Die
jüdisch-arabische Friedensinitiative Taayush:
"Es gibt eine andere Zukunft"
Interview Matthias Bertsch
taz: Die
jüdisch-arabische Friedensinitiative, in der Sie aktiv sind, heißt
Taayush - Zusammenleben. Ist der arabische Name ein Zufall?
Gadi Algazi:
Nein. Das Wort gibt es auf Hebräisch oder Englisch einfach nicht. Aber
es geht um mehr. Sehen Sie, es gibt so viele Leute in den besetzten
Gebieten und Israel, die nur das Vokabular der israelischen Soldaten
kennen, entweder aus dem Gefängnis oder von den Straßensperren: "Stop!"
"Kommen Sie weiter!" "Hände hoch!" "Weg mit Ihnen!" und so weiter. Es
ist doch gar nicht schlecht, wenn Juden in Israel ein so schönes
arabisches Wort wie Taayush lernen.
Steht nicht eher
dahinter, dass bei Taayush die jüdischen Mitglieder auf die arabischen
zukommen wollten?
Klar, wenn wir
nicht mehr als Kolonialisten in diesem Land leben wollen, müssen wir
unsere Privilegien aufgeben. Aber wir tun das ja nicht nur für die
Palästinenser. Entweder haben wir eine gemeinsame Zukunft oder gar
keine. Und auch die Palästinenser unter uns müssen umdenken. Am Anfang
ist unsere gemischte Truppe bei den Aktionen in den besetzten Gebieten
auf Skepsis gestoßen - besonders bei Palästinensern, für die der
bewaffnete Kampf eine Option ist. Für die ist es ein Lernprozess, wenn
sie erkennen, dass wir etwas zusammen erreichen, ohne dass einer der
Herr ist. Wir müssen einander vertrauen können, denn bei unseren
Aktionen in den besetzten Gebieten kann es gefährlich werden. Wir sind
dann sehr stark aufeinander angewiesen.
Wie reagiert die
palästinensische Community in Israel auf Taayush?
Am Anfang sind
wir oft auf Skepsis gestoßen. Die Leute wollten wissen, ob wir eine
weitere Koexistenzgruppe sind. Koexistenz ist in Israel mittlerweile
fast ein schmutziges Wort, weil es so lange missbraucht wurde für kleine
Gespräche mit Kaffee und Hummus. Nach dem Motto: Wir reden ein bisschen
über Identität und nachher bekommt ihr vielleicht etwas mehr Geld für
den Aufbau eurer Dörfer. Für diese Art von oberflächlicher Kooperation
haben die Palästinenser in Israel, glaube ich, kein Verständnis mehr.
Aber die
unterschiedlichen Identitäten sind doch trotzdem nicht zu leugnen.
Die Menschen bei
Taayush wissen, wer Jude und wer Araber ist. Aber sie kommen ja gerade
zu uns, weil wir eine Möglichkeit verkörpern, jenseits der ethnischen
Zugehörigkeit etwas zu bewegen. Es wird keiner in einer Diskussion bei
Taayush sagen: ich als Jude beziehungsweise Araber würde dies und jenes
tun oder sagen … Für diese Art habe ich wenig Verständnis. Das Thema
jüdische Identität sollten wir besser unserem Kulturministerium
überlassen.
Ist das nicht zu
einfach? Sitzen die kollektiven Erfahrungen nicht doch zu tief, um
wirklich Vertrauen zu entwickeln? Ich denke dabei vor allem an den
Holocaust.
Eben: Es geht um
tiefe Erfahrungen, nicht um deren Reduktion auf eine Kurzformel von
Identität. Die individuellen Erfahrungen - auch des Holocausts - sind zu
unterschiedlich. Es gibt genug Menschen in Israel, die den Holocaust
überlebt haben, und für die die einzige Lehre daraus ist: Wir sind zu
schwach gewesen, wir müssen so stark sein, dass uns so etwas nie wieder
passieren kann. Dass Überlebende den Glauben an menschliche Solidarität
verlieren, ist nicht verwunderlich. Und trotzdem: Durch diese Haltung
werden wir unmenschlich und gefährden die Zukunft Israels.
