die tageszeitung
Die Nahostpolitik des Westens:
Nur moderieren reicht nicht
Die Nahostpolitik des Westens verschiebt sich. Zunehmend wird Druck
auf Israel ausgeübt - weil Deutschland von einer falsch verstandenen
"Neutralität" abrückt
Nicht nur die Gruppe der G-8-Staaten hat mit einem
klaren, einheitlichen Signal überrascht - dem Beschluss, internationale
Beobachter nach Nahost zu senden. Auch Brüssel will neuerdings moderaten
Druck auf Israel ausüben: Israel kann - im Rahmen des
Assoziierungsabkommens - Güter zu günstigen Konditionen in die EU
exportieren. Jetzt soll verstärkt darauf geachtet werden, dass darunter
keine Waren aus den Siedlungen fallen. (Man schätzt das Volumen der
Siedlungsexporte auf 200 Millionen Euro jährlich.) Der Ausschluss der
Siedlungen wurde zwar im Abkommen mit Israel festgelegt, aber bisher
nicht strikt überwacht.
Beide Entscheidungen mögen keinen bedeutenden Wendepunkt
im Konflikt darstellen. Wichtig und neu ist allerdings, dass sie gegen
den Willen Israels gefasst wurden. Dies ist eine Verschiebung in der
Nahostpolitik. Neu ist auch, dass beide Entscheidungen zu Stande kamen,
weil sich die deutsche Nahostpolitik bewegt hat. Ursprünglich lehnten
die Niederlande, Österreich und Deutschland jede EU-Entscheidung gegen
den Willen der israelischen Regierung ab. Während erst Österreich und
dann die Niederlande diese Blockadepolitik aufgegeben haben, veränderte
Deutschland seine Haltung erst beim letzten EU-Ministerratstreffen, auf
dem dann ein "3rd party mechanism" beschlossen wurde. Nicht zuletzt
wegen dieser einheitlichen Position der EU ist es gelungen, die - im
Übrigen sehr willigen - Amerikaner beim G-8-Treffen davon zu überzeugen,
dass internationale Beobachter wünschenswert seien. Und siehe da: Kurz
darauf war dies auch für Israels Verteidigungsminister keine Katastrophe
mehr!
Erstmals spricht die EU mit einer Stimme. Denn erstmals
hat Deutschland darauf verzichtet, "equi distance" so zu interpretieren,
dass ein penibel gleicher Abstand zu beiden Parteien zu wahren sei.
Diese Definition von Neutralität wurde zu Recht aufgegeben: Denn sie
bedeutete nichts anderes, als von einem eigenen Standpunkt abzusehen.
Die Brüsseler Maßnahme wurde nicht weiter öffentlich
gemacht, sondern aus Rücksicht auf die deutschen Interessen als "reine
juristische Frage, die im Zollausschuss behandelt werden soll",
deklariert. Dies ermöglicht es Deutschland, seine Rhetorik beizubehalten
und sich gleichzeitig doch zu verändern.
Diese neue Entschiedenheit der EU ist sehr zu begrüßen,
denn nur mit einer klaren Haltung kann die Außenwelt überhaupt Einfluss
auf Israel und Palästina nehmen. Die Verhandlungen unter Clinton sind
gerade deswegen gescheitert, weil die Amerikaner unfähig waren, eine
Position zu beziehen, die einer gerechten Lösung entspricht: Genau in
der Mitte zwischen den Positionen beider Parteien stehend stellten sie
fest, dass Barak weiter ging als jeder israelische Verhandlungsführer.
Also schwenkten sie auf seine Seite, ohne zu beachten, dass sein
Vorschlag für die Palästinenser unannehmbar sein musste.
Zur Erinnerung: Baraks Plan sah vor, dass etwa neun
Prozent der besetzten Gebiete Israel zugeschlagen werden, wofür
Palästina zum "Ausgleich" ein Prozent wüstenähnliches Land aus
Kernisrael erhalten sollte. Zudem hätten die Palästinenser die Kontrolle
über viele - aber nicht alle - arabische Viertel Ostjerusalems, das
moslemische und christliche Viertel der Altstadt sowie über die
Al-Aksa-Moschee und den Felsendom bekommen. Israel wiederum hätte die
Gesamtsouveränität über den Tempelberg behalten. Die "befriedigende
Lösung" der Flüchtlingsfrage blieb vage, sollte aber im Vertrag
festgeschrieben werden.
