Der Generalsekretär der NATO:
Die Armeen Europas sind ein schwabbliger und lascher
Riese Sharon Sade
Die müden Blicke der Direktoren der europäischen
Rüstungsfirmen, die vor zwei Wochen zu einem internationalen
Kongress, der sich mit den Etats für die Rüstungsindustrien der Welt
befasste, nach London kamen, verrieten ein Geheimnis, das seit
einiger Zeit allgemein bekannt ist: Die USA brauchen Europa nicht
wirklich für ihren Kampf gegen die Terrororganisationen und die
Staaten, die sie unterstützen.
Die Amerikaner, so sagten die Redner zu den
Teilnehmern des Kongress immer wieder, sind auf allen
technologischen Bereichen führend. Die Verteidigungsetats der
EU-Staaten sind niedrig, ihre militärische Bereitschaft jämmerlich,
und es fällt ihnen schwer, Gelder für neue Forschungsprogramme zu
beschaffen. In den USA verhält es sich genau umgekehrt. Das ist der
Grund dafür, dass die europäische Abhängigkeit von der
Schirmherrschaft der NATO- in der die USA den Großteil der
finanziellen und operativen Last tragen- noch lange Jahre andauern
wird.
Wenn die Direktoren der großen Firmen an ihre traurige Situation
erinnert werden mußten, dann genügte es ihnen, einen Blick auf die
Lobby der luxuriösen Kongresshalle zu werfen, in der am selben Tag
ein anderer Kongress, nämlich der von biotechnologischen Firmen,
stattfand. Neben den drei kurzen Reihen vor dem militärischen
Kongress, für dessen Organisation sich zwei der großen britischen
Mediengruppen zusammengeschlossen hatten, „Janes“ und „Economist“,
standen sieben lange Reihen, die sich für den biotechnologischen
Kongress anmelden wollten.
Aus der Sicht der Regierungen und Rüstungsindustrien in Europa ist
die Zukunft weit davon entfernt, glänzend zu sein. Der
Generalsekretär der NATO, George Robertson, sagt, auch wenn die
Staaten des Kontinents ihre Rüstungsausgaben wesentlich vergrößern
sollten, würden sie noch lange Jahre von den USA abhängig sein.
„Auch im Jahr 2015, obwohl Europa dann stärker sein wird, werden die
USA die Kraft sein, ohne die es nicht geht und um die sich die
militärischen Koalitionen bilden werden“, sagt Robertson.
Militärisches Potential sei keine Verzierung, mit der man sich
schmücke, sondern „die wesentliche Grundlage für Sicherheit und
Verteidigung. Der Verteidigungsetat der meisten NATO-Staaten ist
jedoch sehr gering.“ Robertson beklagt die Tatsache, dass die
Rüstungsindustrien in Europa immer kleiner werden, und dass nur sehr
wenig Geld in neue Forschungs- und Entwicklungsprogramme investiert
wird, was natürlich den amerikanischen Herstellern zugute kommt.
„Wenn wir uns die europäischen Armeen genauer betrachten, dann sehen
wir einen schwabbligen und laschen Riesen, der nicht in der Lage
ist, in Eile Truppen zu stationieren, und der über mangelhafte
Ausrüstung verfügt“, sagt er.
Die technologischen und militärischen Unterschiede zwischen den USA
und den europäischen Staaten können vielleicht erklären, warum die
meisten von ihnen vor bewaffneten Konflikten zurückschrecken, wie
z.B. im Irak. Dr. John Hammer, der Präsident des Zentrums für
strategische und internationale Studien in Washington (CSIS), sagt,
militärisches Potential habe großen Einfluss auf die Art, wie
Bedrohungen von außen betrachtet werden. Hammer sagt, zwischen den
USA und Europa habe sich eine Kluft aufgetan, und es mache sich eine
gefährliche Verschlechterung der Beziehungen bemerkbar, die erkläre,
wie die herzliche Solidarität mit den USA so kurz nach den
Anschlägen verschwinden konnte und durch eine kühle Freundschaft
ersetzt wurde.
Hammer sagt, dazu hätten vier Faktoren beigetragen: Die Angriffe des
11. September brachten in den USA eine Gruppe ins Rampenlicht, die
sich bis dahin an den Randgruppen aufgehalten hatte, und die den
„amerikanischen Imperialismus“ anstrebt, d.h. was gut für Amerika
ist, ist auch gut für alle anderen freien Staaten. Aus der Sicht
derer, die diese Haltung vertreten, kann eine direkte Linie zwischen
den USA von 2002 und Europa von 1938 gezogen werden. Ein weiterer
Reibungspunkt ist der israelisch-palästinensische Konflikt. Die USA
und Europa vertreten sehr unterschiedliche Haltungen zu diesem
Konflikt, wie auch zu der Auseinandersetzung mit den irakischen
Massenvernichtungswaffen. Die Beziehungen zwischen den USA und
Deutschland befinden sich auf einem Tiefpunkt, und die Wut in
Washington über die deutsche Ablehnung der Offensive im Irak ist
enorm. Der vierte Faktor ist der amerikanische Zorn über die
europäische Politik der militärischen und industriellen
Subventionen.
„In Washington sind viele der Ansicht, dass die Europäer Washington
ausnützen, und dass zwischen den Seiten eigentlich asymmetrische
Beziehungen bestehen, in welchen die USA weitaus mehr geben als
erhalten“, sagt Hammer. „Die USA tragen den Großteil der Belastung,
die aus dem Schutz Europas entsteht, während die EU- Staaten, die
sehr wenig Geld investieren, ihre Firmen subventionieren, um deren
Aussichten bei der Konkurrenz mit amerikanischen Firmen zu
verbessern.“
Hammer, der von sich selbst sagt, er unterstütze die Zusammenarbeit
zwischen den USA und Europa, nimmt an, dass sich die Beziehungen
zwischen den beiden Seiten in den kommenden Jahren weiter
verschlechtern werden, auch vor dem Hintergrund noch nicht gelöster
Kontroversen, wie das Raktenabwehrprojekt, das die USA entwickeln.
