Offener Brief an die Palästinenser:
Liebe palästinensische Cousins!
Yoel Marcus, Ha'aretz, 03.06.2003
Übersetzung Daniela Marcus
Liebe Cousins, der morgige Gipfel in Akaba wird
ein festlicher Tag des Händeschüttelns und der Friedensrhetorik
sowohl für euch wie für uns werden. Jetzt ist nicht die Zeit darüber
zu streiten, wer von uns für das Blutvergießen auf beiden Seiten
verantwortlich ist. Doch es ist nicht zu leugnen, dass ihr in dem
Moment, in dem wir den Fuß auf dieses Land setzten, so sehr gegen
die jüdische Existenz hier wart, dass ihr beschlossen hattet, den
Staat, der euch am 29. November 1947 angeboten worden war,
abzulehnen, in der Hoffnung, dass Israel bald zerstört sein wird.
Seitdem habt ihr niemals eine Gelegenheit
verpasst, eine Gelegenheit zu verpassen, wie Abba Eban es so
unvergesslich ausgedrückt hat. Doch die Welt ist seitdem nicht
stehen geblieben.
Ägypten und Jordanien, die den Staat Israel an dem
Tag, an dem er gegründet worden war, angegriffen hatten, haben
inzwischen gemerkt, dass wir im Guten hier sind, und sie haben
Friedensverträge mit uns unterschrieben. Selbst das kompromisslose
Saudi-Arabien, das das Zentrum des Islam ist, ist zur Aussöhnung
zwischen Israel und der arabischen Welt bereit.
Nachdem die Oslo-Vereinbarungen vermasselt worden
waren, habt ihr eine Welle des Terrors über uns gebracht, die euch
und uns tiefgreifenden Schaden brachte. Es gibt keinen Gewinner und
es wird keinen geben. Mit Bush, der beabsichtigt das globale Haus
aufzuräumen und mit Scharon, der bereit ist, die Besatzung zu
beenden, hat sich der Himmel einen Spaltbreit geöffnet und die
Chance des Lebens geboten.
Scharon machte eine totale Kehrtwendung, als er
sagte, die Besatzung könne nicht weitergehen und als er den
Fahrplan, der zu einem palästinensischen Staat führt, akzeptierte.
Es ist schwer festzustellen, ob der Richtungswechsel aufrichtig
gemeint ist, wie es damals bei Rabin in Oslo der Fall war.
Eigentlich hängt es zum großen Teil von euch ab. Wenn ihr clever
genug seid, es nicht wieder zu vermasseln, wird Scharon keine
Entschuldigung haben: er wird seine Zugeständnisse halten müssen.
Die meisten Israelis haben einen Punkt erreicht,
an dem sie bereit sind für die Gründung eines palästinensischen
Staates, für das Ende der Besatzung und für die Forderungen des
Fahrplans, den Siedlungsbau einzufrieren und Vorposten, die nach dem
März 2001 errichtet wurden, aufzugeben.
Tatsache ist, dass Scharons Worte eine sofortige
Wirkung zeigten: Die Börse knipste ein Licht am Ende des Tunnels an
und Investoren versammelten sich an der Startlinie, bereit für das
Rennen.
Scharon hatte Recht, als er sagte, die Wirtschaft
hänge von der Sicherheitslage ab. Zur Zeit ist die öffentliche
Mehrheit unzufrieden mit Scharons Auftritt. Doch wenn die Dynamik
anhält, wird er sicherlich den enormen Rückhalt, den er bei
Amtsantritt hatte, zurückgewinnen. Es hängt alles von euch ab und
davon, die Politik Arafats zu entschärfen, der nichts anderes getan
hat, als zwei Völker auf den Weg des Blutes und des Feuers zu
ziehen.
Präsident Bushs Engagement ist sehr wichtig. Doch
mein Rat ist, nicht auf ihn zu zählen, falls wir nicht bereit sind,
uns entsprechend eurer Forderungen und eurer Laune zu benehmen. Seit
dem 11. September hat Bush von sich das Image eines furchtlosen
Kämpfers gegen die Achse des Bösen aufgebaut. Der Mann, der nicht
wusste, dass Kabul die Hauptstadt Afghanistans ist, als er begann,
nach der Macht zu greifen und der kaum über Amerikas Grenzen hinaus
gekommen war, springt nun in den internationalen Ring wir ein
Kleinstadt-Scheriff auf dem Weg zur Hauptstraße und damit zum
Entscheidungskampf mit den bösen Jungs.
Als ihr euch hinter den Irak gestellt habt und als
ihr Selbstmordattentäter mitten unter Zivilisten gesandt habt, war
Bushs instinktives Gefühl, dass ihr Teil des globalen Terrors seid.
Und als er Auschwitz besuchte, besonders das Krematorium, wo ihm die
Tränen kamen, bekam er eine neue Sichtweise für Israels
Empfindsamkeit. Rechnet also nicht mit Bushs starkem Druck auf uns,
um eure Probleme zu lösen.
Er lieferte einen Regenschirm. Er sorgte für die
politische und betriebsbereite Hilfe, um den Fahrplan zum Laufen zu
bringen. Doch wenn die Wahlen in den USA näherkommen, wird sich sein
Interesse den innenpolitischen und wirtschaftlichen Themen zuwenden,
die sich als sein Sturz erweisen könnten. Ihr habt also maximal
sechs Monate Zeit, um auf den Weg der Konfliktlösung zu kommen.
Bushs Beitrag wird sein, die Parteien mit schweren
Entscheidungen zu konfrontieren. Beide Völker werden
Auseinandersetzungen zu Hause gegenüberstehen, vielleicht sogar bis
zum Bürgerkrieg. Von Israel wird verlangt werden, Gesten des guten
Willens zu zeigen. Es wird gezwungen werden, illegale Vorposten
aufzugeben und dabei Kämpfe mit den Siedlern zu riskieren. Scharon
wird entscheiden müssen, vor wem er mehr Angst hat: vor Avigdor
Lieberman oder vor George W. Bush.
Ihr werdet mit den gleichen Problemen kämpfen
müssen, mit denen Israel am Vorabend der Staatsgründung konfrontiert
war: ein Staat mit einer Regierung und einer Armee zu werden. Lasst
nicht zu, dass Arafat eure Bemühungen sabotiert und helft Scharon
nicht, sich seiner verbalen Versprechen über eine Ende der Besatzung
zu entziehen. Wenn die Gelegenheit an die Tür klopft, schlagt die
Tür nicht zu.
hagalil.com
04-06-2003 |