Felicia Langer gilt in Deutschland als wichtige
Vertreterin des "anderen Israel". Sie wurde 1930 in Polen geboren, floh
nach dem deutschen Überfall in die UdSSR und zog Anfang der fünfziger
Jahre nach Israel. Als Anwältin verteidigte sie jahrzehntelang die
Bürger- und Menschenrechte der Palästinenser und erhielt dafür 1990 den
Alternativen Friedensnobelpreis. Seit 1991 lebt sie im freiwilligen Exil
in Tübingen. Im Herbst erscheint ihr Buch Quo vadis Israel? Die neue
Intifada der Palästinenser (Lamuv-Verlag). KONKRET sprach mit ihr
über die Situation im Nahen Osten.
konkret: Vor kurzem wurde ein
neuer Terroranschlag in einer Pizzeria in Jerusalem verübt, 15 Juden
starben. Was empfanden Sie bei der Nachricht?
Langer: Viel Trauer, Mitleid
und Wut. Aber das Wichtigste, was ich zu sagen habe, ist, daß die
israelische Politik zur Katastrophe führt, und wir mit unschuldigen
Opfern zahlen.
konkret: Arafat hatte am
Vortag des Anschlages Hamas und Dschihad zur Teilnahme an einer
"Regierung der nationalen Einheit" eingeladen. Müßte er nicht nach
dieser furchtbaren Bluttat diese Einladung zurückziehen?
Langer: Die Bombenleger und
diese Anschläge, die ich aufs schärfste verurteile, sind Symptome einer
Krankheit. Sie sprechen nur über Symptome, und ich spreche über die
Wurzel des Übels. Die Wurzel des Übels ist die 34jährige israelische
Besatzung. Man muß diese Besatzung und diese Unterdrückung beseitigen,
dann kann man dem Terror den Boden entziehen. Arafat kann gar nichts
tun. Wir sind zuständig, die Israelis. Und es gibt Friedenskräfte in
Israel -
Gush Shalom, Frauen in Schwarz,
Women's Peace Coaliton - die das ebenso sehen, ihre Losung ist: Die
Besatzung tötet uns.
konkret: Müssen diese
Positionen in Israel nicht auf taube Ohren stoßen, solange Arafat
beispielsweise die Ausbildungslager für Kinder-Terroristen nicht
schließen läßt?
Langer: Ich weiß nicht, ob es
solche Lager gibt, wo Kinder trainiert werden.
konkret: Das kann man doch
jeden Tag im Fernsehen sehen.
Langer: Man zeigt etwas, aber
man weiß nicht, woher die Bilder stammen. Ich habe die Unterdrückung und
Entwürdigung der Palästinenser 40 Jahre direkt miterlebt. Wir haben eine
Situation kreiert, in der die Menschen nichts mehr zu verlieren haben.
Die Kinder sind traumatisiert, sie sehen wie ihre Väter geschlagen, ihre
Häuser zerstört, ihre Olivenhaine entwurzelt werden. Wenn wir Israelis
eine solche Politik weiterführen, wird es immer mehr Kinder geben, die
bereit sind zu sterben.
konkret: Woher nehmen Sie die
Gewissheit, daß ein israelischer Rückzug aus den besetzten Gebieten
Frieden bringen wird? Den Bombenleger-Organisationen Hamas und Dschihad
geht es doch gar nicht darum, sie wollen die Zerstörung des ganzen
Israel.
Langer: Nicht alle in der
Hamas sind Terroristen. Es gibt auch Pragmatiker unter ihnen, und auch
die werden von Israel mit gezielten Tötungen liquidiert, und auch
andere, die mit Hamas gar nichts zu tun haben. Jedenfalls würden Hamas
und andere keinen Rückhalt in der Bevölkerung finden, wenn es einen
lebensfähigen Palästinenserstaat mit Ostjerusalem als Hauptstadt gäbe
und die Flüchtlingsfrage gelöst würde. Die Mehrheit der Palästinenser
hat sich bereiterklärt, mit einem Staat, der nur 22 Prozent des
historischen palästinensischen Gebietes umfaßt, zufrieden zu sein.
konkret: Was gegen ihre
Hoffnung spricht, ist der Rückzug Israels aus dem Südlibanon im Sommer
2000. Der hatte nicht weniger, sondern mehr Terror zur Folge.
Langer: Erstens haben wir
jetzt eine fast ruhige Situation im Grenzgebiet zu Südlibanon. Zweitens
gibt es dort ein umstrittenes Gebiet um die sogenannten Shaba-Farmen,
das die Hisbollah weiterhin als israelisch besetzt ansieht. Und drittens
kann man Südlibanon und Palästina nicht vergleichen. Doch ein Segen ist
doch, daß dort nicht jeden Tag ein Soldat stirbt. Wenn wir wenigstens so
eine Situation in Palästina hätten, wäre es schon ein Fortschritt.
konkret: Ist Ihnen als Linke
nicht unwohl angesichts der Entwicklung, daß linke Positionen im
palästinensischen Widerstand immer mehr durch fundamentalistische
verdrängt werden? Droht nicht die Gefahr, daß in Palästina ein
Gottesstaat wie im Iran entsteht?
Langer: Ja, Sie haben recht,
es kann dazu kommen. Und deshalb bin ich für den Frieden. Der Einfluß
des Fundamentalismus in Palästina wächst, aber ich beschuldige die
israelische Regierung und ihre Vorgängerinnen, daß sie mit ihrer Politik
dazu beigetragen haben und beitragen.
konkret: Verstehen Sie, daß
die Menschen in Israel sich bedroht fühlen und daß sie von Arafat
verlangen, daß er wenigstens die sieben oder acht namentlich bekannten
Rädelsführer des Terrors verhaften läßt?
Langer: Was Sie sagen, ist
eine Lappalie. Ich weiß nicht, ob Arafat überhaupt in der Lage ist,
irgendjemanden zu verhaften. Er ist so geschwächt, seine Polizei wurde
bombardiert, die Zone B wird ständig mit Panzern attackiert. Das
wichtigste ist, daß er die Anschläge verurteilt hat.
konkret: Gleichzeitig hat er
beispielsweise den Hinterbliebenen des Disco-Bombers von Tel-Aviv ein
Kondolenzschreiben geschickt hat, in dem er den Mörder als Märtyrer
bezeichnet.
Langer: Ich kenne diese
Einzelheiten nicht. Ich weiß nicht, was daran wahr ist. Ich komme noch
einmal zur Wurzel des Übels: Nicht Arafat ist das Problem. Israel hat
den Schlüssel für den Frieden. Wir, die Israelis, sind die Starken, die
fünftstärkste militärische Macht der Welt. Die gewährte Autonomie ist
miserabel, die Besatzung ist der Inbegriff von Gewalt. Man muss den
Konflikt auf der Grundlage des Völkerrechts lösen: Zwei Staaten für zwei
Völker. Und raus aus den besetzten Gebieten, wir haben dort gar nichts
verloren.
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