Nach 30 Jahren Bündnis:
Die Stunde der Not in den Siedlungen
Uri Yevlonka, Maariv vom 30.5.03
Das historische Bündnis zwischen
den Siedlern und Ariel Sharon dauerte 30 Jahre an, aber am vergangenen
Sonntag endete es auf dem Bürgersteig vor dem PM-Amt. Als die
israelische Regierung überraschend die Anerkennung des
Palästinenserstaates verkündete, standen draußen auf dem Bürgersteig die
Vorsitzenden des Jesha-Rats mit Protestschildern und versuchten sich
darüber klar zu werden, wie es bloß dazu kommen konnte. Sharon, der auf
dem selben Bürgersteig gerade erst vor acht Jahren noch gemeinsam mit
ihnen einen Hungerstreik geführt hatte, war mittlerweile hinter ihrem
Rücken ins PM-Amt eingezogen und hat sie dort draußen genau an dem Punkt
zurückgelassen, wo sie sich bereits 1993 befanden: beim Kampf um ihr
Zuhause gegen die Regierung.
Die Demonstration am vergangenen
Sonntag zählte nur 15 Personen, darunter der Vorsitzende des Jesha-Rats,
Bentsi Lieberman, und sein Stellvertreter Hasdai Eliezer.
"...Hoffentlich ist die Entscheidung nur taktisch-politischer Natur und
Sharon meint sie nicht wirklich ernst." Aber genau als die Siedler sich
von dieser Hoffnung trösten ließen, versetzte ihnen PM Sharon den
nächsten Hieb: "...die Besatzung ist schädlich," gab er zu.
"Arik ist völlig übergeschnappt,"
stieß ein hochrangiges Jesha-Rat-Mitglied hervor und fügte hinzu: "Das
war's, jetzt verstehen wir ihn überhaupt nicht mehr. Wir werden jetzt in
Jerusalem auf die Straße gehen, genau wie wir es nach Oslo getan haben.
Alle Siedler und Hügelleute werden zum Protest kommen."
Bentsi Lieberman versucht Sharon zu
verstehen: "Es handelt sich hier zweifellos um ein ideologisches
Erdbeben. Sharon hat in gewisser Weise das moralische Anrecht verloren,
für das Volk zu sprechen. Er hat Yamit geräumt und es bereut, ist zur
Wye-Plantation geflogen, um dort den Palästinensern 13% der Gebiete zu
geben und hat es bereut. Dann hat er die Räumung von Shilo und Beit-El
verkündet und es bereut, und nun erkennt er einen Palästinenserstaat an
und spricht von 'Besatzung'? Whow, das ist ein wahrer Mapainik (linke
Mutterpartei der Labour;Anm.d.Ü.). Dies bedeutet, daß Sharon ein
Politiker ist, dessen Eretz-Israel-Gundlage eine rein
sicherheitspolitische und keine deutliche ideologische Bedeutung hat..."
In Reaktion auf die Annahme der road
map, hat der Jesha-Rat den Krieg erklärt. Wenn alles wie geplant
verläuft, werden diesen Mittwoch tausende Siedler zu einer ersten
riesigen Demonstration dieser Art nach Jerusalem kommen und dort gegen
eine rechte Regierung demonstrieren, der ein Mann vorsitzt, der unter
ihnen kürzlich noch als 'König Israels' galt. "Eines sollte völlig klar
sein," meint Lieberman, "in politischer Hinsicht werden wir keinerlei
Verzichte über gar nichts eingehen. Es wird einen harten und
entschlossenen Kampf um die Besiedlung geben. Sharon ist ein Bulldozer,
der angehalten, einen U-Turn gemacht hat und wieder zurückfährt. Aber er
wird sehr schnell merken, daß wir auch Bulldozer haben. Bis heute haben
wir mit ihm zusammengearbeitet und ab heute werden die Bulldozer auch
ohne ihn und sogar gegen ihn weiterarbeiten. Der Siedlungsbau geht
weiter und wird noch intensiviert. Aber um Sharon die roten Linien klar
zu machen, sind wir zu dem Schluß gekommen, daß man ihm gegenüber Abwehr
schaffen muß. Wir werden alle Kanonen dafür einsetzen, denn wir befinden
uns unter Beschuß."
