Kriegsspiele:
Mea Culpa? Tua Culpa!
B. Michael, Jedioth Achronoth
Wenn es sich nicht um meinen eigenen Buckel handeln
würde, und wenn nicht Menschenleben auf dem Spiel stünden, könnte man
mit kühler akademischer Faszination beobachten, wie die beiden
Gesellschaften, die israelische und die palästinensische, sich wieder in
das Spiel vertiefen, das Ehud Barak für sie erfunden hat: Mea Culpa? Tua
Culpa? Der Gewinner dieses Spiels ist der, der es schafft, dass die
andere Seite von der Welt für den Zusammenbruch des politischen Prozess,
einer erklärten Feuerpause und auch nur einer momentären Beruhigung
verantwortlich gemacht wird.
Das letzte Tournier hat Israel mit einem glänzenden
Sieg gewonnen. Vor allem deshalb, da die palästinensische Seite die
Spielregeln nicht kannte und eigentlich auch gar nicht begriff, dass es
sich um ein Spiel handelt. Wie wutentbrannte Gänse stürzten sie sich in
die Fallen, die man ihnen stellte, sowohl in Camp David als auch auf dem
Tempelberg, und plötzlich waren sie die Schuldigen an dem abscheulichen
Blutbad, das folgte.
Seither sind fast drei Jahre vergangen. Jahre
gegenseitigen Tötens, hässliche Jahre, grausame, kompromisslose und
nutzlose Jahre. Und jetzt beginnt ein neues Tournier. Die erbarmungslose
Welt hat Israel wieder an den Verhandlungstisch gezwungen, und wieder
stellt sich die schicksalhafte Frage: wer wird an dem Scheitern schuld
sein. Diesmal wissen jedoch beide Seiten, um welches Spiel es sich hier
handelt. Diesmal wissen auch die Palästinenser den Wert der Schuld zu
schätzen, wenn sie der anderen Seite an den Hals gehängt wird. Es
scheint, dass die palästinensische Mannschaft die Lehren der ersten
Runde verinnerlicht und begriffen hat, dass der mörderische Rausch nur
den Theo-Faschisten und Chauvinisten beider Völker dient, und beginnt
jetzt, klug und überlegt vorzugehen.
Man hätte ja eigentlich annehmen können, dass sich in
diesen drei Jahren etwas Wesentliches geändert hat. Die traurige
Wahrheit ist jedoch, dass sich an den Zielen der beiden Seiten überhaupt
nichts geändert hat. Die palästinensische Regierung will für seine
Untertanen nach wie vor einen Staat östlich der Grenzen 67 und ist
bereit, dafür mit einem Friedensabkommen zu bezahlen. Die jetzige
israelische Regierung will für seine Untertanen nach wie vor einen Staat
westlich der Grenzen 67 und ist bereit, dafür mit einer Fortsetzung des
Kriegs zu bezahlen. Und weil ziemlich klar ist, dass eine solche Kluft
ein Abkommen unmöglich macht, bleibt nichts anderes übrig, als sich auf
die Last der Schuld zu konzentrieren.
Israel öffnete mit dem Einsatz „übernehmen Sie
Verantwortung“. Die Palästinenser zögerten ein wenig, erholten sich
jedoch schnell und parierten mit einer Annahme des Einsatzes. Israel
regierte flink mit einer kleinen Liquidierung. Die Palästinenser blieben
cool. In einem wagemutigen Schritt nahm Israel in einer Nacht Dutzende
„gesuchte Terroristen“ fest. Die Palästinenser überraschten mit einer
raffinierten Reaktion und erklärten Condoleezza Rice die Grenzen des
Trennzauns von Sharon und brachten sie damit ein wenig auf ihre
Seite….Sharon musste darauf hin ein wenig nachgeben, um den Druck des
amerikanischen Schiedsrichters zu verringern. Die Palästinenser
schickten Abu-Masen und Dahlan immer wieder an die Front, und der
unrasierte palästinensische Dämon verlor in aller Welt zunehmende seine
Hörner.
Israel stand vor einem kleinen Problem. Eine
dramatische Maßnahme war angesagt. Die „Gesten-Teams“ analysierten die
interessante Situation, die entstanden war, und es wurde beschlossen,
lautstark zu verkünden, dass ganz diskret die Besuche jüdischer Gruppen
auf dem Tempelberg wieder aufgenommen wurden. Ein brillanter Trick. Der
Islamische Jihad, der sich stets auf der Suche nach einem Grund für die
Rückkehr auf die mörderische Schiene befindet (ohne die er keine
Existenzberechtigung hat), verübte ganz schnell einen Mord, um „den
Tempelberg zu läutern“. Ein kurzer Hoffnungsschimmer für die Fans der
israelischen Regierung, die palästinensische Führung brach jedoch nicht
zusammen.
Jetzt konzentriert sich Israel auf den Trick der
„freigelassenen Häftlinge“. Israel erklärt den Palästinensern immer
wieder, es würden nur einige hundert Häftlinge freigelassen, und zwar
noch folgender Aufteilung: ein Drittel von ihnen sind Häftlinge, die
niemals vor Gericht gestellt wurden, und von denen kaum jemand weiß,
warum sie überhaupt in Haft sind. Beim zweiten Drittel handelt es sich
um schwer arbeitende Familienväter, die eigentlich nur Brot nach Hause
bringen wollten und auf dem Weg ohne Aufenthaltsgenehmigung erwischt
wurden. Und das dritte Drittel setzt sich aus einer besonders
abstoßenden Mischung aus Kriminellen, Vergewaltigern, Autodieben und
Räubern zusammen, die die palästinensische Seite genauso braucht wie
eine neue Siedlung. „Wenn sie das nicht aus dem Häuschen bringt, dann
gar nichts“, lacht die israelische Seite giftig. In der Zwischenzeit
beißen die Palästinenser die Zähne zusammen und versuchen, die
internationalen Schiedsrichter zu überzeugen, dass es sich um einen
klassischen Trick handelt, der schon häufig erfolgreich angewandt wurde.
So sieht es also im Moment aus: Ein Unentschieden mit
leichtem Vorsprung der Palästinenser und zunehmender Spannung auf dem
Spielfeld.
Und wenn es nicht mein eigener Buckel wäre, und wenn
es sich nicht um Menschenleben handeln würde, könnte ich weiter ein
faszinierter Zuschauer sein, der gespannt auf die nächsten Spielzüge
wartet.
hagalil.com
15-07-03 |