Nimm eine Karte:
Achte niemals auf das, was Sharon sagt
Von Uri Avnery
Ariel Sharon ist wie einer der
Taschenspieltrickser, denen man auf den Straßen europäischer Städte
begegnen kann. Sie mischen vor unsern Augen drei Karten, bitten
dich, eine auszuwählen, mischen sie noch einmal, bitten dich nun zu
raten, welche Karte du vorher ausgewählt hast – und du hast unrecht.
Immer.
Wie macht der Mann dies? Ganz einfach: er schwätzt
die ganze Zeit und lenkt deine Aufmerksamkeit für den Bruchteil
einer Sekunde ab – in diesem Moment wechselt er die Karten.
Deshalb achte niemals (wirklich niemals !) auf
das, was Sharon sagt. Das einzige Ziel all seiner Äußerungen ist,
deine Aufmerksamkeit abzulenken. Man muss seine Hände beobachten und
darf sie nicht einen Augenblick aus den Augen lassen.
Wenn Sharon ein Zeitgenosse von Voltaire gewesen
wäre, dann könnte man denken, dass der große Philosoph bei Folgendem
ihn gemeinte hätte: "Menschen benützen das Denken nur, um ihre
schlechten Taten zu rechtfertigen, und Worte nur, um ihre Gedanken
zu verbergen."
Das hat sich seit Ben Gurion, dem ersten Patron
von Sharons Karriere, nicht geändert. Er schrieb in sein Tagebuch,
dass Sharon ein notorischer Lügner sei. Aber das Wort "Lügner" ist
hier fehl am Platz. Der Taschenspieltrickser ist kein Lügner. Er
verwendet Worte als Instrument seiner Kunst, so wie ein Soldat
Rauchbomben verwendet.
Drei Monate lang schwafelte Sharon von seinem
großen Wunsch, eine nationale Einheitsregierung zu bilden, in der
die Labor-Partei als Eckstein dienen soll. Dies sei nötig,
wiederholte er immer wieder, um ihm zu ermöglichen, den Weg zum
Frieden einzuschlagen. Dieser Slogan war das Kernstück seiner
Wahlkampagne. Viele wählten ihn, um ihn als Chef einer Regierung zu
haben, in der die Labor-Partei ein ziemlich wichtiger Bestandteil
ist. (Viele andere wählten die Shinui-Partei, die auch eine
"säkulare" Regierung versprach, angeführt von Sharon und Labor)
Jetzt kann jeder sehen, dass Sharons Versprechen
nur eine Nebelwand war. Am Ende hat Sharon genau die Regierung der
radikalen Rechten zusammengestellt, die die Dinge tun werden, die
Worte zu verbergen versuchen. Höchstens wäre er bereit gewesen, die
Laborpartei innerhalb seiner Regierung gefangen zu setzen, Hände und
Füße in Handschellen, und als Feigenblatt zu dienen.
Amram Mitzna ist zu loben, dass er nicht in diese
Falle geraten ist. Als Sharon versuchte, seine Aufmerksamkeit durch
das Geschwafel über Frieden abzulenken, verlangte Mitzna, dass er
dieses schriftlich geben und unterschreiben möge. Sharon warf ihn
hinaus.
Wenn es einen Wettbewerb für die Nominierung der
vier extremsten anti-palästinensischen Chauvinisten in Israel
gegeben hätte, die Gewinner wären sicherlich Ariel Sharon, Effy
Eitan, Avigdor Liberman und Tommy Lapid. Und hier sind nun, oh
Wunder! durch reinen Zufall die vier ranghohen Partner in der neuen
Regierung. (Andere Kandidaten für diesen Titel würden Benny Eilon,
Binyamin Netanyahu, Ehud Olmert, Tsachi Hanegbi und Uzi Landau sein
– alles Minister in der neuen Regierung.)
Die Geschichte endet nicht mit der
Regierungsaufstellung. Es ist nur der Anfang. Man nehme seine Rede
in der Knesset zur Kenntnis, in der er seine neue Regierung
vorstellte. Er schloss mit einem bewegenden persönlichen Bekenntnis:
während er in sein 76. Lebensjahr gehe (es war der Tag nach seinem
Geburtstag), hätte er keinen größeren Wunsch, als unserm Volk Ruhe
und Frieden zu bringen. Wenn Sharon über Frieden spricht, wird es
höchste Zeit, in Deckung zu gehen.
