Interview: Peter Nowak
Opfer in Israel und Palästina:
Solidarität aus geteiltem Leid?
jW sprach mit Nira Lavi, israelisches, und
Ibrahim Bushnak, palästinensisches Mitglied des Forums
Hinterbliebener Familien (BFF), in dem Verwandte von Terroropfern
beider Seiten organisiert sind
F: Wie ist das BFF entstanden?
Lavi: Es wurde von dem israelischen Geschäftsmann Yitzhak
Frankenthal gegründet, nachdem sein Sohn 1994 als
Wehrdienstleistender der israelischen Armee von Palästinensern
getötet worden war. Mitglieder sind Israelis und Palästinenser, die
durch den bewaffneten Konflikt nahe Familienangehörige verloren
haben. Zurzeit gehören dem Forum etwa 200 israelische und 140
palästinensische Familien an.
F: Wie arbeitet das Forum?
Lavi: Eine unserer Aktionen im März dieses Jahres war das Aufstellen
von 1400 Särgen in der Innenstadt von Tel Aviv. Sie sollten die
Toten der zweiten Intifada auf beiden Seiten symbolisieren.
Schwerpunkt unserer Arbeit ist allerdings eher die Organisierung von
Dialogveranstaltungen mit Familien beider Seiten, die Angehörige im
Konflikt verloren haben. Wenn wir zusammenkommen, reden wir nicht in
erster Linie über Friedensvorschläge. Da haben wir wahrscheinlich
verschiedene Vorstellungen. Wir können aber mit den
palästinensischen Familien über unsere toten Angehörigen sprechen.
Da sind wir uns sehr ähnlich. Denn die palästinensischen Familien
empfinden den gleichen Schmerz wie wir. Außerdem können wir den
Tätern verzeihen, damit nicht andere Familien den gleichen Schmerz
empfinden müssen. Das können nur wir machen, weil wir es selber
erlebt haben.
F: Ist das BFF Teil der Friedensbewegung?
Bushnak: Es gibt Sympathien für die Friedensbewegung, aber der
Begriff des Friedens wird auf beiden Seiten verschieden
interpretiert. Für die Israelis bedeutet Frieden in erster Linie
mehr Sicherheit und offene Grenzen für die Wirtschaft, während die
Palästinenser Frieden mit dem Ende der Besatzung, dem Abbau der
Siedlungen und einem eigenen Staat verbinden.
F: Wie werden Sie in der Öffentlichkeit wahrgenommen?
Lavi: Die vielen Anschläge haben das politische Spektrum Israels
nach rechts verschoben. Es ist wenig Raum für Organisationen, die
den Dialog suchen.
Bushnak: Die israelischen Medien ignorieren uns. Dafür ist im
Ausland die Resonanz um so größer. In den USA gibt es ein großes
Interesse an unserer Arbeit, und die Medien haben ausführlich
darüber berichtet.
F: Wie hat sich die Verschärfung des Konflikts auf Ihre Arbeit
ausgewirkt?
Lavi: Die Organisation ist gewachsen. Besonders Israelis sind zu uns
gestoßen. Der traurige Hintergrund ist, daß die Zahl der Opfer
zugenommen hat.
Bushnak: Der Kontakt zu unserer Zweigorganisation in Gaza ist
abgebrochen. Aber das liegt vor allem daran, daß die Aktivisten in
der Westbank leben. Die zugespitzte Situation in der Region
erschwert unsere Arbeit natürlich enorm. Das zeigte sich auch bei
der Rundreise, die wir kürzlich durch Europa gemacht haben. Die
Vertreterin der Menschenrechtsorganisation Addameer konnte nicht,
wie ursprünglich geplant, teilnehmen, weil sie von den israelischen
Behörden keine Ausreisegenehmigung bekommen hatte. Zur Zeit ist es
keinem Palästinenser möglich, nach Israel zu gelangen. Aber auch die
Kontakte zwischen den einzelnen Städten in der Westbank wurden durch
die Belagerung enorm erschwert.
jw 17-07-02
hagalil.com
21-07-02 |