Israels Friedensaktivisten:
Die gelähmte Bewegung
Resigniert stellt die Linke fest, dass
sieben Jahre der Verhandlungen mit Arafat umsonst waren
Von Thorsten Schmitz
Jerusalem – Der Rabin-Platz in Tel
Aviv ist das Fieberthermometer der israelischen Gesellschaft. Was dort
passiert, bewegt die Nation. In den vergangenen acht Monaten seit
Ausbruch der Intifada haben zweimal Menschenmassen den Platz beherrscht:
Einmal im vergangenen Sommer 100000 rechts-nationale und orthodoxe
Siedler, die fürchteten, der damalige Premierminister Ehud Barak könne
um des Friedens willen Jerusalem teilen und die jüdischen Siedlungen
evakuieren.
Zuletzt feierten 250000 Menschen
Sonntagnacht den Europapokal-Sieg der israelischen Basketballmannschaft
„Makkabi“ bis früh morgens.
Die Friedensbewegung träumt von solchen Menschenmassen nur noch. Ihre
Zeit scheint abgelaufen zu sein. „Nie würden wir so viele Menschen zu
einer Kundgebung zusammentrommeln können“, sagt ein Aktivist der seit
30Jahren um Frieden werbenden Peace-now-Bewegung. Deshalb lassen sie es
lieber gleich – und verstummen angesichts der Gewalt zwischen Israel und
den Palästinensern.
Unter den Linken und Friedensbewegten
herrscht die Ansicht vor, Ariel Scharons Vorgänger Barak habe
Palästinenserpräsident Jassir Arafat in Camp David das weitestgehende
Angebot für einen Frieden gemacht – und geerntet habe man Gewalt. Der
Politikwissenschaftler Reuven Hazan von der Jerusalemer Hebrew
University sagt: „Die Linke in Israel ist angesichts der Gewalt
implodiert. Sie erkennt, dass die vergangenen sieben Jahre
Friedensverhandlungen umsonst waren.“ Wie gelähmt schauen die
Friedenskämpfer von einst Premierminister Scharon zu, dessen Armee fast
täglich ungeachtet wachsender internationaler Kritik gezielt mutmaßliche
palästinensische Aktivisten erschießt.
Schweigen im Land
Seit mehreren Wochen ist es auch
Bestandteil der Taktik der israelischen Armee, in autonomes
palästinensisches Gebiet einzumarschieren, palästinensische Plantagen
und Häuser zu zerstören, weil sich dort militante Palästinenser
versteckt hielten und von dort auf jüdische Siedler geschossen werde. Es
gab Zeiten in Israel, da hätten Tausende Israelis gegen diese Maßnahmen
protestiert und in den Zeitungen Anzeigen geschaltet. Allein: Die Linke
und die Friedensorganisationen bleiben still.
Ihre Protagonisten wie etwa die
Schriftsteller David Grossman oder Amos Oz schreiben Artikel für
ausländische Medien, in Israel liest und hört man von ihnen nichts.
Stattdessen beschweren sich jetzt die ansonsten konservativen
Massenblätter Maariv und Jediot Achronot in Leitartikeln über Scharons
rein militärische Taktik und das Fehlen eines politischen Ansatzes zur
Beendigung der Intifada.
Die letzte große gemeinsame Aktion der
Linken Israels war ein verzweifelter Appell zwei Wochen vor der
vorgezogenen Wahl des Premierministers im Februar. Die Wähler sollten
sich von zwei Übeln das geringere herauspicken und Barak wählen. Das
Flehen wurde nicht erhört, viele Linke blieben den Wahlurnen gleich ganz
fern oder gaben weiße, ungültige Stimmzettel ab. Die Sprachlosigkeit der
Linken in Israel hat ihre Ursache auch in einer schmerzhaften
Erkenntnis: Dass so einer wie der ermordete Premierminister,
Friedensnobelpreisträger und Arafat-Freund Jitzchak Rabin nicht so bald
wiederkommt – und dass Barak zwar als Ziehsohn Rabins galt, aber mit
dessen Erbe nicht umgehen konnte.
Auf politischer Ebene bewegt sich zurzeit
nicht viel. Scharons Regierung weigert sich, mit Arafat persönlich zu
verhandeln, und auch die Entsendung von Scharons Sohn Omri nach Ramallah
hat nichts gebracht. Lediglich der frühere Justizminister Jossi Beilin
versucht, einen Minimalkontakt aufrecht zu erhalten. Von Scharon nicht
darum gebeten und ohne Amt, hat sich Beilin bereits zweimal mit Arafat
getroffen. Dieser hegt Achtung für den Tauben im israelischen Parlament.
Beilin hat letzte Woche zudem mit etwa hundert anderen
Knesset-Abgeordneten, Friedensaktivisten, Wissenschaftlern und
Ex-Peace-now-Mitgliedern eine „Friedenskoalition“ gegründet.
Die bunte Truppe, der unter anderen
Oppositionsführer Jossi Sarid und der frühere Jerusalemer Bürgermeister
Teddy Kollek angehören, will sich als Gegenstimme zu Scharons
Eiszeit-Politik Gehör verschaffen. Ihre zentrale Forderungen sind die
Abschaffung jüdischer Siedlungen, eine Wiederaufnahme der
Friedensgespräche auf Grundlage der jordanisch-ägyptischen Initiative
sowie eine Akzeptanz des Berichts der Mitchell-Kommission zu den
Ursachen der Intifada. Beilin sagt: „Wir müssen uns Scharons Politik in
den Weg stellen. Denn ohne die Hoffnung auf und Bemühungen um Frieden
bleibt Israel eine Episode in der Geschichte und wird es unmöglich,
einen lebensfähigen jüdischen Staat aufrecht zu erhalten.“
haGalil onLine
20-05-2001 |