Dugit und Nissanit im Gazastreifen:
Verunsicherte Siedler
Von Ulrich W. Sahm
Ohne zu kontrollieren öffnet ein Soldat an der
"grünen Linie" das Eisentor zum besetzten Gazastreifen. Die
Waffenstillstandslinie von 1949 ist durch rostende
Stacheldrahtrollen gekennzeichnet. Parallel dazu, etwa 20 Meter tief
auf israelischem Gebiet, steht ein moderner Zaun mit Sensoren. Auf
der Patrouillenstraße geht es in Richtung Mittelmeer. Martialische
Militärstellungen bieten Schutz. In der Ferne halbzerfallene Hütten.
Ein verbogenes Schild verheißt ein "Restaurant für Fisch und
Meeresfrüchte". Das war einmal eine Goldgrube der Familie Goren, als
Palästinenser aus Gaza und Israelis aus Tel Aviv dort einträchtig
die Früchte des Mittelmeeres genossen. Hier wurde vor der Intifada
ein preisgekrönter Film über das friedliche Zusammenleben von
Siedlern und Palästinensern im Gazastreifen gedreht!
In der Ferne ist das Chaos der Häuser von Gaza zu sehen. Dreck,
fensterlose Karawane, verrostete Stacheldrahtrollen, abgerissene
Schilder und demontierte Spielplätze repräsentieren die Siedlung
Dugit. "Mein Haus steht NICHT zum Verkauf aus", verkündet ein
handgemaltes Schild. Chromblitzende Jeeps aus Tel Aviv drehen eine
"letzte" Runde in der scheinbar menschenleeren Siedlung vor ihrem
Abriss. Ein Rottweiler kläfft jeden motorisierten Feind an.
Treibsand verdeckt ein demontiertes Karussell. Die unverputzten
Betonhäuser in dem 18-Familien-Kaff wirken neu und ungepflegt.
Auf einer Terrasse bewedelt ein Mann einen Holzkohlegrill. Die
Siedlerfrau Tova mit blond-gefärbten kurzgeschorenen Haaren mischt
Salat. "Ich habe immer die linke Meretz-Partei gewählt. Mein Mann
Eyal früher auch, inzwischen ist er in die Mitte abgewandert", sagt
Tova. Der zehnjährige Sohn Ido wirft schnippisch ein: "Ich bin der
Rechtsradikale in der Familie und bin gegen den Rückzug."
Vor vierzehn Jahren suchte PC-Ingenieur Eyal Goren, damals 36,
"einen neuen Sinn im Leben". Israel sei das einzige Mittelmeerland
ohne Fischerdorf. "Wir suchten im Norden und entdeckten Dugit",
erzählt Tova. Bauminister Ariel Scharon stimmte der Errichtung eines
Fischerdorfes zu. Zehn Jahre lang lebte Familie Goren fünfköpfig in
einem Zwei-Zimmer-Karawan aus Pappe und Asbest. "Mit
palästinensischen Fischern arbeiteten wir eng zusammen und
respektierten einander", schwärmt Eyal von paradiesischen Zeiten bis
Oktober 2000. "Unser Restaurant war Anziehungspunkt für alle", sagt
Tova. Die Siedler im Gazastreifen nennt sie "Südländer": warmherzig,
ungebildet und kulturlos. "Mit der Intifada endete alles. Nichts
wird wieder so, wie es war", sagt Eyal resignierend.
"Wir erfuhren vom Rückzug aus den Medien." Bisher meldeten sich
Rechtsanwälte, um Provisionen auszuhandeln, aber kein
Regierungsvertreter. Eyal erwartet 300.000 Dollar Entschädigung für
14 Jahre Siedlerleben und für das vor drei Jahren bezogene Haus.
Tova lacht höhnisch. "Das reicht nicht einmal für den Rückkauf
unserer Wohnung in Givataim. Ein halber Hektar am Strand, um weiter
als Fischer zu arbeiten, kostet eine halbe Million Dollar." Für das
Sabbatmahl legt Eyal Schweinskotelette auf die glühende Holzkohle.
"Wir sind nicht fromm. Wir sind keine Ideologen. Wir werden ohne
Widerstand umziehen, aber emotional fällt es uns sehr schwer", klagt
Tova. "Wir glaubten an ein friedliches Zusammenleben mit unseren
palästinensischen Freunden. Aber die Intifada beendete alles. Nach
Schüssen und Bombenattacken zog die Armee Zäune und zerstörte alle
arabischen Häuser und Gewächshäuser rund um uns." Eyal kommentiert:
"Scharon ist ein Verräter. Erst lockt er uns her und jetzt vertreibt
er uns. Ich bin 50 Jahre alt und habe keine Kraft, ein neues Leben
aufzubauen."
Die Sonne geht unter. In der Ferne dreht ein palästinensischer
Traktor seine Runden.
Mit 320 Familien ist Nissanit die größte Siedlung im Norden des
Gazastreifens, vor 21 Jahren gegründet, nachdem
Verteidigungsminister Ariel Scharon die Stadt Yamit auf der
Sinaihalbinsel sprengen ließ. Auf der Terrasse einer schmucken Villa
sitzen vier fromme Frauen. Orna: "Wir kamen aus wirtschaftlichen
Gründen. Wohnungen in Israel waren zu teuer, aber wir arbeiten noch
in Aschkelon." Die Grenze liegt 20 Meter entfernt. Jehudit: "Vom
Rückzug haben wir aus der Zeitung erfahren. Anwälte meldeten sich,
um abzusahnen. Von der Regierung müssen wir alles einfordern."
Bestenfalls drei "ideologische Familien" würden physischen
Widerstand leisten, spekuliert Batschewa. Unter den Frauen entzündet
sich eine Diskussion: "Was bringt denen das? Die kommen dann mit
einem Kran und setzen die einfach auf die andere Seite des Zauns."
Jehudit will nicht an die Aufgabe von Nissanit glauben: "Soll ich
etwa wie meine Nachbarin weinen und verzweifeln? Da ist es besser,
nicht daran zu glauben." Erst nach einer Stunde gesteht Orna:
"Nissanit will eine Gemeinschaft bleiben. Wir verhandeln mit der
Regierung, geschlossen in eine Neubausiedlung in der Negewwüste
umzuziehen. Aber um die maximal 140 Häuser kämpfen auch die Siedler
von Gusch Katif (im Süden des Gazastreifens)."
"Wir reden eigentlich nicht mit Journalisten", sagt Orna zum
Abschied. "Wir sind die schweigende Mehrheit. Was man über die
Siedler hört, kommt nur von den Extremisten. Auch wenn wir das
Gefühl haben, dass die Regierung uns verrät und billig verkauft für
einen vermeintlichen Frieden mit diesen ekelerregenden
Palästinensern, fühlen wir uns von den Siedleraktivisten nicht
vertreten."
hagalil.com
03-03-2005 |