Verhaltensregeln:
Wie alte Menschen in abgedichteten Räumen
überleben
Nur wenige Menschen wissen, dass der 1.
Golf-Krieg 86 Israelis auf verschiedene Weise das Leben gekostet
hat. Zwei sind durch direkte Raketen-Treffer umgekommen, die meisten
aber waren ältere Bürger, die durch Panik-Attacken einen Herzanfall
erlitten hatten oder wegen des unsachgemäßen Anlegens der Gasmasken
erstickt sind.
Angesichts des gegenwärtigen Krieges hat der
Psychologe Yehiel Nisenholtz “zehn Verhaltensregeln” ausgearbeitet,
die Israels älteren Menschen helfen sollen, diesen Krieg unbeschadet
zu überstehen.
Von Moshe Ronen
Wer erinnert sich noch daran, wieviele Menschen im
1. Golfkrieg in Israel getötet wurden? Die meisten erinnern sich an
Eitan Grudland, einem 51jährigen Israeli, der an den Nachwirkungen
eines Raketeneinschlages am Eingang eines Bunkers in seiner Wohnung
in Ramat-Hen starb. Wenige erinnern sich an Linka Roznik, eine
92jährigen Holocaust-Überlebende, die unter dem Schutt ihrer Wohnung
in der Assaf Strasse 6 in Ramat Gan begraben wurde. Dies waren die
beiden einzigen Israelis, die durch direkte Raketentreffer
umgekommen sind.
Aber die offizielle Zahl von jenen, die im 1. Golf-Krieg umkamen,
liegt weit höher: 86 Israelis werden als Opfer des 1. Golf-Krieges
geführt. Die Nationale Versicherungs-Einrichtung erkannte die 86
Toten als Opfer der Feindseligkeiten an, nachdem das
Verteidigungsministerium diese Fälle untersucht hatte und
bestätigte, dass sie alle unter den direkten Einwirkungen des
Krieges verstorben waren. Die meisten unter den Toten sind ältere
Menschen. Der Hauptgrund für ihren Tod: Herzinfarkt, hervorgerufen
durch schwerwiegende traumatische Anfälle. Eine weitere dominierende
Todesursache: Erstickung durch unsachgemäßes Anlegen der Gasmaske.
Weiterhin wurden über 1.000 Israelis unter den Einwirkungen des
Krieges verwundet. 230 Personen wurden als direkte Folge der
Raketeneinschläge verwundet. Einer wurde schwer verletzt, neun – nur
leicht und 220 erlitten weitere leichte Verletzungen. Andere
erlitten psychische Schäden. 114 Bürger, die physisch oder psychisch
beeinträchtigt wurden, erhalten als Kriegs-Opfer eine monatliche
Beihilfe.
Auf diese Weise erstickte zum Beispiel der 80jährige Yosef Braun
sel. A., ein Einwohner von Haifa, der zwei Monate vor Ausbruch des
Golfkrieges von Litauen nach Israel eingewandert war. Am 13. Februar
1991 hörte er, wie ein Einbrecher-Alarm in einer Werkstatt bei
seiner Wohnung ausgelöst wurde. Er dachte fälschlicherweise, dass es
sich um einen Luftschutzalarm handelte. Er setzte sich die Gasmaske
auf und vergaß den Stöpsel der Maske zu entfernen.
Moshe Frankel, 86, aus Kiryat Shmuel bei Haifa, erstickte unter
ähnlichen Umständen vier Tage später: auch er hatte vergessen den
Stöpsel aus seiner Gasmaske zu entfernen. Seine Tochter fand seinen
Körper vor dem Fernseher und seine Gasmaske immer noch auf seinem
Gesicht. Auch Haya Fried aus Ashkelon, eine 62jährige
Holocaust-Überlebende, Pesia Woimfan, 73 Jahre alt und aus Rishon
Letzion, sowie Roza Assur, 76 Jahre alt und aus Kiryat Gat,
erstickten aus dem gleichen Grund: Sie hatten sich die Gasmasken
aufgesetzt und vergessen, die Stöpsel zu entfernen.
Rafi Margalit, er starb im Alter von 69 Jahren, war viele Jahre lang
der Eigentümer der Leo Goldberg Automobile-Import-Gesellschaft
gewesen. Am 18. Januar 1991 – am 3. Tag des Golfkrieges, hörte er
eine Luftschutz-Sirene und brachte seinen Hund ins Haus und brachte
ihn in den abgedichteten Raum seiner Wohnung in Ramat Gan. Als er
sich im Haus befand, begann er sich unwohl zu fühlen. Seine Frau
rief den Magen David Adom (Mada), aber sie waren zu beschäftigt, um
sofort helfen zu können. Eine halbe Stunde später starb Rafi
Margalit an Herzversagen.