Aber es gibt auch
Überlebende, die andere Lehren gezogen haben: Meine Mutter etwa schuldet
ihr Leben menschlicher Solidarität. Unbekannte haben sie gerettet. Und
sie hat mir immer gesagt: "Du darfst nicht vergessen, dass wir auch
Flüchtlinge gewesen sind!" Aus dieser persönlichen Erfahrung heraus
konnte sie die Palästinenser nie hassen. Für sie war die Lehre: Wir
können gegenüber dem Leid anderer Flüchtlinge nicht stumm bleiben.
Welche Rolle
spielt Antisemitismus für Sie?
Ich habe selbst
eher unbedeutende Erfahrungen damit gemacht. Das sind Momente, in denen
ich mehr als Jude gefühlt habe. Sonst versuche ich eher, mich als Mensch
zu verhalten; das finde ich schon schwer genug. Wenn Sie auf die
derzeitige Diskussion in Deutschland anspielen, dann glaube ich, dass es
sehr wichtig ist, in welchem Kontext und mit welchen Interessen Israel
kritisiert wird. Das kann durchaus antisemitisch sein. Ich finde es
allerdings schlimm, wenn Menschen vor allem in Westeuropa Antisemitismus
soweit tabuisiert und zu einer Sonderkategorie erklärt haben, dass sie
vergessen, dass Antisemitismus eine Form des Rassismus ist: sicher eine
gefährliche, aber nur eine Form.
Ich habe in der
Bundesrepublik Leute getroffen, die ungemein judenfreundlich waren,
dafür aber umso diskriminierender gegenüber den Türken. Und dieser
Rassismus spielt, glaube ich, auch bei der Wahrnehmung des
Nahostkonflikts eine große Rolle: Muslime, Araber, Palästinenser - alle
sind primitiv. Aus tiefer Unkenntnis der arabischen Geschichte werden
sie schlechthin als das Böse wahrgenommen. Man identifiziert sich ganz
spontan mit "den Weißen".
Aber es gibt ja
auch in Israel nicht nur Weiße.
Natürlich nicht,
aber dieses Stereotyp spielt eine große Rolle bei der Wahrnehmung der
israelischen Gesellschaft im Ausland. Immer wenn die Arbeitspartei, also
die aufgeklärte "weiße" Minderheit, an die Macht kam, war sie gegen
Kritik von außen immun, nach dem Muster: Die Bösen vom Likud, die
wahrscheinlich von den orientalischen Juden unterstützt werden, die sind
wohl zu primitiv, um Frieden zu schließen. Aber die Leute von der
Arbeitspartei, die werden doch nicht foltern oder Land enteignen. Sie
haben es aber getan. Und sie wurden nicht kritisiert von den
Westeuropäern, weil sie als die Guten und - muss ich schon sagen - als
die guten Weißen gelten. Wichtig wäre aber, die Komplexität unserer
Gesellschaft wirklich anzuerkennen.
Was unterscheidet
Taayush von anderen Friedensinitiativen wie den "Frauen in Schwarz" oder
"Peace Now"?
Die klassische
Linke in Israel hat immer nur gegen etwas protestiert. Wir aber wollen
schon jetzt etwas aufbauen. Scharon profitiert doch davon, dass die
Menschen hier keinen Ausweg sehen. Wir wollen ihnen deshalb nicht nur
zeigen, dass wir durch die Besatzung barbarisiert werden, sondern dass
es eine andere Zukunft gibt, und zwar durch konkrete arabisch-jüdische
Zusammenarbeit.
Das müssen Sie
erklären.
