Streit
über die Nahostpolitik
Alte Hoffnungen
von thomas v.d. osten-sacken
Hinter dem Gerede über den Mitchell-Plan und die Frage, ob Arafat nun ein
Partner oder ein Terrorist sei, ist längst in Vergessenheit geraten,
dass jenes »alte« Israel gemeinsam mit jenem »alten« Palästina am
Verschwinden ist, die beide, jedes auf seine Art, in sich ein
Versprechen auf eine bessere, gemeinsame Zukunft bargen. Der Streit
zwischen der EU und den USA, die sich benehmen wie verkrachte Vormünder
unbotmäßiger Zöglinge, hat Israelis und Palästinenser längst unter
Kuratel gestellt.
So
fordert der ehemalige französische General Jean Cot, beklatscht vom
Establishment des Landes, dem jüngst vorgeworfen wurde, der
antisemitischsten Gesellschaft Europs vorzustehen, die Entsendung einer
europäischen Sicherheitstruppe nach dem Vorbild des Einsatzes in
Bosnien. Die israelische wird mit dem in Europa entworfenen
Schreckgespenst der serbischen Gesellschaft gleichsetzt. Zugleich kann
guten Gewissens endlich Reparation von den Juden gefordert werden, die
Euros für den zerstörten Gaza-Flughafen will der europäische
Steuerzahler schließlich zurück. Alle wissen, wie diese Forderung
gemeint ist, soll doch zusätzlich bald ein Israeli wegen »Verbrechen an
der Menschheit« (hierzulande mit »Menschlichkeit« übersetzt) vor ein
Brüsseler Gericht zitiert werden (Jungle World, 6/02).
Ein
Teufelskreis der Entmündigung, aus dem die Akteure vor Ort, die gerade
darüber streiten, ob in Jerusalem eine Mauer gebaut werden und der
israelische Parlamentspräsident in Ramallah eine Rede halten soll,
scheinbar nicht mehr entkommen können. In Europa freut es die
Betrachter, in den USA versucht man noch, politisches Kapital daraus zu
schlagen, und führt deshalb Debatten über Arafats Nachfolge, die auch
nur akademischer Natur sind.
Theodor W. Adorno schrieb, dass »nur gegen die verhärtete Gesellschaft,
nicht absolut, das verhärtete Individuum das Bessere« repräsentiere.
Ariel Sharon und Yassir Arafat, so bösartig und verbissen sie auch
wirken, sind also immerhin noch Teil jenes alten Nahostkonfliktes, in
dem es um Land, Sicherheit und Selbstbestimmung, also ums Ganze ging.
Der technokratische Blick des europäischen Sozialdemokraten, dem das
Wohlergehen der Menschen so gleichgültig ist wie die Geschichte des
Konfliktes selbst, sieht dagegen im Ganzen ein Problem, das zu lösen ist
wie die agrarische Überproduktionskrise. Nur kann er diesmal seinen
Ressentiments, rationalisiert als Humanitätsgedusel, freien Lauf lassen.
Im
Streit der USA mit der EU, der diesmal nicht um Importquoten von
Bananen, sondern um die Zukunft des Nahen Ostens geht, sind Israelis wie
Palästinenser längst zur verdinglichten Manövriermasse geworden. Deshalb
auch können die Herrschenden sich kaum vor Forderungen und guten Tipps
einer auf den Hund gekommenen Linken retten, wie die Katastrophe denn
besser, das heißt zu Ungunsten der Juden, zu verwalten sei. Einer
Linken, die einst angetreten war, eine neue Welt revolutionär zu
erschaffen, die Emanzipation versprach, zuallererst den Juden, damit sie
nicht in einem eigenen Nationalstaat Zuflucht suchen müssen. Statt
angesichts ihres historischen Scheiterns wenigsten einmal still zu sein,
sammelt diese Linke jetzt fleißig Unterschriften für ein Strafverfahren
gegen Sharon und hat wie immer ein gutes Gewissen dabei.
Im
Vergleich mit EU-Technokraten und einer solchen Linken verkörpern Arafat
und Sharon eine längst verflossene, aber bessere Vergangenheit.
Entsprechend müsste auch Adornos und Horkheimers Beobachtung, die
Menschen würden im Spätkapitalismus »zur Strafe dafür, dass sie die
Hoffnungen ihrer Jugend verraten und sich in der Welt einleben, mit
frühzeitigem Verfall geschlagen«, revidiert werden. Angesichts eines
derartigen Nachwuchses, der außer Kretinismus, Frühvergreisung und
Lagerverwalterdenken nichts zu bieten hat, wirken sie wie Menschen, die
unbeirrt an den »Hoffnungen ihrer Jugend« festhalten.
in jungle world 7/02 v. 6. 2. 02
haGalil onLine
28-01-2002 |