Marcel Castro, 69, aus Petah Tikva, starb am nächsten Tag. Als die
Luftschutzsirene ertönte, ging er in seinen abgedichteten Raum und
dann hörte er den Einschlag der Raketen. Nach dem vierten
“Einschlag” wurde er rot im Gesicht, rief nach seiner Frau, fiel auf
den Boden und starb an Herzversagen. Zwei Tage darauf starb Avraham
Moldovsky, 69, aus Givatayim, unter ähnlichen Umständen.
Yehiel Nisenholtz, Direktor eines Wohn-Dorfes für Pensionäre, ist
ein Psychologe mit 17jähriger Berufserfahrung bei der Behandlung
älterer Menschen. Während des Golfkrieges war er für die Behandlung
alter Menschen im Sheba Medizinisches Zentrum zuständig. Nach seinen
Worten stellen die Alten den empfindlichsten und verwundbarsten Teil
der Bevölkerung in einem Krieg dar, so wie er sich jetzt abspielt.
Der verwundbarste Teil der Bevölkerung
„Senioren sind am verwundbarsten, weil ihre körperlichen Reserven –
sowohl die physiologischen wie geistigen – beschränkter sind,”
erklärt Nisenholtz. “Sie hören schlechter, ihre Reaktionszeiten sind
länger, ihre Bewegungen sind langsamer, ihr Gedächtnis ist schwächer
und es fällt ihnen schwerer, ihre Bewegungen zu koordinieren.
Wenn die Älteren darum gebeten werden, ihre Schachtel mit der
Gasmaskenausrüstung zu öffnen, den Plastikbeutel herauszunehmen, die
Maske zu öffnen, das Sicherheitsschloss zu entfernen, den Filter
einzudrehen, den Stöpsel zu entfernen und die Maske aufzusetzen, ist
das für sie mit großen Schwierigkeiten verbunden.
“Die meisten von ihnen tragen Brillen. Die Maske ist für
Brillenträger nicht vorgesehen – und das ist eine weitere
Schwierigkeit für sie. Die Maske erschwert das Atmen. Wenn ein
Senior Atemprobleme hat, verstärkt dies die Maske nur noch.“
Nisenholtz sagt, obwohl das Heimatschutz-Kommando zugestimmt hat,
dass jeder Senior über 80 Jahren seine normale Gasmaske gegen eine
mit einem Balgen austauschen kann, der das Atmen erleichtert, ist es
nicht allen Senioren möglich gewesen, alle Masken, die sich in ihrem
Besitz befinden, auszutauschen. Nach seinen Angaben haben sogar
Personen im Alter zwischen 70 und 75 Jahren Atemprobleme – und sie
können sich ihre Masken nicht austauschen lassen.
“Wenn man zu all diesen Faktoren noch Angst, Anspannung und den
Stress beim Ertönen der Luftalarm-Sirenen hinzurechnet, dann ist es
klar, dass all diese Dinge zusammen das Verhalten einer älteren
Person bei einem Übungsalarm beeinträchtigen,“ sagt Nisenholtz. Aus
diesem Grund ist er davon überzeugt, dass die Älteren besonders auf
einen Krieg vorbereitet werden müssen und ihnen im Falle eines
wirklichen Alarms das richtige Verhalten beigebracht werden muss.
Deshalb hat er „zehn Verhaltensregeln“ für die Älteren verfasst –
einfache Ratschläge, um den Stress in Kriegszeiten zu verringern.
Zehn Verhaltensregeln für den Kriegsfall
* Die Maske nicht sofort anlegen
Weil es älteren Personen schwer fällt, die Masken anzulegen und
Fehlverhalten im vorherigen Krieg zu Todesfällen führte, schlägt
Nisenholtz vor, dass die Senioren, die sich in einem relativ starken
und gesicherten Gebäude aufhalten, die Masken nicht unmittelbar nach
Ertönen der Alarmsirene anlegen, sondern darauf warten, ob Raketen
einschlagen oder auf weitere Anweisungen, die über die Medien
ausgestrahlt werden. Das Risiko, sich beim Anlegen der Maske zu
verletzen, ist weit höher als durch eine Rakete verletzt zu werden.
Nur im Falle einer wirklichen Bedrohung, dass eine Rakete mit
chemischen Kampfstoffen in unmittelbarer Nachbarschaft einschlägt,
sollten ältere Menschen die Maske aufsetzen.
