Anschlagserie im Irak:
Der Amoklauf des Widerstands
Mit der heftigen
Anschlagsserie der letzten Tage wurde der Glaube an eine baldige
Beruhigung der Lage im Irak weggebombt
Von Thomas Uwer
"Suicide bombing bringt den
Ba'athisten nichts, vor allem deshalb, weil es ihnen um die
Wiedererlangung politischer und ökonomischer Macht geht. Im
Gegensatz zu den Fundamentalisten suchen sie keinen Platz im
Jenseits, sondern in den Ministerien." Es scheint, als seien alle
Versuche, den Terror des "irakischen Widerstands" mithilfe von
Analysen verständlich zu machen, die ein am nachvollziehbaren Nutzen
orientiertes, rationales Kalkül zugrunde legen, zum Scheitern
verurteilt.
Kaum dass der Autor des
US-amerikanischen Frontpage Magazine Michael Radu die Quellen des
Terrors im Irak durch logische Deduktion lokalisieren zu können
glaubte, bombte der so genannte Widerstand aus Islamisten und
Anhängern des gestürzten Ba'athregimes in der bislang heftigsten
Anschlagsserie jeden Glauben an eine baldige Einhegung der Gewalt im
Zweistromland weg.
Innerhalb weniger Tage kamen bei
Attentaten in Bagdad und Umgebung mehr als 60 Menschen ums Leben, in
der überwiegenden Mehrheit irakische Zivilisten. Ziele der Angriffe
waren neben dem Hauptquartier des Internationalen Roten Kreuzes
Hauptverkehrsstraßen, Polizeistationen und Einrichtungen der
Übergangsregierung in der Umgebung der Hauptstadt. Auf drastische
Weise hat sich damit ein sich seit längerem abzeichnender Wandel
vollzogen; gezielte Anschläge auf US-Streitkräfte werden durch
Attacken ergänzt, bei denen der Tod vieler Zivilisten bewusst in
Kauf genommen wird.
Drei Arten von Attacken können dabei
idealtypisch unterschieden werden: Anschläge eher militärischer
Machart von ehemaligen Ba'athisten, wie vermutlich der Anschlag auf
das Rashid-Hotel mit Raketen oder der Abschuss des Helikopters am
Sonntag mit 16 toten US-amerikanischen Soldaten; Attacken im
sunnitischen Dreieck und schließlich Suizidanschläge von Islamisten.
Der islamistische Terror im Irak dürfte
sich weitgehend aus internationalen Jihadisten rekrutieren, die über
Syrien, Saudi Arabien und den Iran relativ ungehindert ins Land
gelangen. Mehrere hundert so genannte "Afghanis", arabische
Freiwillige, die bereits in Afghanistan den "Heiligen Krieg" geführt
haben, wurden von kurdischen Sicherheitskräften beim Übertreten der
iranisch-irakischen Grenze aufgegriffen und verhaftet. Zwei in Najaf
verhaftete Saudis haben ihre Beteiligung an dem Ende August
durchgeführten Mordanschlag auf Ayatollah Hakim, den Führer der
größten schiitischen Partei im Irak, gestanden.
Im sunnitischen Zentralirak finden die
Jihadisten wenig Rückhalt. Der sunnitisch-arabische Bevölkerungsteil
stellte die Basis aller Regierungsmacht seit Gründung der irakischen
Nation dar. Diese legitimierte sich jedoch panarabisch und erlebte
erst im letzten Jahrzehnt eine allmähliche Islamisierung von oben.
Der nunmehr erfolgte Übergang zum Terror ohne Rücksicht auf die
"eigene" Bevölkerung im sunnitischen Zentrum zeugt eher von einer
sinkenden Unterstützung auch der ehemaligen Staatselite durch die
Bevölkerung. Dort gilt heute, was während des gesamten letzten
Jahrzehnts für den restlichen Irak galt: Macht und Kontrolle können
nur durch Terror und Gewalt aufrechterhalten werden.
Noch immer ereignen sich rund 90 Prozent
der Anschläge im sunnitischen Dreieck zwischen Bagdad, Tikrit im
Norden sowie Ramadi und Faluja im Westen. Wie in keinem anderen
Landesteil konnte die Ba'athpartei Saddam Husseins in dieser Region
Stämme und regionale Eliten für sich gewinnen, die nicht wenig vom
Reichtum des irakischen Staates profitierten. Während der Rest des
Landes seit Mitte der achtziger Jahre einer rapiden Verelendung
preisgegeben wurde, präsentiert sich das Zentrum noch heute als
begrünte Insel relativen Wohlstands. Mit dem Ende des Regimes hat
die sunnitische Bevölkerung auch ihre Privilegien eingebüßt, während
das Gefühl, nun nichts mehr zu verlieren zu haben, die Menschen seit
dem Kriegsende beherrscht. Hier gibt es wohl "Widerstand" auch aus
tribalen Strukturen, dessen Image jedoch durch "Suizidanschläge, die
Iraker töten", beschädigt werde, wie Le Monde unter Berufung auf
Sympathisanten berichtete.
