In Haaretz berichtet Jair Sheleg über ein Umdenken in
Jerusalem: Man beginnt das europäische Judentum als politischen Faktor
zu betrachten
Jüdisch Europäischer Kongress:
Besuch in Jerusalem
Der Besuch des Führung des „Jüdisch-europäischen
Kongress“, der politischen Dachorganisation des europäischen Judentums,
am vergangenen Wochenende in Israel, und die Tatsache, das MP Sharon
Zeit fand, sich mit ihr zu treffen, waren in der Vergangenheit in den
komplexen Beziehungen zwischen Israel und der Diaspora keine
Selbstverständlichkeit.
Wie Israel auf dem politischen Bereich die Betonung fast
ausschließlich auf die Beziehungen zu den USA legt, so verhielt es sich
auch bei den Beziehungen zur Diaspora: das amerikanische Judentum galt
als politischer Besitzwert, während der Rest der Diaspora vernachlässigt
wurde. Während die Führung fast jeder jüdisch-amerikanischen
Organisation mit dem MP zusammengetroffen ist, wurde diese Ehre den
Vertretern der restlichen Diaspora nur zuteil, wenn sie Teil eines
internationalen Rahmens waren.
Zumindest was Europa anbelangt, hat sich in den letzten zweieinhalb
Jahren etwas verändert. Die vermehrten antisemitischen Angriffe, die
zunehmende politische Feindseligkeit gegen Israel in Europa und der
demonstrierte Wunsch des vereinten Europas, politische Unabhängigkeit zu
zeigen und sich von den USA zu trennen, haben zu einer veränderten
Haltung in der jüdischen Gemeinde, und auch in der israelischen
Regierung beigetragen. Der „Jüdische Weltkongress “hat vor einiger Zeit
beschlossen, seiner europäische Zweigstelle eigenständiges Gewicht zu
verleihen. Es ist von der Gründung einer pro-israelischen jüdischen
Lobby in ganz Europa die Rede, ähnlich wie die in den USA.
Obwohl die Juden heute zahlenmäßig ein viertel Prozent der Bevölkerung
der EU-Staaten darstellen (nur eine Million in einer Bevölkerung von 377
Millionen), und obwohl die jüdisch-europäische Lobby bisher nur eine
Idee ist, sagte der Präsident des „Jüdisch-europäischen Kongress“,
Michel Friedmann, zu HAA, er sei überzeugt, das europäische Judentum
habe heute genügend Einfluss, um eine solche Lobby zu einem Erfolg zu
machen.
In der Zwischenzeit begann man auch in Israel, zumindest im
Außenministerium, einzusehen, dass es ein Fehler war, die europäische
Front zu vernachlässigen. Ein Bericht des Außenministeriums, der gestern
veröffentlicht wurde und eine breitangelegte Aufklärungskampagne in
Europa empfiehlt, verdeutlicht dieses Gefühl. So auch die Tatsache, dass
die Delegation, die am Wochenende Israel besucht hat, für würdig
befunden wurde, mit dem MP zusammenzutreffen.
Der Zeitpunkt des Besuchs hängt natürlich mit dem Krieg in Irak
zusammen. Die Leiter des „Kongress“ erklärten zwar, mit dem Besuch solle
die Solidarität mit Israel demonstriert werden. Friedmann: „Den
europäischen Staaten soll gezeigt werden, dass ihre Haltung gegen den
Krieg, auch wenn sie durchaus legitim ist, nicht mit antisemitischen
Argumenten zum Ausdruck gebracht werden darf.“ Die Delegationsmitglieder
wollen sich auch der Aufklärungskampagne gegen den Versuch anschließen,
eine Verbindung zwischen dem Irakkrieg und dem
israelisch-palästinensischen Konflikt herzustellen. Der Krieg in Irak
hat jedoch auch große Sorge in den Gemeinden ausgelöst, da die
antisemitischen Vorfälle wieder zunahmen- vor allem in Frankreich und
Belgien- den in den letzten zwei Jahren problematischsten Ländern.
Um welche israelische Hilfe bitten sie in diesem Zusammenhang? Friedmann
sagte: „Wir haben nicht um Hilfe bei der Absicherung der Gemeinden
gebeten. Auch wenn wir darum gebeten hätten, hätte ich das nicht
öffentlich gesagt.“ Die Hilfe, um die gebeten wurde, sei diplomatischer
Druck Israels auf die europäischen Staaten, den Problemen des
Antisemitismus mehr Aufmerksamkeit zu widmen.
Eine israelische Regierungsstelle sagt, die Delegation habe um
israelische Hilfe bei der Organisation eines gesamteuropäischen Kongress
gebeten, bei welchem die europäischen Führer den Antisemitismus
verurteilen, als es sich plötzlich herausstellte, dass in Kürze zwei
solche Kongresse geplant sind: einer im kommenden Monat in Paris,
organisiert vom Shimon Wiesenthal Institut für die UNESCO. Der andere,
wichtigere, im Juni in Wien, organisiert von der KSZE. Der Kongress in
Wien war eigentlich eine amerikanische Initiative, da die amerikanische
Regierung zunehmend auf den Antisemitismus in Europa aufmerksam wird.
Die USA schlugen sogar vor, den Kongress auf Außenministerebene
abzuhalten, aber dafür gibt es noch keine europäische Zustimmung.
Die Delegationsmitglieder waren überrascht und verärgert, nicht zu einem
derart wichtigen Kongress über Antisemitismus informiert und nicht
eingeladen worden zu sein, obwohl sie eigentlich das Thema bilden. Bei
dem Besuch forderten sie Israel nun auf, dafür zu sorgen, dass sie
eingeladen werden. Die Regierungsstelle sagte: „Es handelt sich um einen
Kongress, zu dem Israel selbst nur als Beobachter eingeladen wurde.
...Einige der Israelis, die mit der Delegation zusammentrafen, waren
übrigens der Überzeugung, die Bedeutung der Delegation liege in erster
Linie bei ihrem Leiter, Michel Friedmann. Friedmann, der Vizepräsident
des Zentralrats der Juden in Deutschland, fungiert seit einigen Monaten
als Präsident der Organisation, und er repräsentiert tatsächlich eine
neue Art jüdischer Führung in Europa, die dem amerikanischen Modell sehr
ähnlich ist. Anstatt das Gefühl einer schwachen, eingeschüchterten
Gemeinde zum Ausdruck zu bringen ist Friedmann, der in Deutschland eine
Talkshow moderiert, selbstbewußt und hat keine Angst vor Kontroversen.
Auch bei seinem Besuch in Israel zögerte er nicht, sich scharf gegen die
anti-amerikanische Stimmung in Europa zu äußern und sagte: „Die USA sind
die Garantie für Freiheit und Demokratie in allen europäischen Staaten,
und damit auch für die Rechte der Minderheiten, wie der Juden.“
hagalil.com
03-04-03 |