Krieg
um Weltherrschaft:
Ein Mann gegen die Welt
Von Uri Avnery
Ein großes
zivilisiertes Volk wählte demokratisch einen fanatischen Demagogen,
der Krieg predigte. Tatsächlich hatte er gar nicht die Mehrheit der
Stimmen erhalten, aber trotz alledem wurde sein Aufstieg zur Macht
irgendwie arrangiert.
Bald, nachdem er die Macht übernommen hatte, manipulierte er einen
dramatischen Überfall, um seine Herrschaft über das Land zu festigen
und einen Angriff auf kleinere Nationen vorzubereiten. Eine
gewaltige Propagandamaschine verwandelte die "Feinde" in Teufel, die
Inkarnation des Bösen.
Der Ruf nach einem Krieg befähigte ihn, das ganze Volk hinter sich
zu einigen, die Opposition zum Schweigen zu bringen, nach und nach
die Menschenrechte einzuschränken, die wirtschaftliche Krise zu
überwinden und die Hand zur Weltherrschaft auszustrecken.
Er liebte es, in Uniform photographiert zu werden, an Soldatenreihen
entlang zu gehen, als ob er ein großer militärischer Führer sei.
Ich meine natürlich Adolf Hitler.
Das deutsche Volk, das
ihm die Macht gab und ihm blind folgte, selbst dann noch, als er
verruchte Verbrechen beging, zahlte einen hohen Preis. Es hat seine
Lektion gelernt. Nun verabscheut es den Krieg, jeden Krieg, aus
tiefster Seele. Hundert Tausende – junge Leute, Kinder, Enkel,
Urenkel jener Generation –marschieren in diesen Tagen durch die
Straßen Deutschlands, um gegen Bushs Krieg zu protestieren. Sein
Bundeskanzler Schröder wurde nur deshalb gewählt, weil er sein
tiefes Verlangen nach Frieden zum Ausdruck brachte. Das Volk
verwandelte sich in das unkriegerischste Volk.
Ist das nicht
wunderbar? Ganz und gar nicht! Die amerikanischen und die britischen
Führer verurteilen Deutschland für seine Weigerung, sich am Krieg zu
beteiligen. Die israelische Regierung ist voller Verachtung: Was für
Waschlappen, diese Deutschen! Verfluchte Pazifisten! Feiglinge!
Erbärmliche Leute, die sich weigern zu kämpfen!
All dies kaum 60 Jahre nach Hitlers Selbstmord. Wer hätte dies
geglaubt.
Und dies ist nicht das einzige Wunder, das in diesen Tagen
geschieht. Keineswegs.
Eine persönliche
Erinnerung (Verzeihung, wenn man dies schon mal gelesen hat): als
ich 8 Jahre alt war - zwei Jahre bevor meine Familie nach Hitlers
Machtergreifung aus Deutschland floh - war ich ein Schüler der
dritten Klasse einer Grundschule in Preußen, damals ein
sozial-demokratisches Bollwerk.
Einmal erzählte uns die Lehrerin von Hermann, dem Cherusker, dem es
9 n.Chr. gelungen war, die römische Armee in eine Falle zu locken
und zu vernichten. Der römische Kommandeur Varus stürzte sich in
sein Schwert, und Kaiser Augustus schrie verzweifelt: "Varus, gib
mir meine Legionen zurück!" An der Stelle, wo etwa die historische
Schlacht stattgefunden hat, steht heute ein großes Denkmal von
Hermann.
"Herman steht mit
seinem Gesicht zum Erbfeind," erklärt unsere Lehrerin, "Kinder, wer
ist der Erbfeind?" Alle Schüler der Klasse riefen wie mit einer
Stimme: "Frankreich! Frankreich!"
Nun stehen Deutschland
und Frankreich, die ehemaligen Erbfeinde, Schulter an Schulter
zusammen gegen Bushs Kriegspläne. Die amerikanische Regierung
verflucht und beschimpft sie, aber sie bleiben fest. Genug Krieg.
Genug Zerstörung und Blutvergießen. Andere Wege müssen gefunden
werden, um Probleme zu lösen.
Dies ist das andere Wunder. Aber selbst dies ist ein kleineres
Wunder, verglichen mit dem dritten historischen Wunder, das vor
unseren Augen geschieht.
Präsident Putin
erscheint in Berlin und Paris, begrüßt Chirac und Schröder herzlich
und fügt seine Stimme zu den ihrigen. Eine Front von Cherbourg am
Atlantik bis nach Wladiwostok am Pazifik. Das gab es nie zuvor.