Zugleich hat sich die "Befreiung" in den
meisten Städten und Kommunen vorerst nur als formelle Ablösung der
Amtsinhaber entpuppt. Die alten Ba'ath-Eliten sind nach wie vor
präsent und üben eine informelle Macht über die Bevölkerung aus. Die
Strategie der Koalitionsverwaltung zielt daher einerseits auf eine
Unterminierung alter Eliten, andererseits darauf, durch verstärkte
Wiederaufbaumaßnahmen im Zentrum des Landes einen Anreiz zur
Kooperation mit der neuen Regierung zu schaffen.
In Bagdad selbst trägt diese Strategie
Früchte: Die Anschläge dort sind von langer Hand geplant, während
eher spontane Zwischenfälle auf der Straße, Hinterhalte und
Feuergefechte kaum mehr stattfinden. Der "Widerstand" gegen die
Besatzer wird in der Hauptstadt mittlerweile auch gegen die
Bevölkerung betrieben. So wurde der am Wochenende verteilte Aufruf
zu einem dreitägigen Generalstreik begleitet von der Drohung, all
jene öffentlichen Einrichtungen anzugreifen, die sich dem Ausstand
widersetzten. In den Flugblättern wurden explizit auch Schulen und
Kindergärten als Angriffsziele genannt.
Die Irrationalität des Terrors liegt
dabei nicht allein darin begründet, dass er sich offen auch gegen
jene Bevölkerung richtet, deren "Befreiung" er propagiert, sondern
in dem generellen Verzicht auf ein erkennbares Ziel außer jenem, den
Aufbau eines neuen Irak zu verhindern. Auch bei einem Abzug der
Koalitionstruppen haben die gestürzten Ba'ath-Eliten keinerlei
Aussicht auf Rückkehr an die Macht. Ihr Terror richtet sich einzig
darauf, jede gesellschaftliche Entwicklung zu verhindern und den
Koalitionstruppen so doch noch die angekündigte Niederlage zu
bereiten.
In der radikalen Negativität ihres
Terrors tritt auch die gerne geleugnete Nähe zwischen Islamismus und
radikalem Panarabismus offen zu Tage, die sich praktisch in der
stillschweigenden Kooperation islamistischer und panarabischer
Terrorgruppen vor Ort niederschlägt. So wie das islamistische
Heilsversprechen vom Paradies stets die radikalste Abwendung von den
realen Möglichkeiten darstellt, die Verhältnisse zum Besseren zu
gestalten, so definiert sich auch der ba'athistische Panarabismus in
erster Linie als Konterprojekt zu einer als amerikanisch und jüdisch
identifizierten Bedrohung von außen. Sie bestätigen auf ihre Weise
die von der US-amerikanischen Regierung vertretene Sicht, dass es im
Irak um mehr als die Möglichkeit oder Unmöglichkeit geht, einen
funktionsfähigen demokratischen Staat im Zweistromland einzurichten,
sondern grundsätzlicher darum, ob eine Alternative zum radikalen
Panarabismus und Islamismus in der Region möglich ist.
Innerhalb ihrer eigenen Logik agieren
Ba'athisten und Islamisten im Irak höchst rationell. Gegen
Sprengstoffanschläge wie jenen auf das Rote Kreuz ist ein effektiver
Schutz kaum möglich. Längst haben sie Strukturen eines
terroristischen Untergrunds aufgebaut, die auch ohne Rückhalt in der
Bevölkerung in der Illegalität dauerhaft bestehen können. Und so
dürfte es kein Zufall gewesen sein, dass die jüngste Anschlagsserie
mit dem Ende der internationalen Geberkonferenz in Madrid einsetzte,
als deren Ergebnis dem Irak bis 2007 insgesamt 33 Milliarden
US-Dollar Aufbauhilfe zugesagt wurden. Als zusätzliche Leistungen zu
den erwarteten Einnahmen aus dem anlaufenden Ölverkauf würden sie
die von den Vereinten Nationen veranschlagten Kosten für den
Wiederaufbau decken. Einzig Deutschland und Frankreich blieben ihrer
alten Linie treu. So wird es von der Bundesregierung weder Geld für
den Wiederaufbau geben, noch einen Erlass der mehr als vier
Milliarden Euro Schulden, die der ehemalige Staatschef Saddam
Hussein beim Einkauf von Rüstungsgütern in Deutschland gemacht hat.
hagalil.com
06-11-2003 |