Siedler im Gazastreifen kämpfen:
Der Umgang mit dem Abkopplungsplan
Ausschnitte aus einem Artikel von Ya'ir Sheleg,
Ha'aretz, 21.02.2005
Übersetzung Daniela Marcus
Der 30jährige Tal Shahar lebt seit sechs Jahren
in Nissanit. Er möchte evakuiert werden. "Wir möchten diesen Ort
seit langem verlassen, ganz besonders seit vor fast einem Jahr eine
Kassamrakete in unserem Haus einschlug. Meine Nachbarn verstanden
meinen Wunsch.
Ich hatte damals vorgehabt, in den Raum zu gehen,
in dem die Rakete einschlug, um etwas zu bügeln. Der ganze Raum flog
in die Luft. Unser Sohn war 4 Monate alt. Wir haben es gerade noch
geschafft, ihn vom Sofa zu holen, bevor dieses von der Wucht des
Einschlags umfiel.
Wir sind ursprünglich wegen der finanziellen Vergünstigungen hierher
gekommen. Keiner von uns konnte irgendwo anders Land zum gleichen
Preis kaufen. Deshalb kamen alle hierher, meine Eltern, meine
Schwester, mein Schwager. Wir sind alle bereit, diesen Ort hier zu
verlassen. Und wir sind nicht die einzigen. Es gibt etwa 400
Familien in Nissanit, und 90% von ihnen sind für die Evakuierung
bereit.
Wir investieren nichts mehr in das Haus und auch nicht in den
Garten. Ich habe Windspiele gekauft, werde sie jedoch nicht
aufhängen. Selbst die Unordnung im Haus beseitigen wir nicht mehr
vollständig. Meine Frau und ich arbeiten in einer Fabrik im
Industriepark Erez. Auch diese Arbeitsplätze werden wir verlassen.
Die Fabrik soll nach Sderot verlegt werden. Doch wir wollen nicht in
eine andere Siedlung ziehen, und ganz bestimmt nicht hier in dieser
Gegend. Ich würde gern in einen Ort im nördlichen Negev ziehen, zum
Beispiel nach Nehora." (…)
Der 56jährige Shlomo Wasserteil lebt seit 27 Jahren in Ganei Tal und
wäre unter bestimmten Bedingungen bereit, die Siedlung zu verlassen.
"Ich bin ein Landwirt. In meiner Gärtnerei produziere ich
Geranientriebe. Jedes Jahr exportiere ich Millionen von ihnen. ich
habe sechs Kinder. Außer einem Sohn, der nicht in Gush Katif lebt,
wohnen alle im Viertel Ganei Tal. Auch zwei Enkel habe ich hier. Ich
bin der Sohn von Schoah-Überlebenden. Nachdem mein Vater überlebt
hatte, bekam er Einreisegenehmigungen für vier Länder. Er ging nach
Israel weil er sagte: ‚Hier werde ich nicht noch einmal entwurzelt.'
Vielleicht würde er jetzt bedauern, dass er nicht nach New York
gegangen ist.
Im Prinzip bin ich mit der Evakuierung nicht einverstanden. Deshalb
ging ich zu Ausschusstreffen der Knesset, um die Bedingungen der
Evakuierung zu beeinflussen. Doch nach einigen Treffen konnte ich
nicht mehr dorthin gehen. Ich hielt es nicht aus, wie man dort meine
Seele und meinen Körper zerteilte. Mir kam es vor, als würde ich
mich selbst verkaufen.
Ich vertrete sicher nicht jeden hier. Doch ich sage Ihnen, wenn der
Premierminister nach Gush Katif gekommen wäre und uns persönlich
gesagt hätte: 'Schweren Herzens muss ich euch mitteilen, dass es zum
Wohl der Bürger und des Staates Israel keine andere Möglichkeit gibt
als euch zu evakuieren, doch ich sage euch meine Hilfe für den Umzug
zu' – dann hätten ich und viele andere geantwortet: 'Unsere größte
Sorge gilt dem Wohl des Volkes und wir werden die Menschen nicht für
das Land opfern.' Doch der Premierminister kam nicht zu uns. (…)
Man wird keine Gewalt anwenden müssen, um mich von hier
wegzubringen. Wenn die Polizei kommt werde ich still und leise
gehen. (…)
Die Leute in Nissanit und Alei Sinai haben es einfacher. Sie
verdienen ihr Geld innerhalb der Grünen Linie und sie werden an
ihrem Arbeitsplatz bleiben. Doch die Leute in Ganei Tal sind
Landwirte. Ich habe Treibhäuser auf einer Fläche von 10 Ar. Wie kann
ich mit diesen Treibhäusern umziehen, und wohin? Womit werde ich im
kommenden Jahr meinen Lebensunterhalt verdienen? (…)
Die 47jährige Ayala Azran lebt seit 18 Jahren in Neveh Dekalim und
kämpft gegen die Evakuierung.
"Ursprünglich arbeitete ich als Künstlerin (…), doch während der
letzten fünf Jahre habe ich im Bereich 'Sicherheit' gearbeitet.
(Azran leitet den von Siedlern gegründeten
Gush-Katif-Sicherheitsausschuss.) Die letzten Monate habe ich dem
Kampf gegen den Abkopplungsplan gewidmet. Ich reise durch das ganze
Land von Treffen zu Treffen. Manchmal komme ich erst ins Bett wenn
mein Mann zum Morgengebet aufsteht. (…)
Manchmal glaube ich, diese Plage, die über uns gekommen ist, wurde
uns vom Himmel geschickt. Wir sind dazu bestimmt, die Rolle der
Klärung unserer Identität zu übernehmen. Diese Abkopplung, von der
jeder redet, ist eigentlich eine Abkopplung von unserer Geschichte
und unserer Identität.
Zu Hause 'leben' wir die Evakuierung nicht. (…) Ich gieße den Garten
und wir pflanzen weiterhin neues. (…) Wenn –was der Himmel
verhindern möge- die Evakuierung doch geschieht, werden wir noch
genug Zeit haben, alles dafür zu organisieren. (…)
Wir haben einen Sohn, der in etwas weniger als einem Monat seinen
Armeedienst antreten muss. Er ist innerlich zerrissen. Ich nehme an,
dass er nicht an der Evakuierung teilnehmen muss. Er hat viele
Fragen. (…)
Ich weiß nicht, wie die zukünftige Haltung meiner Kinder gegenüber
dem Staat Israel und der Regierung aussehen wird."
hagalil.com
21-02-2005 |