Jetzt, wo alle Karten wieder auf dem Pflaster
liegen, mit der Vorderseite nach oben, wird es allen Kommentatoren
in Israel und der Welt klar, dass ihre Vermutungen wieder falsch
waren. Denn dies ist die am weitesten rechtsflügelige, die
nationalistischste, die extremste, die kriegerischste Regierung, die
Israel je hatte. Falls jemand eine Regierung zusammenstellen würde,
die aus dem französischen Jean-Marie Le-Pen, dem Österreicher Jörg
Haider, dem russischen Jirinowsky und dem holländischen Fortuyn in
Europa bestehen würde, so wäre dies wie ein Haufen liberaler
Humanisten im Vergleich zu diesem in Israel. Die Europäer können nur
aufhetzen – Sharon und seine Partner können handeln.
Dies ist eine Regierung der Siedler. Der
prominenteste Vertreter der Siedler, General Effy Eytam, ein Mann
der so extrem ist, dass sogar die Armee ihn nicht ertragen konnte;
er erhielt das Ministerium, das für die Siedler das wichtigste ist:
das Wohnungsministerium. Er wird Tausende von neuen Häusern in den
Siedlungen bauen lassen. Sharon wird die Siedlungen weder
"einfrieren" noch räumen lassen. Ganz im Gegenteil. Die
Siedlungskampagne wird einen neuen Aufschwung nehmen.
Manche Leute vergleichen die Siedler mit dem
Schwanz, der mit dem Hund wedelt. Sie sind davon überzeugt, dass
diese kleine Minderheit ihren Willen der Regierung aufzwingt. Das
ist eine ausgesprochen falsche Einschätzung der Realität. Während
der Sharon-Ära sieht die Regierung die Siedler als Stoßtrupp. Die
Siedlungen sind die wichtigste Waffe im Krieg gegen das
palästinensische Volk.
Auch jene liegen falsch, die meinen, Sharon habe
keine Vision. Sicherlich hat er eine. Und was für eine! Er möchte
doch tatsächlich als ein Mann in die Geschichte eingehen, der den
Traum von Generationen verwirklicht hat. Aber dies ist nicht nur der
Traum vom Frieden, über den er Tag und Nacht schwafelt. Frieden
interessiert ihn so viel wie der Schnee von gestern. Er kämpft für
ein Ziel, das ihm weit wichtiger erscheint: er will das Ziel des
Zionismus erreichen, so wie er ihn versteht: einen jüdischen Staat
schaffen, der (wenigstens) all das Land zwischen Mittelmeer und
Jordan umfasst und wenn möglich ohne Araber.
Wenn man dieses Ziel versteht, ist die
Zusammensetzung der Regierung eminent vernünftig. Sie ist
maßgeschneidert. Sharon am Steuer. Die Armee in den Händen von Shaul
Mofaz, von allen der brutalste Kämpfer gegen die Araber. Die Polizei
unter der Leitung von Tsachi Hanegbi, einem Rowdy, der seine
Karriere mit Pogromen gegen arabische Studenten an der Universität
begann. Eytam baut Wohnungseinheiten in den Siedlungen. Liberman,
selbst ein Siedler, ist für die Straßen verantwortlich. Das
Finanzamt, das all das finanzieren muss, liegt in den Händen von
Netanyahu.
In seiner Jungfernrede bat Mitzna Sharon darum,
damit aufzuhören, sich selbst mit de Gaulle zu vergleichen.
Jahrzehntelang hatte Sharon Kommentatoren im In- wie Ausland
ermutigt, die Legende zu verbreiten, dass dieser raue, von
Schlachtennarben gezeichnete General sich jeden Augenblick in eine
israelische Ausgabe des großen Franzosen wandeln könnte, der ganz
Algerien den "Terroristen" überlassen hat, während er eine Million
französischer Siedler evakuierte.
Sharon – ein de Gaulle? Hört nicht auf sein
Gefasel! Schaut an, was er tut!
(Aus dem Englischen übersetzt: Ellen Rohlfs und
vom Verfasser autorisiert)
hagalil.com
05-03-2003 |