Die Kurden:
Demokratische Kraft der Region
Haydar Isik
Schrifsteller und Mitglied des Kurdistan Nationalkongresses
Die
ganze westliche Welt fordert neben dem Existenzrecht für Israel auch
einen Palästinenser Staat. Aber die gleiche Welt ist stumm wenn es
um Kurden geht. Obwohl wir im Vergleich zu den Palästinensern das
zehnfache an Einwohnern haben. Warum fordert man nicht einen Staat
für die Kurden? Wenn man in Deutschland die Meinungen von
Intellektuellen bis hin zu Politikern hört, dann heißt es meist:
"Ein Kurdenstaat würde den III. Weltkrieg bedeuten. Deshalb sind wir
dagegen." Oder "Wir können nicht mitmachen, weil das Gleichgewicht
in der Region zerstört und ein Chaos verursacht wird."
Somit
will man den vor Hundert Jahren geschaffenen Status quo, also die
Teilung der Kurden, beibehalten. Wer für die Palästinenser einen
Staat fordert – den ich auch fordere - und gleichzeitig einen Staat
für Kurden als Ausbruch des Weltkriegs sieht, hat keinen
Menschenverstand. Hinter diesen Aussagen verbirgt sich nicht nur
Unmenschlichkeit sondern auch eine sehr "feine" antikurdische
Haltung. Wie kann man ein Volk, mit 40 Millionen Einwohner für die
Stabilität der Region opfern? Ist dies moralisch verantwortbar?
Die
Kurden sind, wie die Juden, das ältestes Volk der Region. Ihre
Geschichte geht bis 5000 Jahre zurück. Die Geschichte der Kurden hat
leider auch ähnliche negative Züge wie die des jüdischen Volkes.
Besonders bei der Geburt und Expansion des Islam wurden diese beiden
Völker fast ausgerottet. Als Arabo-islamische Divisionen die
Kurdenstadt Amed, - die Türkei hat alle kurdischen Namen türkisiert,
und aus Amed Diyarbakir gemacht,- annahmen, ermordeten sie fast die
gesamten Einwohner. Die Kurden kämpften vergeblich hundert Jahre
lang gegen islamischen Vormarsch und sieurden zwangsweise
islamisiert. Da diese Islamisierung sehr gewaltsam war, und sie
nicht wie die Türken den Islam freiwillig übernommen hatten, haben
die orthodox muslimischen Kurden auch heute noch eine permanent
kritische Haltung gegenüber dem Islam. Schon bei den Alleviten und
Jeziden gibt es keine Gemeinsamkeit mit dem Islam. Die Jeziden sind
Zarathustra-Anhänger, und die allevitischen Kurden haben neben
Grundzügen Zarathustras auch Elemente der jüdischen, christlichen
und islamischen Religionen übernommen.
Der
Gipfel der Verfolgung dieser beiden Völker waren die 30-er und 40-er
Jahre des letzten Jahrhunderts. In der Zeit haben besonders die
Juden unter der beispiellosen Barbarei sehr gelitten, und einen in
der Menschheitsgeschichte beispiellosen Holocaust erlebt, welchen
die Menschheit niemals vergessen darf.
Zwar kann man den Völkermord an Kurden zur gleichen Zeit nicht mit
dem Holocaust vergleichen, weil man sonst das Leid des jüdischen
Volkes relativieren würde, aber es ist leicht zu belegen, wie die
türkische Regierung damals die Nazimethoden gegen Kurden angewandt
hatte. Manche Quellen behaupten sogar, dass Hitler beim Empfang des
polnischen Botschafters Kemal Atatürk als seinen Lehrer tituliert
hätte.
Obwohl
in der deutschen Gesellschaft gewisse antisemitistische Tendenzen
noch zu beobachten sind, ist die offizielle deutsche Politik nicht
antisemitistisch. Aber in der Türkei ist der Kemalismus immer noch
als Staatsideologie geblieben. Der Kemalismus ist eine Mischung von
Jakobinismus und deutscher Rassenideologie. Es heißt, in der Türkei
gibt es nur ein Volk, einen Staat, eine Fahne, eine Sprache, eine
Religion, eine sunnitische Konfession des Islams. In dieser Harmonie
von "eins" haben selbstverständlich weder Armenier noch 20 Millionen
Kurden Platz.
Deshalb
mussten sich die Kurden seit Gründung des türkischen Staates 1923
nach Aussage des früheren Staatspräsidenten Demirel 29 male erheben.