Mitmachen bei
Taayush bedeutet nicht, das eigene Gewissen zu beruhigen und zur
üblichen Peace-Now-Demonstration zu gehen - mit der fast schon
sprichwörtlichen Depression danach. Für uns stehen das gemeinsame
Handeln und die konkrete Aktion von unten im Vordergrund. Bei unseren
Hilfskonvois in die besetzten Gebiete haben tausende Israelis
mitgemacht, und sie haben eine ganz neue Erfahrung gemacht: Sie haben
die Besetzung für ein paar Stunden von innen heraus gesehen. Sie haben
den Palästinensern, die unter der Besatzung leben, direkt geholfen. Und
sie haben Palästinenser getroffen, mit denen sie etwas zusammen gemacht
haben. Wenn die Leute dann nach Hause kommen, haben sie mehr Kraft als
vorher. Sie können wieder glauben, dass Juden und Araber eine Zukunft
haben, und zwar eine gemeinsame.
Aber die Realität
in Israel und den besetzten Gebieten ist doch eine andere: Es gibt Juden
und Araber, und zwischen denen herrscht Krieg.
Ja, das ist die
Wirklichkeit, auch unsere. Aber wir versuchen schon länger, diese
Frontlinien zu durchbrechen und mitten in diesem Krieg fragile, aber
ganz reale Brücken der Solidarität zu bauen. Ich gebe Ihnen ein
Beispiel. Sie erinnern sich vielleicht: Vor genau einem Jahr, Anfang
Juni 2001, gab es am Strand von Tel Aviv ein schweres Attentat vor einer
Diskothek. 21 Jugendliche starben. Für den Tag danach war eigentlich die
regelmäßige Demonstration der Friedensbewegung geplant, in Anbetracht
der Ereignisse sagten aber alle teilnehmenden Gruppen ab. Bis auf
Taayush. Es war schwierig für die jüdischen Mitglieder von Taayush zu
sagen: Auch jetzt, nach dem Attentat, machen wir weiter und sagen klar
"Nein zu Terrorakten!", aber noch ein größeres "Nein!" zur Okkupation,
die diesen Terror und diesen Hass hervorbringt. Die palästinensischen
Mitglieder von Taayush hatten Angst, auf den Straßen von Tel Aviv zu
erscheinen, denn es gab eine starke antiarabische Stimmung. Wir haben
dennoch gemeinsam demonstriert. Das war eine harte Probe für uns als
jüdisch-arabische Gruppe.
Sind die
Mitglieder von Taayush denn ganz frei von dem Hass, der sonst überall zu
spüren ist?
Viele Leute
kommen mit Vorbehalten oder Ängsten zu Taayush. Gerade deshalb ist es
für viele jüdische Israelis eine ganz neue Erfahrung, die Besatzung mal
von der anderen Seite zu sehen. Und zugleich mitzubekommen, wie bereit
die Palästinenser sind, Frieden zu schließen und über so vieles
hinwegzusehen, wenn man ihnen nur ihre Freiheit gibt. Aber zugegeben, es
ist ein schwieriger Prozess, und er lässt sich nicht darauf reduzieren,
was die Juden bei Taayush machen. Genauso schwierig ist es für viele
Palästinenser bei Taayush, zu sehen, wie komplex die jüdische
Gesellschaft ist.
Seit Monaten sind
die besetzten Gebiete fast komplett abgeriegelt. Was kann Taayush
momentan überhaupt erreichen?
Wir sind nie so
zahlreich gewesen - aber gleichzeitig nie so ohnmächtig angesichts
dessen, was Scharons Regierung anrichtet. Wir erhalten ständig Anrufe
aus Dschenin oder Nablus. Die Leute sagen: "Ihr habt doch schon so viel
erreicht. Bitte helft uns!" Aber wir können nicht viel tun.
Gewaltfreiheit
ist ein Prinzip von Taayush. Hat das in diesem Meer der Gewalt
eigentlich noch eine Chance?
Ja, auch wenn
Scharon nicht zulassen will, dass der Widerstand in gewaltfreie Bahnen
gelenkt wird. Ihm sind der kleine und große Terror lieber. Solange der
Kreislauf von Gewalt und Gegengewalt nicht durchbrochen wird, kann er
behaupten: "Das habe ich von Anfang an gesagt." Aber immer, wenn die
Gewalt abflaut und es Chancen auf Verhandlungen gibt, wird deutlich: Er
hat eigentlich nichts anzubieten.
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haGalil onLine 03-06-2002 |