Alle reden von einer Waffenruhe:
Fortschritte und Zwischenfälle
Von Ulrich W. Sahm
"Die Stimmung war gut", hieß es nach dem
Treffen des Scharon-Beraters Dov Weissglas mit dem palästinensischen
Außenminister Saeb Erekat. Im Nahen Osten ist Wahrnehmung wichtiger
als Wirklichkeit. Denn solange die Stimmung gut ist, werden alle
Störfaktoren unter den Teppich gekehrt. Ist die Stimmung nicht gut,
dient der kleinste Zwischenfall dazu, positive Entwicklungen platzen
zu lassen.
Mit großen Schritten und dramatischen Beschlüssen hat sich der
frisch gewählte Präsident Mahmoud Abbas an die Arbeit gemacht,
Ordnung in das Chaos von Gaza zu bringen. Mit den Extremistengruppen
verhandelte er über einen Waffenstillstand und ihre Einbindung in
die politische Führung als Gegenleistung. Vor laufenden Kameras ließ
er hunderte bewaffnete palästinensische Polizisten in frisch
gebügelten Uniformen und einem strahlen roten Barret auf dem Kopf
Stellung entlang der Grenzen zu Israel und an Straßenkreuzungen
beziehen. So soll der Beschuss Israels mit Kassam-Raketen verhindert
werden. Der Befehl, zur Not auch zu schießen, falls Extremisten
dennoch selbstgebastelte Raketenwerfer aufstellen, wurde
stillschweigend erteilt und nicht veröffentlicht. Am Strand von Gaza
tauchten Räumkommandos auf und zerstörten unter Polizeischutz
"illegal errichtete Häuser". Gleiche Aktionen in Jerusalem mit
israelischen Räumkommandos führten stets zu Protesten von
Friedensaktivisten und Beschwerden bei der UNO.
Doch so ganz reibungslos geht es nicht, nach vier Jahren Anarchie
plötzlich wieder Recht und Ordnung einzuführen. Obgleich die
Einsätze der palästinensischen Polizisten mit den Israelis voll
koordiniert sind, damit sie nicht als "Terroristen" abgeschossen
werden, halten die Israelis immer noch gewisse Kreuzungen gesperrt,
was die Polizisten hindert, auch im südlichen Gazastreifen Stellung
zu beziehen. Als palästinensische Offiziere in ihren schmucken Jeeps
zu einem Treffen mit ihren israelischen Partnern vorfuhren, stürzten
sich rechtsradikale Siedler auf die "Polizisten-Terroristen",
zerschnitten die Reifen der Jeeps und prügelten sich mit
israelischen Polizisten. Mit blauen Augen und zu Fuß kehrten die
Palästinenser verbittert heim.
Alle reden von einer Waffenruhe, "aber die gibt es nur in den
Medien", behauptete die "Jerusalem Post". Eine Kassamrakete landete
in einem freien Feld und war deshalb im Rahmen der "guten Stimmung"
keine Schlagzeile wert. Sogar der Tod der fünfjährigen Rahma Abu
Schamas im Flüchtlingslager Deir el Balah wurde unter den
Medienteppich gekehrt. Wenn man den palästinensischen Angaben
glauben darf, scheinen israelische Scharfschützen mit Schrotgewehren
ausgestattet zu sein, denn neben dem Mädchen wurden noch drei
weitere Palästinenser verletzt. Vermutlich jedoch wurden das Mädchen
und die Anderen durch die Splitter einer palästinensischen
Kassamrakete getroffen. Wegen technischer Mängel explodierte sie in
Deir el Balah nur 200 Meter von der Abschussstelle entfernt.
In Kalkilia wollten als Araber verkleidete Spezialeinheiten der
Israelis den langgesuchten Hamas-Mann Maher Abu Sneina und seine
Helfer verhaften. Die Verdächtigen bemerkten die Israelis im Subaru
mit palästinensischem Nummernschild. Als sich die Israelis ihnen in
den Weg stellten, gaben sie Gas, um zu entkommen. Die Israelis
schossen. Abu Sneina war auf der Stelle tot, seine Kumpanen wurden
schwer verletzt in ein israelisches Krankenhaus gebracht.
Aber solange die "Stimmung gut ist", können diese Störungen beider
Seiten den Schwung zur Beruhigung nicht ernsthaft stören. Die
Israelis deuten an, hunderte Gefangene freizulassen, Sperren
abzubauen und sich aus den im Jahr 2002 zurückeroberten
palästinensischen Städten zurückzuziehen. Abbas will den Israelis
ein Ende der Feindseligkeiten versprechen, indem er die
unorganisierten Kämpfer einer "Geldwäsche" unterzieht. Anstatt sie
zu entwaffnen und ins Gefängnis zu stecken, sollen sie in die
offiziellen palästinensischen Streitkräfte eingebunden werden. Da
bei den Israelis "Sicherheit" höchste Priorität hat, dürfte es ihnen
am Ende gleichgültig sein, wie die Palästinenser es tun, Hauptsache
sie schaffen ist. Solange die "gute Stimmung" anhält, sind auch
schon die nächsten Schritte zu einer Wiederaufnahme politischer
Gespräche vorherzusehen. Es wird an einem Treffen von Abbas mit
Scharon gearbeitet und der amerikanische Nahostexperte William Burns
ist schon unterwegs, eine Visite der neuen amerikanischen
Außenministerin Condoleezza Rice vorzubereiten.
hagalil.com
28-01-2005 |