* Die Ausrüstung in der Nähe aufbewahren
Sicherstellen, dass die Schutzausrüstung sich in der Nähe befindet
und funktionsfähig ist. Wie bereits vorher erwähnt, können über 80
Jahre alte Senioren die Maske gegen eine solche mit Balgen
austauschen lassen.
* Benötigte Ausrüstung bereits vorher zurechtlegen
Bereits vorher ein Paket oder einen Plastik-Beutel vorbereiten, der
Medikamente enthält, die von Senioren benötigt werden; eine Flasche
Mineralwasser; ein Handy und ein Ladegerät; einen Notruf-Kontakt
(falls der Senior über einen derartigen Kontakt verfügt); eine
Taschenlampe mit neuen Batterien; ein Buch mit Kreuzworträtseln zur
Ablenkung; warme Kleidung und Decken.
* Nicht alleine bleiben
Senioren, die alleine leben, empfiehlt Nisenholtz, sollten
Verabredungen treffen, in Paaren oder in kleinen Gruppen zu bleiben.
Der Grund für diese Empfehlung ist sowohl praktischer wie
psychologischer Natur: Es handelt sich um ältere Personen, die
Schwierigkeiten haben, die Sirenen zu hören, andere haben
Schwierigkeiten, die Anordnungen zu begreifen, weil sie unter Stress
einfach sehr stark abbauen. Wenn sich die ältere Person in einer
Gruppe aufhält, verringert sich die Gefahr, dass er oder sie
vergisst, den Stöpsel aus der Maske zu ziehen. Wenn sie es vergessen
sollten, dann würde sie jemand daran erinnern oder bemerken, dass
sie Schwierigkeiten beim Atmen haben.
* Ehre Deinen Vater und Deine Mutter
Ein besserer Rat, sagt Nisenholtz, würde darin bestehen, in
Kriegszeiten bei seinen Kindern und Verwandten zu wohnen. Man sollte
keine Angst davor haben, zu einer Last für sie zu werden. Im
Allgemeinen heißen Kinder ihre alten Eltern mit Freude und voller
Verständnis willkommen. Es ist auch ein angenehmeres Gefühl, eine
schwierige Zeit bei seiner Familie zu verbringen.
* Radio und Fernseher eingeschaltet lassen
Es ist ganz wichtig, in einem abgedichteten Raum über ein gutes
Radio und einen Fernseher zu verfügen. Die neuesten Informationen
sind sehr wichtig – besonders angesichts der Tatsache, dass es
dieses Mal keine Entwarnungs-Sirenen geben wird. Die Informationen
in dieser Hinsicht werden über die Medien ausgestrahlt.
* Einen bequemen Stuhl vorbereiten
Es ist wichtig, dass der sichere Raum über einen bequemen Stuhl für
den Aufenthalt über einen längeren Zeitraum verfügt – oder über ein
bequemes Bett.
* Positiv denken
Es ist sehr wichtig, die Gefühle unter Kontrolle zu halten und
positiv zu denken.
* Eine Routine einhalten
Weiterhin wie bisher die körperlichen Aktivitäten beibehalten und
auch regelmäßig schlafen.
* Telefonischen Kontakt aufrechterhalten
Mit Freunden und der Familie telefonischen Kontakt aufrechterhalten.
Gute geschützte Wohnungs-Bedingungen für die Älteren sind in diesen
schwierigen Zeiten besonders wichtig. Neben Schutzräumen,
Reserve-Schutzausrüstungen, einem Lebensmittel-Notvorrat, einem
Rettungsfahrzeug für den sofortigen Transport von Opfern und
Generatoren für die Bereitstellung von Strom bei Notfällen, stellt
auch die geschützte Unterbringung soziale Unterstützung dar: Ältere
Menschen treffen sich, sprechen über ihre Ängste, verringern so den
Unsicherheitsfaktor, üben gegenseitig, sich richtig zu verhalten,
wenn der Alarm ertönt und helfen sich im allgemeinen gegenseitig.
“Der psychologische Aspekt ist besonders wichtig,” sagt Nisenholtz.
“Wir führen Übungen und Scheinalarme für unsere eigenen Bewohner
durch, und sie stellten fest, dass sie die Anforderungen erfüllen.
Sie sind bereits vorbereitet.”
Yediot A'haronot 23.3.03
Keren Hayesod - Kommunikations- und Marketingabteilung
Solidaritäts-Update No. 224 08.04.03
hagalil.com
09-04-2003 |