Hier möchte ich besonders das Vorgehen des türkischen Staates gegen
die Region Dersim hervorheben. Ich habe darüber zwei Romane
geschrieben. Im Jahr 1937/38 hat Kemal Atatürk im Schatten des
Faschismus in Europa 70.000 Dersim Kurden ausgerottet, weil sie ihre
kulturelle, soziale und politische Rechte einforderten. In diesem
Krieg hat das türkische Militär z.B. die Eingänge der Berghöhlen
zugemauert, damit dorthin geflüchtete Kinder, Frauen und alte
Menschen lebendig begraben wurden. Als die Juden in den KZ`s in
Deutschlands und Europa industriell vernichtet wurden, hat parallel
dazu die Türkei, als Anhänger des Nazideutschlands, ihr Verbrechen
an den Kurden verübt.
Wolfgang Johann Goethe dichtete seiner Zeit: "Wenn hinten weit in
der Türkei/ Die Völker aufeinander schlagen/ Man steht am Fenster
trinkt sein Gläschen aus/ Und sieht den Fluss hinab die bunten
Schiffe gleiten/ Dann geht man abends froh nach Haus/ Und segnet
Fried und Friedenszeiten". Die Politiker in Deutschland haben im
Namen des Friedens seit Anfang des 19. Jahrhunderts das Osmanische
Reich und dann die Türkei mit militärischem Know how gegen Kurden
unterstützt. Nach dem I. Weltkriegs haben die Engländer und
Franzosen unser Land willkürlich aufgeteilt und bis zur Gegenwart
diesen Status quo bewahrt.
Heute
wurden die Kurden in Irak mit Hilfe der USA von einem Terrorregime
befreit. Die Länder, die Saddam Hussein Waffen verkauft hatten,
wollten diesen Status quo nicht geändert wissen. Nun welche
Interessen die USA dort verfolgen mögen, ist eine Seite, aber die
andere Seite ist die Dankbarkeit der Kurden an die, die sie befreit
haben.
Natürlich muss man hier gleich an das Gewissen der USA eine Frage
stellen und prüfen, ob sie, wie sie die 5 Millionen Süd-Kurden
befreit haben, auch die 20 Millionen Nord-Kurden in der Türkei
befreien wollen, oder diese einem Regime, in dem sie weder ihre
Identität behaupten können, noch ihre Muttersprache Kurdisch
erlernen dürfen, auszuliefern. Unter diesem Regime können die Kurden
nicht mal ihren Kindern kurdische Namen geben, weil es als
Beleidigung des türkischen Staates betrachtet wird. Werden die USA
den Kurden in der Türkei, Iran und Syrien ihre Grundrechte bescheren
oder nicht?
Die
Kurden sind religiös anti fundamental, weltlich westlich orientiert,
und in der Region neben dem jüdischen das einzige Volk, das
Demokratieverständnis besitzt. Um den 11. September nicht wieder
erleben zu müssen, müssen die USA und Israel die Demokratisierung
der Region mit aller Macht vorantreiben. Die USA und besonders der
Staat Israel müssen sich dabei tausendfach überlegen, mit wem sie
die Demokratisierung der Region ermöglichen. Die USA und die
westlichen Länder sehen die Türkei als Vorbild für islamische
Länder, weil sie angeblich ein säkulare Staat sei. Meiner Meinung
nach ist dies ein "Spiel der drei Affen". Wenn die Türkei von ihrem
bescheidenen Budget nahezu Hunderttausend Imame als Staatbedienstete
unterhält, um einen fundamental orthodox-sunnitischen Islam als
Staatsreligion der Gesellschaft zu oktroyieren, wie kann man dieses
Land als laizistisch bezeichnen? Im türkischen System gibt es für
Andersgläubige keinen Platz. Nahezu zehn Millionen kurdische
Alleviten und Jeziden werden diskriminiert, weil sie nicht dem Islam
angehören. In der Türkei und Kurdistan verfallen die christlichen
Gotteshäuser, weil deren Restaurierung nicht geduldet wird. Außerdem
wird von den USA und Israel nicht beachtet, wie in den Tausenden
Moscheen der Türkei Hass gegen Juden und Christen geschürt wird.