Die Amerikaner - eine der großen diplomatischen
Fehleinschätzungen - haben jedoch nicht erkannt, dass dies von der
Minimallösung der Palästinenser immer noch weit entfernt ist, die im
Übrigen mit dem Völkerrecht übereinstimmt.
Deshalb muss sich die internationale Gemeinschaft klar
sein, wie eine gerechte Lösung aussehen könnte - worüber ja eine gewisse
Einigkeit herrscht: Alle Siedlungen sind illegal; jede Annexion von
Gebieten im Westjordanland und im Gaza-Streifen muss vollständig
kompensiert werden; und die volle Souveränität der Palästinenser über
alle arabischen Viertel Ostjerusalems ist zu gewährleisten. Schließlich
muss die Flüchtlingsfrage gelöst werden. Das bedeutet: geldwerte
Kompensation, beschränktes Rückkehrrecht nach Israel, Aufbau einer
angemessenen Infrastruktur im künftigen Palästina sowie die Möglichkeit,
sich in Europa oder in den USA niederzulassen. Dafür ist Israel in den
Grenzen von 1966 endgültig anzuerkennen und das Rückkehrrecht der
Flüchtlinge so zu gestalten, dass Israel ein jüdischer Staat bleibt, der
Souveränität über die Klagemauer und das jüdische Westjerusalem ausübt.
Eine so klare Haltung der EU ist notwendig. Israel wird
sich nur dem Druck beugen. Und jeder, der Israel kennt, weiß wie wichtig
Europa für das israelische Selbstverständnis ist. Gerade die
hysterischen Klagen mancher israelischer Politiker über "antisemitische
Tendenzen" der europäischen Israelpolitik lassen dies erkennen. Ob
Eurovision, Uefa-Cup oder die Bewunderung für die Errungenschaften
Westeuropas: Europa ist der ethische und kulturelle Maßstab des Landes.
Seit dem Scheitern der Verhandlungen ist es zu einem gefährlichen Gefühl
der Orientierungslosigkeit gekommen. Die Parteien scheinen den Überblick
über ihre gemeinsamen strategischen Ziele und die
Kompromissmöglichkeiten der anderen Seite verloren zu haben. Da, wo eine
nebulöse Endzeitstimmung um sich greift, die einen Krieg als reinigendes
oder unausweichliches Gewitter erscheinen lässt, würde eine klare
Position Europas ihre Wirkung nicht verfehlen.
Zudem ist die EU Israels wichtigster Handelspartner.
Schon dezente Signale wie jenes aus Brüssel zum Assoziierungsabkommen
könnten die Israelis daran erinnern, dass sie viel zu verlieren haben
und dass Frieden noch nie so greifbar war wie in den letzten Jahren.
Darüber hinaus scheinen die Zeiten vorbei zu sein, in
denen man von den USA erwarten konnte, sie würden den Frieden allein
bewerkstelligen. Nur eine Konstellation, bei der die USA, Europa und die
gemäßigten arabischen Staaten zusammenwirken, könnte heute eine Wende
herbeiführen. Wenn Europa eine einheitliche Linie erkennen lässt, werden
auch die USA handeln. Es sei hier an die Regierung von Bush senior
erinnert, die Bürgschaften blockierte und damit Schamir an den
Verhandlungstisch zwang und schließlich zum Fall von dessen Regierung
maßgeblich beigetragen hat.
Es ist zu hoffen, dass die deutsche Politik diese
greifbaren Möglichkeiten wenigstens nicht aktiv behindert, denn es geht
nicht um innerdeutsche bzw. deutsch-israelische Empfindlichkeiten,
sondern um das Schicksal der gesamten Region.
TSAFRIR COHEN
taz Nr. 6510 vom
31.7.2001
Kommentar TSAFRIR COHEN
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