Seit den frühesten Zeiten ist die europäische Geschichte voll mit
Bündnissen einiger Staaten gegen andere. Deutschland und Russland
teilten Polen unter sich auf. Frankreich und Russland verbündeten
sich mehrere Male, um Deutschland in Schach zu halten. Napoleon
versuchte, Europa zu einigen und hatte damit keinen Erfolg. Dem
texanischen Cowboy gelingt, was dem korsischen Kaiser misslang.
Bush hat den kindischen Ausdruck "Die Achse des Bösen" erfunden, um
den Irak, den Iran und Korea in einer Gruppe zusammen zu fassen. Das
ist Quatsch. Aber in der Zwischenzeit hat sich eine
französisch-deutsch-russische Achse gebildet, die den Vereinigten
Staaten gegenüber tritt.
(Der Terminus "Achse", um ein Staatenbündnis zu bezeichnen, wurde
auch in der Hitlerzeit erfunden. Die ursprüngliche "Achse des Bösen"
schloss Deutschland, Italien und Japan ein. Als Bush diesen Terminus
gebrauchte, beabsichtigte er, dies in Erinnerung zu rufen)
Es ist zu früh, zu sagen, ob diese Achse halten wird, und ob sie
stark genug sein wird, der gewaltigen Macht der USA zu trotzen. Aber
selbst, wenn sie diesmal gebrochen wird - schon seine Entstehung
wäre ein Vorbote für Zukünftiges.
Diese drei Länder, vom
amerikanischen Verteidigungsminister verächtlich als "altes Europa"
bezeichnet, sind im Gegenteil durch Überlegungen vereinigt, die das
neue Europa betreffen.
Dieses Europa ärgert
die amerikanische Regierung. Es ist im Begriff, eine wirtschaftliche
Supermacht zu werden, es ist in der Lage, mit den USA zu
konkurrieren, ja vielleicht sogar, sie zu überholen. Ein Symbol
dafür ist die Tatsache, dass der Euro den Dollar tatsächlich
eingeholt hat.
Wie ich in einem
früheren Artikel schon bemerkte, ist der Krieg im Irak vor allem ein
Krieg gegen Europa und Japan. Die amerikanische Besatzung des Irak
wird die amerikanische Kontrolle nicht nur über die ausgedehnten
Ölreserven des Irak selbst, sondern auch die des Kaspischen Meeres
und der Golfstaaten sichern. Die US-Hand auf dem Ölhahn der Welt
kann Deutschland, Frankreich und Japan abwürgen, weil sie nach
Belieben den Preis in aller Welt manipulieren kann. Den Preis
herabsetzen, wird Russland abwürgen – den Preis erhöhen, wird
Deutschland und Japan treffen.
Deshalb liegt das
Verhindern eines Krieges im wesentlichen im europäischen Interesse,
abgesehen vom tiefen Wunsch der europäischen Völker nach Frieden.
Washington verbirgt
nicht einmal sein Verlangen, Europa auf die Knie zu zwingen. In
letzter Zeit gab es eine primitive amerikanische Bemühung, eine
Koalition mit peripheren Ländern zu schaffen, um Deutschland und
Frankreich aus der Führung der EU zu verdrängen. Amerika ist dabei,
zusammen mit England, Spanien und Italien, einen Block früherer
kommunistischer Nationen zu organisieren, die gerade dabei sind,
sich der EU anzuschließen. Die Paris-Berlin Achse, unterstützt von
Moskau, wird auch als Verteidigung gegen dieses Manöver geplant.
Dieser Krieg geht also
weit über den Irak hinaus. Es ist kein Krieg gegen Saddams Mikroben.
Es ist ganz einfach ein Krieg um Weltherrschaft, wirtschaftlich,
politisch, militärisch und kulturell. Um dies zu erreichen, ist Bush
bereit, eine Menge Blut zu vergießen (solange es kein amerikanisches
Blut ist).
Israel beteiligt sich
an diesem Krieg, ohne genau zu wissen, was es da tut, wie ein
kleiner Junge in einem Spiel der Weltliga-Rabauken. Es hat nichts zu
gewinnen, es kann nur verlieren.
(Aus dem Englischen übersetzt: Ellen Rohlfs und vom
Verfasser autorisiert)
hagalil.com
18-02-2003 |