Wenn
man auf die Türkei einen genauen Blick wirft, sieht man, dass sie
von kemalismustreuen Generälen regiert wird, und diese Herren mit
ihren vielen goldenen Sternen halten im ganzen Land Disziplin wie in
einer Kasserne. Sie putschen und beseitigen die Regierungen wann und
wie sie wollten und wollen. Sie führen unter dem Motto der
preußischen Disziplin und Rassenideologie Kriege gegen Kurden. Diese
Generäle sollten eigentlich in Den Haag angeklagt werden, weil sie
den Tod von Tausenden Kurden verantworten. Nun die Realität schaut
ganz anders aus. Da sie mit westlichen Ländern Waffengeschäfte
machen, werden sie nicht getadelt.
Ich
würde die Aufnahme der Türkei in die EU begrüßen, auch weiß ich
genau, dass sie willig ist, in die EU zu kommen. Aber sie will ohne
Änderungen hin. Sie lässt sich nicht mit Europa konvertibel machen,
im Gegenteil sie möchte am besten die EU an sich annähern. Sie tut
alles, um den Kurden kein Recht geben zu müssen.
Was
wollen die Kurden? In den 80-er Jahren hat die Arbeiter Partei
Kurdistans – PKK - ein unabhängiges Kurdistan in ihrem Programm
gehabt, aber sie hat später dieses Ziel aufgegeben. Jetzt fordern
sie auf friedlichem gewaltlosem Wege innerhalb der Grenzen der
Türkei die bürgerlichen Grundrechte für Kurden, die in Europa
realisiert wurden. Sie fordern weiter die Dezentralisation und
verfassungsmäßige Anerkennung der Kurden und sprachliche und
kulturelle Förderung durch den Staat. Der Aufbau Kurdistans und eine
Generalamnesty ist der Wunsch der PKK- Nachfolgeorganisation KADEK-
(Kongress für Demokratie und Freiheit Kurdistans.)
Obwohl
die Kurden nur die für jeden Menschen auf der Welt geltenden Rechte
auch für sich wünschen, werden sie von der Türkei mit Militärischen
Optionen beantwortet. Die kurdische Bewegung hat schon seit mehr als
vier Jahren die Waffen niedergelegt und den Friedensarm für einen
wahre Frieden und Demokratie in der Türkei ausgestreckt. Aber die
Türkei hat keine Tradition in der Anerkennung ihrer ethnischen und
religiösen Minderheiten, obwohl auch sie die Allgemeine Erklärung
der Menschenrechte der Vereinten Nationen und die Charta der
Grundrechte der Europäischen Union unterschrieben hat. Die Politik
der Türkei basiert darauf, die Kurden rechtlos zu halten und
innerhalb einer Zeitspanne total zu assimilieren.
Es gibt
einen kurdischen Spruch: "Wenn das Wasser in die Enge gedrängt wird,
macht es Lärm." Man kann von den Kurden nicht erwarten, dass man sie
wie Schafe dem Messer ausliefern kann. Die Kurden sind ein großes
Volk und könnten der Motor für Demokratie der Region werden. Nachdem
KADEK das gesamte Türkisch-Kurdistan politisch und sozial
kontrolliert und auch große Einflüsse in Syrien und im Irans
Kurdistan hat, und für eine Demokratisierung der Gesellschaft steht,
sollte es die Aufgabe der USA und Israel sein, diese Kraft ernst zu
nehmen, nicht als Terror Organisation zu definieren, sondern als
eine Organisation, mit der man in den genannten Ländern Frieden,
Freiheit und Stabilität erlangen könnte.
Um in
der Zukunft ein friedliches Leben in Israel, Palästina und Kurdistan
aufrecht zu halten, muss man jetzt die Demokratisierung der Region
vorantreiben. Der Staat Israel könnte, meiner Meinung nach, eine
führende Rolle spielen, da er durch den Besitz von technischem Know
how und durch Wissen und Intelligenz als Stabilisierungsfaktor
fungieren würde. Die Bodenschätze und Wasser erhöhen die
geostrategische Lage Kurdistans. Die Türkei hat aber diese Lage für
sich vermarktet. Jetzt ist eine Weltmacht, die USA, in Kurdistan.
Wenn die USA, Israel und Kurden auf allen Gebieten zusammenarbeiten
würden, wird für Wohlstand, Frieden und Demokratie viel getan. Die
Kurden sind ein großes und junges Volk. Die Weltkräfte sollten sie
ernst nehmen.
hagalil.com
15-07-2003 |