Reaktionen der Siedler:
Die Abstimmung beendet Monate der Unruhe
Auszüge aus einem Bericht von Daniel Ben Simon,
Ha'aretz, 27.10.2004
Übersetzung Daniela Marcus
"Das war's, es ist vorbei", seufzte Amram
Mor-Yosef nach der Abstimmung. Als die Stimmen in der Knesset
ausgezählt waren, wurden Amram Mor-Yosefs Gesichtszüge friedlich,
als ob eine schwere Last von ihm genommen worden war. Nach Ende der
Stimmauszählung stand Amram vom Sofa in seinem Haus in Neveh Dekalim
(Teil des Siedlungsblocks Gush Katif im südlichen Gazastreifen) auf
und scheuchte seine vier Kinder ins Bett. Über Monate hinweg hatte
er mit anderen Gush-Katif-Bürgern eine nervöse Unruhe im hektischen
Versuch, den Abkoppelungsprozess zu unterminieren, geteilt.
Gestern Abend legte sich Ruhe über Neveh Dekalim.
Die Einwohner waren in ihren Häusern und verfolgten besorgt die
Abstimmung. Auch der 48jährige Amram und seine 33jährige Frau Oriana
taten dies. Die ganze Zeit über verlor er nicht sein Lächeln. "Es
kann sein, dass dies das Ende des Lebens im Gush (hebr. für "Block")
ist, doch ich glaube nicht, dass es das Ende der Welt ist", sagte
er. "Wenn sie entscheiden, dass wir gehen müssen, werden wir gehen.
Ruhig. Ohne Theater zu machen. Ich bin sicher, dass ich für die
Mehrheit der Bürger des Gush spreche."
Amram kam vor 21 Jahren nach Gush Katif. Oriana
zog mit ihren Eltern von Bnei Brak nach Netzer Hazani als sie fünf
Jahre alt war. Amram und Oriana gehören zu den älteren Einwohnern
des Gush. Ihre vier Kinder sind hier geboren und haben die meiste
Zeit ihres Lebens hier verbracht. Seit Monaten haben sie sich nun
darauf vorbereitet, dass sie nach der Knessetabstimmung ihr Haus
verlassen müssen. Sie haben sich mental vorbereitet und begannen
außerdem damit, Rechnungen auf Grund der finanziellen Kompensation,
die sie vom Staat bekommen, aufzustellen.
Einige Momente nach der gestrigen Verkündigung der
Ergebnisse streckten sich Amram und Oriana auf ihrem Sofa im
Wohnzimmer aus und starrten auf den kleinen Bildschirm des
Fernsehers. Amram, der ein Steuerberaterbüro in Neve Dekalim
besitzt, hat die Evakuierung in Erwägung gezogen. Er und seine
Familie werden nicht warten, bis die Soldaten kommen. Kürzlich haben
sie sich bereits nach einem Ort umgeschaut, wo sie ihr neues Leben
beginnen können.
Anfangs dachten sie an die Golanhöhen. Oriana kann
sich nun vorstellen, in Schocham (in der Nähe von Tel Aviv) eine
neue Heimat zu finden. Als er die Evakuierung in Betracht zog,
schloss Amram die Möglichkeit, dass sein Haus an Palästinenser
übergeben wird, nicht aus. In letzter Zeit haben immer mehr Bürger
des Gush dazu aufgefordert, alle Häuser zu zerstören und den
Palästinensern nur verbrannte Erde zu hinterlassen.
"Ich denke, das ist nicht richtig", erklärte
Amram. "Wenn es eine Evakuierung gibt, wäre es falsch, die Häuser zu
zerstören. Warum sollen die Palästinenser nicht hier leben? Selbst
wenn sie meine Gegner sind, ist es schade, die Häuser zu zerstören.
Was werden wir dadurch gewinnen? Lasst die Menschen hier leben. Es
macht mir nichts aus. Meine größte Freude wird sein, in etwa fünf
Jahren zu einem Besuch in den Gush zu kommen, mein Haus noch
vorzufinden und Menschen unter friedlichen Bedingungen darin wohnen
zu sehen. Es wäre mein Geschenk an den Frieden."
Amram sagt, seine moderate Haltung reflektiere die
stille Mehrheit der Gush-Bewohner. In Gesprächen mit Freunden und
Nachbarn hat er erfahren, dass viele von ihnen ihre Häuser verlassen
werden ohne Theater zu machen. Und ein Referendum wäre nicht im
Sinne der Mehrheit. "Ich bin gegen ein Referendum. Die Knesset und
die Regierung sind für solche Entscheidungen gewählt", sagte er mit
Nachdruck.
Oriana hatte früher nicht damit gerechnet, dazu
aufgefordert zu werden, den Gazastreifen zu verlassen, sei es aus
Naivität oder weil sie es nicht wahr haben wollte. Doch nachdem der
Abkoppelungsplan immer mehr an Fahrt gewann, kam sie zur Vernunft.
"Sie werden mir sagen, dass ich aufstehen und gehen soll", erklärte
sie während sie auf den Bildschirm des Fernsehers starrte. "Und ich
werde aufstehen und gehen. Niemand im Gush wird sich deswegen
umbringen. Die meisten Bewohner werden gehen, ohne einen Aufstand zu
veranstalten. Das weiß ich sicher."
hagalil.com
27-10-2004
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