
"Der Einfluss der Religiösen
schwindet"
Soziologe Kimmerling:
Israel wird zum Friedensprozess zurückfinden
Baruch Kimmerling ist Professor für
Soziologie an der Universität Jerusalem. Er forscht über den inneren
Zustand der israelischen Gesellschaft.
Die Mehrheit der israelischen
Gesellschaft unterstützt den Kurs von Premierminister Scharon. Warum?
Nach dem Scheitern der Verhandlungen in Camp David und Taba sowie nach
einer Serie von palästinensischen Anschlägen auf Zivilisten fühlt sich
die jüdisch-israelische Gesellschaft "betrogen" und bedroht. Scharon
versteht es, diese Stimmung zu manipulieren und wird dabei von
machtgierigen Spitzenpolitikern der Arbeitspartei unterstützt. Darum
fehlt uns eine richtige Opposition.
Gibt es in Israel noch eine Mehrheit zur Fortsetzung des
Oslo-Prozesses?
Nicht im Augenblick. Ich kann auch nicht sagen, wann die öffentliche
Meinung wieder offen sein wird für eine Friedenspolitik. Aber es wird
der Tag kommen, denn für unseren Konflikt mit den Palästinensern gibt es
keine militärische Lösung.
Was hat sich in der israelischen Gesellschaft seit dem Tode Rabins
geändert?
Die Konfliktlinien der Juden untereinander sowie zwischen Juden und
Palästinesern sind schärfer geworden. Ich bin nicht sicher, ob die Lage
heute besser wäre, wenn Rabin noch lebte. Wir werden nie erfahren, wie
sein endgültiger Friedensplan aussah und ob er letztlich von beiden
Seiten, Juden und Palästinensern, akzeptiert worden wäre.
Warum sind die religiösen Parteien so stark geworden?
Sie profitierten von einem ideologischen Vakuum, welches die säkulare
Arbeitspartei nach dem Jom-Kippur-Krieg 1973 hinterlassen hat.
Mittlerweile jedoch stehen die religiösen Parteien vor einer schweren
inneren Krise und verlieren an Einfluss. Sie haben keine gemeinsamen
politischen Ziele. Sie können sich nicht einmal darauf einigen, was
Judentum und jüdische Religion ist und wie man sie praktiziert.
Das Gespräch führte Martin Gehlen, PNN
03-11-01
haGalil onLine
04-11-2001 |