Parallel zu der Metapher des
Bulldozer arbeitet der Jesha-Rat intensiv an der Erstellung eines
eigenen politischen Plans in den Gebieten. Sie hoffen, wenn sie beweisen
können, daß eine Trennung möglich ist - einschließlich einer Aufteilung
der Gebiete zwischen Juden und Arabern - wird es möglich sein, die road
map zu neutralisieren und einen arabischen Staat westlich des
Jordanflusses zu verhindern. In jeder Kommunal- und Regionalbehörde
liegen Grundpläne für einen zukünftigen Ausbau vor. Aufgrund der
Intifada und der Bedrohung durch die road map hat der Vorsitzende des
Jesha-Rats, Bentsi Lieberman, eine Anpassung der Karten für eine
Aufteilung der Gebiete initiiert. Pinchas Wallerstein, der Vorsitzende
des Regionalrats Binyamin, ist der Erste, der das Planungstadium sogar
schon abgeschlossen hat und in dieser Woche wurde in Maariv die von ihm
vorbereitete Karte präsentiert.
Ein Vertrauter Wallersteins
enthüllte in dieser Woche , daß hochrangige IDF-Offiziere sich diese
erste Kartenversion für Binyamin angeschaut und festgestellt haben
sollen, daß der Teilungsplan der Siedler umsetzbar ist, außer einigen
kleinen technischen Änderungen im Bereich Straßen/Infrastruktur. Ein
hochrangiges Mitglied des Jesha-Rats erklärte in dieser Woche, daß gemäß
dieses Siedlerplans 30% von Judäa und Samaria an die palästinensische
Zivilverwaltung übergeben werden.
Der Plan sieht keine Räumung der
Außenposten und Siedlungen vor und als Gegenleistung dafür wird Israel
den Arabern Bewegungsfreiheit in allen Gebieten anbieten. Man wird ihnen
alles anbieten, nur nicht Souveränität und auch keinen Staat. Ein
anderes hochrangiges Mitglied des Jesha-Rats definierte den Plan in
dieser Woche als den "Camp-David-Vorschlag der Siedler". "Mehr als
dies," erklärte er "werden die Araber von uns nicht bekommen."
Rechtsextremisten sind zutiefst erbost über die Enthüllung des Plans in
Maariv, denn ihrer Ansicht nach ist dieser Plan viel zu kompromißbereit.
Ein sehr hochrangiges Mitglied des
Jesha-Rats sagte in dieser Woche: "Wenn ich nochmal genau darüber
nachdenke, ist überhaupt noch nicht klar, ob wir diesen Plan jetzt
vorschlagen. Wenn er als zu kompromißbereit betrachtet wird, wird er
wohl von vornherein zum Scheitern verdammt sein. Die Veröffentlichung
der Karte hat uns gelehrt, daß wir jetzt nur von einem Kampf reden. Die
vernünftige Rechte im Jesha-Rat versucht einen umfassenden politischen
Plan zu verfassen, aber in dem Moment, in dem man einen Vorschlag macht,
sagt der Feind: 'Aha, jetzt wissen wir, wer Ihr seid. Jetzt setzen wir
uns zusammen und sprechen über den Preis.' Und dann lassen wir uns auf
Verzichte ein, gegen die wir uns wehren.
