Gedanken während des Wahlkampfes:
"Die dicke Dame hat noch nicht gesungen"
Von
Uri Avnery
Was ist der
Unterschied zwischen Seife und einem politischen Führer? Frage
irgendeinen der "Experten", Werbetexter und "Strategen", und er wird
Dir sagen: Da gibt es keinen Unterschied. Seife zu verkaufen und
einen Führer zu verkaufen, ist ein und dasselbe. Man betreibt
Marketing-Forschung und findet heraus, was sich die Verbraucher (=
die Wähler) wünschen und gibt ihnen genau das. Alles was nötig ist,
sind ein paar gute Werbetexter. Meine Antwort dagegen wäre: es gibt
einen ungeheuren Unterschied.
Wer bin ich denn? Nun,
ich bin keineswegs ein Außenstehender. Ich habe vier harte
Wahlkampagnen durchgefochten, drei für Haolam Hazeh ("Bewegung neuer
Kraft") 1965, 1969, 1973, und eine für die Sheli-Partei (1977). Ich
gewann drei und verlor eine. Ich habe beides ausgekostet, den Sieg
und die Niederlage, und ich kenne den Druck, die Provokationen und
die Versuchungen, die damit verbunden sind. In dieser Hinsicht gibt
es wirklich keinen großen Unterschied zwischen der Kampagne einer
kleinen oder großen Partei.
Aus meiner ersten
Erfahrung zog ich eine Reihe von Schlüssen, die ich später in die
Praxis umzusetzen versuchte:
1. Definiere Deine Botschaft und bleibe dabei, ohne nach rechts oder
links abzuweichen, ganz gleich, wie groß die Versuchungen sein mögen
(und es gibt eine Menge davon!)
2. Die Botschaft muss mit deiner innersten Überzeugung
übereinstimmen. Sonst überzeugt man niemanden.
3. Die Botschaft muss zu dem Image passen, das man auch vorher
hatte. Es ist sehr schwierig, dieses Image während einer
Wahlkampagne zu verändern. Man kann das vorhandene Image höchstens
verstärken und profilieren.
4. Die Botschaft muss einfach, klar und leicht aufzunehmen sein.
5. Stottere nicht! Verteidige dich nicht! Entschuldige dich nicht!
Für einen Kandidaten
des Amtes eines Ministerpräsidenten genügt dies aber nicht. Er muss
die Öffentlichkeit entweder durch seine Persönlichkeit oder durch
seine Botschaft aufrütteln. Er muss das Geschehen auf dem
Schlachtfeld diktieren, damit sein Gegner gezwungen wird, dort zu
kämpfen, wo er schwach ist. Er muss angreifen, damit sein Gegner in
die Verteidigung gehen muss. Er darf nicht den öffentlichen
Meinungsumfragen folgen, sondern eher eine neue politische Realität
schaffen, die andere Meinungsumfragen erzeugt.
Als Amram Mitzna auf
der Bühne erschien, hoffte ich, er würde all dies tun. Tatsächlich
habe ich dies in dieser Kolumne ausgedrückt.
Von Anfang an hatte er
eine neue und belebende Botschaft: Frieden stand als oberstes auf
der Agenda; Aufnahme der Verhandlungen, die Ehud Barak abgewürgt
hatte, Verhandlung auch unter Feuer, weil das der einzige Weg ist,
das Feuer zu stoppen; Verhandlung mit Yassir Arafat, weil er die
einzige Person ist, die in der Lage ist, ein Abkommen zu
unterzeichnen, wenn er davon überzeugt ist und der sein Volk
überzeugen kann, es anzunehmen, Erlangung des Friedens zwischen dem
Staat Israel und dem zukünftigen Staat Palästina und zuvor noch der
einseitige Rückzug aus dem Gazastreifen, die Auflösung aller
Siedlungen dort und der isolierten Siedlungen auf der West Bank.
Diese Botschaft hat ein
großes Potential. Die israelische Öffentlichkeit hat die Nase voll
von der jetzigen Situation. Es ist ihr inzwischen klar, dass es
keine militärische Lösung gebe. Es wird ihr auch gesagt, es gäbe
keine politische Lösung. Es gibt keine Sicherheit, die Wirtschaft
ist ruiniert. Es ist keine Lösung in Sicht. Deshalb weichen die
Wähler den ernsthaften Problemen aus und beschäftigen sich mit
unwichtigen Dingen, wie z.B. mit denen, die Tommy Lapid von der
Shinui-Partei vertritt. Da wäre nun eine Person wie Mitzna dringend
nötig, um die Hoffnung wieder zu wecken und vielleicht zu gewinnen.
Das wäre der Weg, um
seiner Partei neue Kraft zu geben, mehr Plätze in der nächsten
Knesset zu gewinnen und seinen Sieg für die nächste Runde
vorzubereiten.
Ich wusste, dass dies
schwierig sein wird. Die Labour-Partei war noch nicht reif für solch
ein ruhmreiches Unternehmen. Nachdem sie zwei Jahre lang die
politische Hure in Sharons Regierung war, ist sie alt und müde -
wirklich ein jämmerlicher Anblick. Die Parteifunktionäre glaubten
nicht an den Sieg, ja, verschworen sich gegen den neuen Mann.
