Keine apokalyptische Vision:
Libermans Oberster Sowjet
Uri Avnery
Ich habe während
meines Lebens eine Menge Flüche empfangen und hier und da auch
einige Komplimente. Aber ich habe nie ein Kompliment wie das
folgende erhalten. Eine bedeutende Partei, die in der Knesset
vertreten ist, hat meinen Namen in ihrem offiziellen Wahlprogramm
erwähnt.
Unter der Überschrift "
Gesetzgebung und strikte Überwachung von Organisationen und
Aktivisten der extremen Linken" sagt das Programm der Partei der
Nationalen Einheit:
"Wir sollten in der Gesetzgebung strengere Maßnahmen gegen Leute wie
Uri Avnery, Leah Tsemel und alle Arten von Verweigerern verankern,
die das Land im Ausland diffamieren."
Ich weiß nicht, ob ich darauf stolz sein, lachen oder ärgerlich sein
soll.
Stolz sein, weil mein
Name dazu verwendet wird, um das ganze Friedenslager zu
symbolisieren, und weil ich Seite an Seite mit Leah Tsemel
erscheine, der tapferen Anwältin, die palästinensische Gefangene
verteidigt und die Militärdienstverweigerer, die das Gewissen
Israels darstellen.
Lachen? Wenn ich die bodenlose Frechheit dieses Satzes bedenke: Der
Vorsitzende der Partei der Nationalen Einheit ist Avigdor (Ivette)
Liberman, ein Mann, der im bolschewistischen Erziehungssystem von
Stalin erzogen worden ist und der – wie wir sehen können – die
rassistische und machthungrige Haltung des roten Tyrannen angenommen
hat. Er ist hierher gekommen, als alles fertig war, in einen Staat,
den wir (buchstäblich) mit unserm Blut aufgebaut haben. Und nun
verlangt er nicht mehr und nicht weniger, als dass unsere
Staatsangehörigkeit gestrichen wird.
Ärgerlich sein? Weil
Liberman zusammen mit dem national-religiösen Führer Effi Eitan und
einigen der Likud-Führer sich in der Vorhut der schmutzigen Kolonne
befindet, die die israelische Demokratie belagert. In der
vergangenen Woche gelang es ihnen, die Mehrheit der Politiker dahin
zu bewegen, im Zentralen Wahlkomitee zwei arabische
Knessetmitglieder (Ahmed Tibi und Azmi Bishara) und eine arabische
Wahlliste (Balad) von der Teilnahme an der Wahl auszuschließen, was
in der Praxis bedeutet, dass 20% von Israels Bürgern von der
politischen Arena verschwinden.
Sollten einige Leute
sich noch der Illusion hingeben, dass dieser Angriff nur gegen die
arabischen Bürger gerichtet ist, (ein an sich total inakzeptabler
Akt), der sollte sich an einen der wichtigsten Aussprüche des 20.
Jahrhunderts, des mörderischen Jahrhunderts eines Stalin, Hitler und
Mussolini, erinnern. Das Zitat stammt von Martin Niemöller, einem
deutschen U-Boot-Kommandanten des 1. Weltkrieges, der später ein
protestantischer Theologe und Pazifist wurde. Die Nazis warfen ihn
in ein Konzentrationslager. Nachdem er dies wunderbarerweise
überlebt hatte, prägte er die folgenden unvergesslichen Sätze:
"Als die Nazis die Kommunisten holten, habe ich geschwiegen; denn
ich war ja kein Kommunist.
Als sie die Sozialdemokraten einsperrten, habe ich geschwiegen; denn
ich war ja kein Sozialdemokrat.
Als sie die Gewerkschaftler wegholten, habe ich nicht protestiert,
denn ich war ja kein Gewerkschaftler.
Und als sie mich holten, gab es keinen mehr, der protestierte."
Libermans Programm
zeigt deutlich, dass sich etwas Ähnliches nun in unserm Land
ereignet. Sie begannen mit der Aufhetzung gegen die Araber und deren
Vertreibung aus dem politischen System. Nun sprechen sie von der
Eliminierung der "extremen Linken". Gibt es irgend einen Zweifel,
dass sie im nächsten Stadium die Eliminierung von allen Linken
fordern, so "moderat" und "patriotisch" sie auch sein mögen. Und
dann sind, den historischen Präzedenzfällen folgend, die "liberalen"
Likudmitglieder an der Reihe.
Eine apokalyptische
Vision? Ganz und gar nicht. Der Präsident des Obersten
Gerichtshofes, Aharon Barak, verglich in dieser Woche unsere
Situation mit der in Nazi-Deutschland. In Gegenwart des Präsidenten
von Israel, sagte der Oberste Richter, der selbst ein
Holocaustüberlebender ist, dass wenn dies im Lande von Kant und
Beethoven geschehen könnte, dies dann überall geschehen kann. "Falls
wir die Demokratie nicht verteidigen, dann wird die Demokratie auch
uns nicht verteidigen" (Es wird nun interessant sein, zu sehen, wie
er sich selbst nächste Woche verhalten wird, wenn er über den
Ausweisungsfall von Tibi und Bishara zu entscheiden hat.)
In Israel mögen wir es
gar nicht, Vergleiche mit den finsteren Regimen zu machen. Die
Erinnerungen sind noch zu frisch und keiner in Israel befürwortet
Völkermord. Aber Parteien und Führer, die öffentlich "Transfer"
befürworten, würden zweifellos überall in der Welt "Neo-Faschisten"
genannt werden (selbst wenn der Begriff "Neo-Bolschewik" passender
sein würde, da es Stalin war, der den Transfer ganzer Völker
innerhalb der Sowjetunion praktizierte)
Jörg Haider schlägt
nicht die Streichung der österreichischen Staatsbürgerschaft von
Leuten vor, die mit seinen widerwärtigen Ansichten nicht
übereinstimmen, noch schlägt Jean-Marie Le-Pen vor, jeden
Abgeordneten der Nationalversammlung auszuweisen, der nicht reiner
französischer Abstammung ist.
Seit 54 Jahren hat sich
der Staat Israel damit gerühmt, "die einzige Demokratie im Nahen
Osten" zu sein. Die ganze Propaganda Israels im Ausland, besonders
in den USA, gründet sich auf diesen Slogan. Nun kommt Liberman und
alle Libermänner und versuchen, die israelische Demokratie, die wir
geschaffen haben, zu zerstören und eine Art Faschistan ähnlich wie
Pakistan und Afghanistan aufzubauen.
Falls es jemanden gibt,
der "unser Land im Ausland diffamiert", dann ist es diese Person.
(Aus dem Englischen übersetzt: Ellen Rohlfs und vom
Verfasser autorisiert)
hagalil.com
07-01-2003 |