Einige europäische Staaten werten dieses Projekt als Ausrede für
gefährliche Aufrüstung. „Die USA glauben, dass sie alle Probleme
allein lösen können. Das ist im Zeitalter der Globalisierung eine
falsche, gefährliche Annahme“, sagt Hammer und fügt hinzu: „Sind wir
wirklich bereit, den Irak in den kommenden fünf Jahren zu regieren?
Werden die USA tatsächlich Milliarden von Dollar in die Sanierung
dieses Staates investieren? Und wohin gehen wir nach der Rede der
‘Achse des Bösen’? Wo werden wir halt machen? Das sind die Fragen,
die zwischen uns und den Europäern trennen.“
Die wesentlichen Unterschiede zwischen den USA und Europa kommen am
deutlichsten durch die Auseinandersetzung mit dem Weltterror zum
Ausdruck. Ähnlich wie bei der unterschiedlichen Auffassung im
Zusammenhang mit dem israelisch-palästinensischen Konflikt, finden
die USA und Europa auch zu diesem Thema keinen gemeinsamen Nenner.
Im Gegensatz zu den USA und Israel, die die islamischen
Terrorbewegungen als existenzielle Bedrohung werten, die auf
militärischen Wegen beseitigt werden muss, betrachten die Europäer
dieses Thema nicht als einen Kampf um Leben und Tod. Sie werten die
Terrorganisationen als eine Art „organisiertes Verbrechen“ und lösen
ihr Verhalten zu ihnen von jedem politischen, religiösen oder
ideologischen Kontext. Daraus resultiert eine sanftere und
versöhnlichere Einstellung zur Terrorbekämpfung, die es nicht
zuläßt, dass Menschenrechte verletzt werden oder der Islam
dämonisiert wird.
Aus Gesprächen mit hohen Vertretern in der EU-Kommission geht
hervor, dass die EU danach strebt, sich mit dem Terror auf
rationalen Wegen auseinanderzusetzen. Terrorakte werden in Europa
als eine Art kriminelle Handlung gewertet, ohne politische
Hintergründe. Neben juristischen und geheimdienstlichen Maßnahmen,
auf die sich die Europäer im vergangenen Jahr geeinigt haben, wurde
in der EU-Kommission auch beschlossen, die wirtschaftliche und
kulturelle Hilfe für Konfliktzonen zu vergrößern, wie z.B. Pakistan,
Afghanistan und den Iran, „um die Möglichkeit der Entstehung von
Terrorerscheinungen so weit wie möglich zu verringern“. In anderen
Worten: die Europäer versuchen, den Import von Problemen anderer
Regionen in den Kontinent zu verhindern.
„Der Kampf gegen den Terror ist Teil des Kampfes gegen
Kriminalität“, sagt eine hohe Stelle in der EU-Kommission zu HAA. Er
sagt, die Kriegserklärung von Präsident Bush gegen den
internationalen Terror sei ein leerer und dummer Spruch. „Es ist
doch klar, dass man Terror nicht bekämpfen kann, dass man keinen
Krieg gegen ihn erklären kann, und dass man ihn mit Sicherheit nicht
ausschließlich mit militärischen Mitteln besiegen kann“, sagte die
hohe Stelle.
Obwohl schon ein Jahr seit den Anschlägen vergangen ist, gibt man in
der EU zu, dass Anschläge ähnlicher Ausmaße auch in Europa
stattfinden können, ohne dass sie von den EU-Staaten verhindert
werden können. Wenige Monate nach den Anschlägen vom 11. September
präsentierte die amerikanische Regierung Gesetzgebungen und
zahlreiche Maßnahmen zur Terrorbekämpfung, verbesserte deutlich die
Sicherheitsvorkehrungen an empfindlichen Orten und vertiefte die
Koordination zwischen den verschiedenen Abteilungen und Agenturen,
die für Notsituationen und schnelle Reaktionen verantwortlich sind.
Weiterhin bemühte sich die Regierung, die Sammlung
geheimdienstlicher Informationen zu verbessern. Es wurden Millionen
von Dollar für die Verstärkung der Sicherheitsvorkehrungen an den
Flughäfen und anderen strategischen Einrichtungen bereitgestellt,
wie z.B. den Atomreaktoren.
Die EU-Kommission veröffentliche vergangenen Monat einen
ausführlichen Bericht, in dem sie überschwenglich die
Präventivmaßnahmen beschrieb, die in Europa im vergangenen Jahr
unternommen wurden, unter anderem den Beginn des Einsatzes eines
gesamteuropäischen Haftbefehls, die Schaffung einer Einheit zur
Terrorbekämpfung in „Europol“ und die Einfrierung von Besitzwerten
der Terrororganisationen. Stellen in der Kommission geben jedoch zu,
dass es sich dabei um eine äußert unzureichende Antwort handelt.
„Wir haben keine ausreichenden Mittel, die Koordination ist
beschränkt, auch die Autoritäten und das Einsatzpotential. Es stehen
uns keine ausreichenden Mittel zur Verfügung, Angriffe größerer
Ausmaße zu verhindern. Im Vergleich zu Israel, ganz zu schweigen von
den USA, ist unsere Terrorbekämpfung laienhaft.“
hagalil.com
28-10-02 |