Scharon und Arafat:
Duett der Verlierer
Von Thorsten Schmitz
Der israelische Schriftsteller Amos Oz hat
Jassir Arafat und Ariel Scharon einmal symbiotisch zu einer Person
erklärt und sie "Scharafat" getauft. Darin steckt die Überlegung,
dass trotz allem nach außen hin gezeigtem Hass der
Palästinenser-Präsident und der israelische Premierminister einander
brauchen, um an der Macht zu bleiben.
Mit einem Hinweis auf die israelische Besatzung,
die in Scharons Amtszeit durch den Bau eines Sperrzauns und
Einmärsche in Autonomiezonen weiter institutionalisiert wurde,
konnte Arafat bislang bequem jeden Ruf nach Reformen und Wahlen
abblocken. Scharon wiederum brauchte den Despoten und
Terror-Förderer vor der Haustür, um den Friedensplan von Oslo
endgültig zu begraben und seine Idee eines getrennten Nebeneinanders
von Palästinensern und Israelis durchzusetzen. Ein reformwilliger
und pazifistischer Arafat wäre Scharons Albtraum. Denn dann müsste
er echten Frieden machen, keinen kalten, einseitigen.
Bislang konnten sich die beiden bequem in ihren
Nischen niederlassen und den Nahost-Konflikt am Köcheln halten,
indem sie das destruktive Spiel der gegenseitigen Schuldzuweisung
betrieben. Nun aber haben Arafat und Scharon einen schwarzen Tag
erlebt, der die Dynamik im Nahen Osten ändern könnte. Beide Völker,
genauer gesagt Vertreter beider Völker, haben ihren Führern die
Gefolgschaft aufgekündigt. Arafat wurde vom eigenen Parlament
demontiert, Scharon kassierte eine Abstimmungsniederlage in seiner
Likud-Partei. Bemerkenswert dabei ist, dass die Palästinenser
Reformen wollen - die Anhänger Scharons aber sich den Versuchen, die
Besatzung im Gaza-Streifen zu beenden, auf hysterische Art
widersetzen. Scharon ist seinem Wähler-Volk einen Schritt voraus,
Arafat hinkt seinem Volk hinterher. Das Ergebnis bleibt gleich: Es
könnte für beide einen Machtverlust bedeuten.
Bei seiner angeblichen Grundsatzrede in Ramallah
am Mittwoch hat Arafat anderthalb Stunden lang das getan, was er
immer tut, wenn er redet: Schönfärberei. Es gebe zwar Fälle von
Korruption, aber wo gebe es die nicht, ließ er die Parlamentarier
wissen. Dass er die Korruptions- und Misswirtschaftsbehörde führt,
dass er die Hoheit über die Sicherheitsdienste nicht an seinen
Ministerpräsidenten abzugeben bereit ist - darüber verlor Arafat
kein Wort. In ungewöhnlich offener Art kritisierten die Abgeordneten
den altersschwachen Despoten. Die alte Garde um Arafat, die ihm in
all den letzten Jahrzehnten die Treue gehalten hat - und dafür mit
Privilegien belohnt wurde -, sieht sich von einer jungen Garde
verhöhnt und verdrängt, die keinen Respekt mehr hat vor dem Raïs.
Sie fordert lautstark Wahlen. Ihr Unmut hat sich in den Juli-Unruhen
in den Palästinensergebieten geäußert. Sie wollen die Zeitenwende
einläuten und begreifen den Rückzug Israels aus dem Gaza-Streifen
als Chance, die Autonomiebehörde zu modernisieren. Der altersstarre
Arafat aber ist taub und übersieht die Zeichen der Zeit. Will er
Präsident bleiben, muss er Wahlen abhalten, die er jedoch scheut und
folglich hinauszögert. Die Geduld seines von Israel und ihm selbst
geknechteten Volkes aber ist nicht unendlich.
Ähnlich starrsinnig wie Arafat behauptet Scharon,
er werde sich an das Veto seiner eigenen Likud-Partei nicht halten
und trotzdem neue Koalitionspartner suchen, die er für eine
Durchsetzung des Gaza-Rückzugsplans im Parlament braucht. Doch kein
Premierminister kann sich dreimal hintereinander eine Niederlage in
der eigenen Partei leisten. Schließlich hatte der Likud zuvor
bereits einem Palästinenserstaat und dem Gaza-Rückzug eine Absage
erteilt. Scharon braucht eine Basis, mit der er regieren kann, und
über die verfügt er nicht mehr.
Mit derselben Panik, mit der Scharon aus
demographischen Gründen fast schon übereilt den Auszug der 8000
jüdischen Siedler aus dem Gaza-Streifen durchzusetzen gedenkt,
agiert sein mittelalterlicher Likud. Die Mehrheit der Partei will -
wie Scharon selbst bis vor einem Jahr - den Status quo beibehalten.
Sie sieht in der Kolonialisierung eines fremden Volkes ein legitimes
Mittel zur Wahrung der eigenen Sicherheit.
Wenn der Likud sich gegen den Abzug aus dem
Gaza-Streifen ausspricht, macht er auch deutlich, dass er die
Palästinenser weiter unter israelischer Kontrolle halten will.
Scharon aber, der sich auf internationaler Bühne plötzlich als
reformwilliger Premier darstellt, möchte sie peu à peu loswerden,
indem er sie im eingezäunten Gaza-Streifen und in eingezäunten
Enklaven im Westjordanland sich selbst überlässt. Der einseitige
Rückzug aus Gaza ist ein Abschied vom Miteinander und das Begräbnis
von Oslo, der Bau des Zauns die Einlösung des Wahlversprechens, für
Ruhe und Sicherheit zu sorgen. Die Ruhe aber entspricht einer
Friedhofsruhe.
Scharon muss jetzt außer den Palästinensern auch
noch die Rebellen in seiner Partei loswerden. Deshalb stellt er
sich, so heißt es aus seinem Büro, bereits auf Neuwahlen ein. Freuen
über zeitraubende Neuwahlen würden sich die Siedler im Gaza-Streifen
und Scharons Symbiose-Partner, Arafat. Der hätte eine neue Ausrede,
Wahlen hinauszuzögern.
hagalil.com
23-08-04 |