Demonstration gegen den so genannten Israel
Day, den Jahrestag der Staatsgründung Israels. In einem Aufruf war
von "54 Jahren zionistischem Rassismus und Genozid" sowie von einem
"halben Jahrhundert Besatzung" die Rede.
Answer sowie das International Action Center mit dem prominenten
ehemaligen US-amerikanischen Justizminister Ramsey Clark stehen mit
der kleinen stalinistischen World Workers Party (WWP) in Verbindung.
Die WWP und ihre Vorfeldorganisationen gelten in den USA als
unangenehme Bündnispartner, weil sie politische Aktionen für sich
vereinnahmen. Während des Sechstagekrieges von 1967 kreierte die WWP
den Slogan: "Israel = Tool of Wall Street Rule".
In Bezug auf Israel riet Fry den deutschen Aktivisten, "nicht den
Kopf in den Sand zu stecken". Sie selbst stamme aus einer jüdischen
Familie in Ungarn. Viele ihrer Verwandten seien von den Nazis
ermordet worden, einige hätten Widerstand geleistet. Ihr Großvater
habe ihr erzählt, dass man gegen den Rassismus und die Nazis kämpfen
müsse, aber er habe sich nie für den Zionismus ausgesprochen. Denn
es gelte "jede Form des Rassismus zu bekämpfen, auch den gegen die
Palästinenser".
Der dritte Referent der Friedenstour, De Vito vom Netzwerk Rete
no Global, das dem Italian Social Forum angehört, sagte in München:
"Apartheid ist immer Apartheid. Wenn wir nicht darüber sprechen,
haben wir keinen Dialog mit der arabischen Welt." Bei der
Veranstaltung in Köln kam es zu Protesten, als De Vito die
Ereignisse im Warschauer Ghetto 1943 und die Massaker in den
palästinensischen Flüchtlingslagern Sabra und Shatila in Beirut im
Jahre 1982 verglich. Einer der Zwischenrufer, der Journalist Marcus
Meier, sagte der Jungle
World: "Die Grenze zum Antisemitismus war überschritten. Wir
haben angekündigt, entweder gehen De Vito und Fry oder wir stören
weiter." Daraufhin habe man ihn und zwei andere angepöbelt und aus
dem Saal gezerrt.
Der Koordinationskreis von Attac in Köln wolle dem dortigen
Plenum empfehlen, sich von der Äußerung De Vitos zu distanzieren,
sagte Hans Günther Bell, der dem Gremium angehört. Bell empfand den
Rauswurf der Protestierer als "unglücklich", man hätte die
Veranstaltung für fünf Minuten unterbrechen sollen, bis sich die
Gemüter beruhigten. Dagegen meinte Heinrich Piotrowski, ebenfalls
Mitglied des Koordinationskreises, es habe nur die Alternative
bestanden, "denen hörig zu sein und nach Hause zu gehen oder sie
mehr oder weniger freundlich hinauszukomplementieren".
Er widersprach dem Vorwurf, Mitglieder von Attac hätten die drei
Zwischenrufer körperlich angegriffen. Piotrowski sagte, es sei
Konsens im Koordinationskreis, dass der Vergleich De Vitos
"zumindest in der BRD" zu kritisieren sei. Er ist jedoch der
Überzeugung: "Israel ist ein rassistischer Staat, das ist auf der
Uno- Konferenz in Durban festgestellt worden, von vielen Staaten."
Einen kurzen Protest musste Attac auch auf der
Abschlussveranstaltung in Berlin hinnehmen. Mit der Parole "Lang
lebe Israel! Für den Kommunismus!" verabschiedete sich eine Gruppe
Protestierender jedoch nach zehn Minuten und überließ den Referenten
von Attac, dem grünen Bundestagsabgeordneten Hans- Christian
Ströbele und Mohammed Herzog, einem islamischen Geistlichen aus
Berlin, das Wort. Ströbele behauptete in seinem Beitrag, "die
Hoffnung vieler, wenn nicht der meisten Völker der Welt richten sich
auf Deutschland und Frankreich", deshalb solle man "diese Regierung
unterstützen". Zu den antiisraelischen Tönen auf der Veranstaltung
schwieg Ströbele. Später sagte er der Jungle World, wegen der
"bruchstückhaften Übersetzung" sei Ridleys Referat "sehr schlecht zu
verstehen" gewesen. Ihre Kritik an Israel habe er aber als "sehr
harsch" empfunden.
Mohammed Herzog setzte in Berlin dann den Schlusspunkt, als er zu
den Terroranschlägen vom 11. September 2001 erklärte: "In 25 Jahren
werden wir erfahren, wer die Täter waren. Wenn die Amerikaner ihre
Geheimbücher aufschlagen. Es sieht ja fast so aus, als ob Amerika es
selbst getan hätte." Damit war dann auch diese "begeisterte
Veranstaltung" würdig beendet.