Aber im Gegensatz zu den
Entscheidungsmachern im Jesha-Rat sieht die Lage in den Siedlungen
selbst anders aus. Dort gewinnt man den Eindruck, daß die Siedler Sharon
völlig ignorieren und nicht nur enttäuscht von ihm sind. Yifat Ehrlich,
die Bewohnerin des Emuna-Außenpostens bei Ofra: 'Ich glaube nicht, daß
aus der road map etwas wird. Außerdem bin ich überzeugt davon, daß es
eine fast schon voraussehbare Chronik haben wird. Die Realität und mit
ihr auch Sharon haben sich verändert. Das Oslo-Abkommen hat auf illegale
Weise Tatsachen vor Ort geschaffen und daher hat sich auch die
Besiedlung auf illegale Weise entwickelt. In der Zeit des Oslo-Abkommens
befanden sich in den Gebieten etwa 100.000 jüdische Bewohner. Heute,
zehn Jahre nach Oslo, dem Krieg und den Terroropfern, zählt die
Besiedlung 230.000 Juden. Also wer hat hier gesiegt? Die Linke und die
Araber haben darin gesiegt, daß sie einen Mann wie Sharon dazu gebracht
haben, Worte wie 'Palästinenserstaat' und 'Besatzung' in den Mund zu
nehmen. Und die Rechte hat gesiegt, weil sie genau zur gleichen Zeit die
Besiedlung ausgebaut hat."
Gad Shitrit, der an der Kasse in
einem Lebensmittelgeschäft in der Siedlung Beit-El arbeitet, ist
verbitterter: "Sharon's Politik ist völlig anders als die offizielle
Politik des Likud. Schließlich hat man ja doch schon immer gesagt, daß
er ein alter Mapainik (s.o.; Anm.d.Ü.) ist und hier haben wir nun den
Beweis. Aber abgesehen von der Balagan machen die Leute hier ganz normal
weiter. Im Herzen stürmt es aber man macht eben weiter. Demnächst werden
wir alle in Jerusalem auf die Straße gehen und protestieren."
MK Uri Ariel (NU), der während der
Oslo-Abkommen tausende Siedler zum Protest vor das PM-Amt geführt hat,
als er selbst als GS des Jesha-Rats fungierte, ist auch sehr besorgt.
"Die Tatsache, daß Sharon, der auch als Sicherheitsmann und Siedlermann
gilt, seinen Weg so extrem geändert hat, wirkt sich aus. Die road map
ist wirklich schlimm und ich meine, man muß auf außerparlamentarischer
Ebene protestieren und darüber hinaus wird es keine andere Möglichkeit
geben, als aus der Regierung auszutreten."...
Die Annahme der Grundsätze der road
map hat den Siedlern aber auch gut getan. Bereits seit Jahren ist der
Jesha-Rat zerstritten und aufgespalten. Der größte Oppositionär ist wohl
Ron Nachman, der Bürgermeister von Ariel. Gerade erst vor einem Monat
hat einen intensiven Kampf gegen die Siedler abgeschlossen, die am Rande
Ariels wohnen und eine Zufahrtstraße nach Ariel gefordert hatten. Sie
hatten behauptet, daß er ihr Leben aufs Spiel setze, weil er sie dazu
zwingt, eine längere Umgehungsstraße gen Tel Aviv zu benutzen. Nachman
hatte seinerseits von ihnen gefordert, daß sie ihm Sicherheitsbeamten
für die Öffnung der Straße finanzieren.
In dieser Woche, heißt es im
Jesha-Rat, kam Nachman mit der folgenden Antwort: "Nachdem ich mit
vielen Dingen im Jesha-Rat nicht einig war, will ich mich ihm heute doch
anschließen," sagt Nachman. "Dies ist die Stunde der Not. Ich fühle mich
sehr schlecht und frustriert. Alle Demonstrationen gegen Itzhak Rabin,
einschließlich des großen Hungerstreiks in Jerusalem, an dem auch Ariel
Sharon teilnahm, sind gar nichts im Vergleich zu der
Regierungsentscheidung dieser Woche. Das war beschämend und
enttäuschend. Ich verlange vom Premierminister, daß er ganz genau
klarstellt, welche Position er vertritt. Was sollen diese schmerzhaften
Verzichte? Ich möchte, daß er uns in ganz einfachem Hebräisch erklärt,
welche Zukunft wir hier haben. Punkt. Gegenüber Labour und der Linken
wußten wir wie wir unsere Positionen zu definieren haben. Ich will, daß
er uns laut und deutlich über unsere Zukunft aufklärt. Bin ich etwa ein
'Besatzer'?"
hagalil.com
05-06-03 |