Im Blut ertränkt
Gastkommentar zur jüngsten Welle der Gewalt in Nahost
Adam Keller / Beate Zilversmidt (Gush Shalom)
Es passierte, als sich die Menge gerade am Zion-Platz
im Zentrum Jerusalems versammelte. Peace Now hatte zu einem
Protestmarsch aufgerufen. Wir hörten nur einen dumpfen Schlag, aber die
Sirenen der Krankenwagen verrieten uns, daß etwas Ernstes passiert sein
mußte.
Wann immer in den vergangenen Jahren eine
Friedensinitiative wagte, ihren Kopf herauszustecken, waren Ariel
Sharons Regierung und die Armee mit einer blutigen Provokation zur Hand.
Einer Provokation, die niemals lange auf eine ebenso blutige Antwort von
palästinensischer Seite warten ließ, der wiederum eine israelische
Revanche folgte und so weiter. Revanche auf Revanche auf Revanche. Bis
schließlich die Friedensinitiative in Blut erstickt und vergessen war.
So war es, als die Mitchell-Kommission ihren Bericht vorlegte, als Tenet
kam, um seine Vorschläge zu unterbreiten und als der Vermittler Zinni in
der Region erwartet wurde und Arafat zu diesem Zweck ernsthafte
Anstrengungen unternahm, den Dezember-Waffenstillstand
aufrechtzuerhalten. Diese Woche hatte nun der saudische Kronprinz
vorgeschlagen, daß die arabischen Staaten Israel im Gegenzug zu einem
kompletten Rückzug aus den besetzten Gebieten anerkennen sollte. Sharon
antwortete, indem er zwei Brigaden mit zahlreichen Panzern und
Hubschraubern in zwei Flüchtlingslager schickte. Mehr als 20 »bewaffnete
Militante« wurden getötet, mehrere hundert verletzt. (Bei näherer
Betrachtung erwiesen sich viele der Toten und Verwundeten als
unbewaffnete Zivilisten, darunter Kinder und Alte.) Das Ergebnis war
vorhersagbar und heute nacht ist es passiert: Ein rachebeseelter junger
palästinensischer Flüchtling sprengte sich in einer zufällig
ausgesuchten israelischen Menge in die Luft. Neun Menschen starben mit
ihm, Dutzende wurden verletzt.
Die Polizei benutzte diesen Vorfall, um die
Peace-Now-Organisatoren zu drängen, die Demonstration aufzulösen. Doch
nach einigem Zögern wurde entschieden, weiterzumachen. Die Botschaft war
um so wichtiger geworden. Auf unseren Schildern stand: »Wir trauern um
die 1 114 toten Israelis und Palästinenser – Sharons Vorstellung von
Frieden und Sicherheit«. Und so demonstrierten Tausende durch die nahezu
leeren Straßen des Stadtzentrums, vorbei an den Schauplätzen vergangener
Selbstmordanschläge, vorbei an aufgegebenen Geschäften. Vor dem Sitz des
Premiers hielten wir eine Schweigeminute ab. Verschiedene Redner machten
anschließend die Besatzung und die Regierung, die auf dieser besteht,
für das Blutvergießen verantwortlich.
Nach der Demonstration fuhren über hundert von uns zum
Makassed-Krankenhaus in Ostjerusalem, um Blut für die Palästinenser in
den Flüchtlingslagern zu spenden. Wir wurden erwartet, doch hatte man
offensichtlich nicht mit so vielen gerechnet. Während wir uns anstellten
und unseren Freunden zuschauten, die bereits zur Ader gelassen wurden,
gingen unsere Gedanken zu den Krankenhäusern im Westen der Stadt, wo,
wie wir wußten, ebenfalls lange Schlangen von Blutspendern warten
würden.
* Adam Keller und Beate Zilversmidt sind Mitglieder der
israelischen Friedensbewegung Gush Shalom
haGalil onLine 04-03-2002 |