Schlimmer noch, die
"Ratgeber" fesselten Mitzna wie die Liliputaner den Gulliver. Rede
nicht über Frieden, warnten sie ihn. Erwähne nur nicht dieses
schreckliche Wort. Frieden ist Gift. Die Öffentlichkeit glaubt nicht
an den Frieden. Sie möchte den Trennungszaun. Der "Zaun" ist
populär. Also rede nur von "dem Zaun, dem Zaun, dem Zaun". Jeder
hasst Arafat, also schließe dich ihnen an.
Die Ratgeber hatten
Erfolg und haben Mitznas Vision getrübt. Der Trompetenschall klang
nicht immer zusammenhängend. Sie ließen den Frieden ohne Spur
verschwinden. Sie verwandelten den "Zaun" in ein Ziel, das wichtiger
als alles andere ist. Sie sprachen darüber, was zu tun sei, „falls
es niemanden gebe, mit dem man reden könne“ – und töteten damit
gerade die Hoffnung, von der man erwartet hatte, dass sie ihrem Mann
zum Sieg verhilft. Sie hingen abgöttisch an den Meinungsumfragen.
Die Umfragen können
einen Politiker tatsächlich zu Fall bringen. Sie sind Teil eines
Teufelskreises: wenn man der Öffentlichkeit das sagt, was sie zu
hören wünscht, dann äußert man abgedroschene und banale Ideen. Wenn
man Abgedroschenes und Banales äußert, dann kann man die
Öffentlichkeit nicht mehr begeistern – man fühlt sich gelangweilt.
Mitzna ist von seiner
ursprünglichen Botschaft nicht abgewichen. Trotz aller Versuchungen,
hat er nicht ein Wort gesagt, das ihr widerspricht. In einer
Wahlkampagne ist es erlaubt, einen Teil der Botschaft mehr zu
betonen als einen anderen, um Stimmen zu gewinnen – die Frage ist
nur, ob dies auch klug ist.
In Wirklichkeit geht es
darum: sollte Mitzna seine Botschaft abschwächen, um die Wähler, die
zwischen Labor, Likud und Shinui hin und her schwanken, anzuziehen
oder sollte er genau das Gegenteil tun - sollte er seine Botschaft
zuspitzen und der Öffentlichkeit sagen, dass es Hoffnung gibt, dass
Frieden möglich ist, dass es jemanden gibt, mit dem man reden kann,
dass eine von ihm angeführte Regierung den historischen Durchbruch
schaffen wird, den Rabin angefangen und der durch Barak verpfuscht
wurde?
Es scheint, als ob
Mitzna selbst zwischen den beiden sich widerstreitenden
Möglichkeiten zögert. Deshalb war er unfähig, auf dem Schlachtfeld
zu bestimmen. Tommy Lapid, ein Mann mit einer irrelevanten, aber
populären Botschaft, gelang dies mit seinem Gerede über eine
"säkulare Einheitsregierung", ein Wunschtraum, aber ein Traum, der
Hoffnung bei Leuten weckt, die der Realität entfliehen wollen.
Am Ende wird die
Schlacht als Konfrontation zwischen den beiden Führern entschieden.
Sharon ist eine gefährliche, skrupellose und unheilvolle Person, die
aber Führungsqualitäten in einer Weise ausstrahlt, die direkt das
kollektive Unbewusste der Massen anspricht. Mitzna ist eine normale,
nüchtern denkende, ehrenhafte und vernünftige Person, und vielleicht
fehlt ihm genau deshalb die Ausstrahlung. Er kann nur durch seine
Vision begeistern.
Das ist noch nicht das
Ende. Die Amerikaner sagen "Solange die dicke Dame nicht gesungen
hat, ist die Oper nicht zu Ende". Es sind noch 10 Tage. Mitzna muss
sie nützen, um seine Botschaft anzuspitzen und das ganze Lager zur
entscheidenden Schlacht aufzurufen. Einen mutigen Schritt hat er
schon getan, indem er eindeutig erklärte, dass er unter keinen
Umständen sich einer neuen von Sharon geleiteten Regierung der
nationalen Katastrophe anschließen würde.
Wie ich von Anfang an
sagte, ist ein Wunder nötig, damit Mitzna dieses Mal gewinnt. Solch
ein Wunder kann sich noch ereignen. Aber selbst wenn es nicht
geschieht, kann er den Rücken seiner Partei stärken und ihr einen
neuen Geist einträufeln, um sie dazu fähig zu machen, die nächste
rechte Regierung, falls es eine gibt, zu stürzen. Menachem Begin
sagte damals: "Wir werden unserm Volk in der Opposition dienen."
Egal wie das Ergebnis
dieser Runde aussehen wird, der wirkliche Kampf hat dann erst
begonnen.
(Aus dem Englischen übersetzt: Ellen Rohlfs und vom
Verfasser autorisiert)
hagalil.com
21-01-2003 |