Folgen eines möglichen Rückzugs aus dem
Gaza-Streifen:
So sprach der Geheimdienst
Jedioth Achronoth, 1. Juni 2004
Das einseitige
Rückzugsprogramm Sharons "wird von den Palästinensern als Sieg des
Terrors interpretiert,….und steigert die Motivation, Anschläge zu
verüben, damit weitere politische Ziele erreicht werden." Diese
eindeutigen Äußerungen stammen von dem Leiter des militärischen
Geheimdiensts, General Aharon Ze'evi-Farkash, bei der Sitzung des Außen-
und Sicherheitskomitees im Februar dieses Jahres.
Er räumte zwar ein, es könnten durchaus
Stimmen laut werden, die dem Terror seine Legitimität absprechen, aber
die Abgeordneten waren sich über die Bedeutung seiner Äußerungen einig:
der einseitige Rückzug würde "dem Terror Rückenwind verleihen", wie es
der Generalstabschef so schön formulierte.
Der Leiter des Shabak, Awi Dichter, hütet
sich vor öffentlichen Äußerungen, aber Veröffentlichungen, in welchen
auch ihm eine negative Einstellung zu dem einseitigen Rückzug zugeordnet
wurden, wurden nicht dementiert.
Seither sind knapp vier Monate vergangen.
Das Programm hat sich nicht wesentlich verändert, mit Ausnahme der
Tatsache, dass die politische Zukunft des MP von ihm abhängt, seitdem es
bei der Urabstimmung im Likud abgelehnt wurde. Aber vorgestern, bei
einer Debatte in der Regierung, hörten sich die Dinge etwas anders an.
Ze'evi-Farkash sagte, die Loslösung würde "eine neue Realität
herstellen, den Terror reduzieren und ihn erträglich machen". Und der
Leiter des Shabak sagte, der einseitige Rückzug würde "den
Terrororganisationen den Teppich unter den Füßen wegziehen und die Zahl
der Anschläge reduzieren".
Was ist passiert? Hat sich bei den
Palästinensern eine weitgehende Veränderung vollzogen? Wahrscheinlich
nicht. Wurden die Vertreter des Sicherheitsapparats unter Druck gesetzt,
damit sie ihre Meinung der des MP anpassen? Das wäre schlimm, ist jedoch
unwahrscheinlich. Was ist also passiert?
Im Gegensatz zu Politikern müssen die
Uniformierten (einschließlich der Leiter des Shabak) niemandem sofort
Rechenschaft ablegen, wenn sie sich widersprechen. Sie müssen dies nicht
einmal begründen. Sie treten hin und wieder auf, wie Orakel, die über
irgendwelche Informationen verfügen, die normalen Sterblichen
vorbehalten bleibt, und verkünden dann ihr Urteil. Sie haben ja
schließlich Einblick in geheimes Material,…das ihnen ermöglicht, die
Realität richtiger, objektiver und exakter zu sehen.
Oder auch nicht. Die geheimdienstlichen
Apparate Israels sind gut. Wer einen Beweis dafür benötigte, erhielt ihn
vorgestern Nacht in Gaza, als diese Apparate zwei Hamas-Leute ausfindig
machten und die Luftwaffe haargenau auf sie ansetzten.
Der Fehler ist, wenn man aus diesen
Fähigkeiten schließt, dass diese Apparate auch komplizierte
Entwicklungen voraussagen können, die eine ganze Gesellschaft betreffen,
vor allem eine besetzte Gesellschaft, die sich in völligem Chaos
befindet, wie die palästinensische. In Wahrheit sind die Einschätzungen
des Chefs des militärischen Geheimdiensts in diesem Zusammenhang nicht
fundierter als die eines Bürgers, der regelmäßig Zeitung liest.
Das Problem liegt nicht in der
Meinungsänderung der Geheimdienstvertreter, sondern darin, dass wir, die
einfachen Bürger, ihre Äußerungen als heilig werten. Schon viele Jahre,
und vor allem in den letzten dreieinhalb, gestalten sie unsere
Weltanschauung: Arafat plante die Intifada, denn so sprach der
Generalstabschef. Der Rückzug verstärkt oder reduziert den Terror, denn
so sprach der Chef des militärischen Geheimdiensts.
Jeder informierte Bürger kann sich eine
Meinung bilden, und zwar genauso gut wie die Vertreter der
Sicherheitsdienste. Das Problem liegt nicht darin, was sie sagen. Das
Problem ist, dass wir, aus Angst, sie, und nur sie, immer wieder fragen.
hagalil.com
02-06-2004 |