
Hass auf Israel
und Anti-Semitismus, 2001
Kommentar von Eliahu Salpeter, Ha’aretz, 21.11.2001
Wenn die Gründung des Staates Israel als der Jüdische
Staat die Antwort des jüdischen Volkes auf den Anti-Semitismus gewesen
sein soll, dann scheinen die israelischen und die Diaspora-Juden trotz
allem nicht zu glauben, das Ziel der Ausradierung des Anti-Semitismus
bereits erreicht zu haben.
Gemäß Umfragen, die in Israel durchgeführt wurden,
glauben israelische Juden, dass der Anti-Semitismus in der Welt
zugenommen hat und dass sich die Diaspora-Juden von den USA bis Russland
mehr bedroht fühlen als je zuvor.
Die größten Ängste rühren nicht vom Neonazismus oder
Anti-Semitismus in West- oder Ost-Europa her. Der Hauptfaktor dieses
Gefühls einer übermächtigen Bedrohung ist Hass, dessen Flammen von
islamischen Fundamentalisten gegen "Israel" –was kürzlich ein Synonym
für "Juden" wurde- genährt werden. Unter den Juden im Westen wurden
Gefühle der Angst durch die Furcht bestärkt, dass es arabischen Staaten
und moslemischen Extremisten gelingen könnte, die öffentliche Meinung
–besonders in den USA- davon zu überzeugen, dass die Unterstützung
Israels der Grund für anti-westlichen Terror ist.
Die Ergebnisse einer Umfrage, die im späten Oktober vom
jüdischen Weltkongress in Israel durchgeführt wurde, zeigen, dass 57%
der israelischen Juden glauben, es gäbe heute mehr Anti-Semitismus auf
der Welt als zehn Jahre zuvor. Dies beunruhigt sie sehr. Trotzdem
betrachten etwa zwei Drittel der Befragten die Assimilation als
Hauptbedrohung für die Existenz des jüdischen Volkes. Und nur etwa ein
Drittel glaubt, dass die physische Gefahr, der Juden heute ausgesetzt
sind, eine größere Bedrohung für ihr Überleben bedeutet. Die Befragten
verheimlichten auch ihre Sorge gegenüber den Juden in der Diaspora nicht
– 75% von ihnen glaubten, dass die Feindseligkeit, die überall in der
Welt bezüglich Israel herrscht, ihre Ursache im Antisemitismus hat.
Die Mehrheit der Holocaust-Überlebenden und die meisten
ihrer Kinder haben es geschafft, sich selbst davon zu überzeugen, dass
der Holocaust eine einzigartige Katastrophe war, die im Lauf der
Geschichte eines sehr geplagten Volkes stattgefunden hat – eine
einzigartige Katastrophe, die sich niemals so wiederholen würde. Mit
dieser Haltung ist ein Glaube verbunden, der im Weltjudentum zu einem
Axiom wurde: Der Status der amerikanischen Juden unterscheidet sich
völlig vom Status der Juden in der übrigen Diaspora. Es kann mit großer
Sicherheit gesagt werden, dass diese vorherrschende Meinung auch heute
noch eine große Rolle spielt.
Nach den Terrorereignissen in den USA vom 11. September
hat die Mauer dieses Glaubens jedoch offensichtlich ein paar Risse
bekommen, besonders aufgrund des tiefen Hasses, der von islamischen
Fundamentalisten ausgedrückt wird und der anschließenden Angst, dass
dieser Hass den Westen beeinflussen könnte. Neonazis und islamische
Fundamentalisten arbeiten gemeinsam daran, die Ansicht zu verbreiten,
dass Juden an den Terroranschlägen des 11. September teilgenommen
hätten. Deutschlands Repräsentanten in der EU fordern, dass die EU die
weitere Unterstützung der palästinensischen Autonomiebehörde stoppt, bis
die PA antisemitische Hetze, die in Schulbüchern zum Ausdruck gebracht
wird, zum Schweigen bringt. Trotz Anzeichen von Änderungen unter
Präsident Vladimir Putin beteiligen sich in Russland jedoch Kommunisten
und nationalistische Politiker am Chorus derer, die die Juden der
Planung der Terrorakte in Amerika beschuldigen. Großen Widerhall,
besonders unter amerikanischen Juden, fand ein Artikel, der vom
Journalisten und Schriftsteller Jonathan Rosen geschrieben wurde und in
der New York Times erschienen war. Rosen beobachtete, dass sich Juden
nun durch Antisemitismus bedroht fühlen, der von islamischen
Fundamentalisten verbreitet wird. Rosen sagt, dass es mehrere Faktoren
gibt, die zu diesem Gefühl der Bedrohung beitragen. Zuerst das Argument,
dass es die Juden gewesen seien, die die Terroranschläge in New York und
Washington geplant und ausgeführt hätten. Diese Behauptung erinnert an
Verleumdungen der Juden während des Mittelalters. Es sollte jedoch
zwischendurch bemerkt werden, dass arabischer und islamischer
Antisemitismus –ein Antisemitismus, der Nazimotive enthält, da er nicht
nur Israels Existenzrecht sondern ganz allgemein das Existenzrecht der
Juden in Frage stellt- schon längst vor den tragischen Ereignissen des
11. September sichtbar war.
Ein Ausdruck dieser neuen Form des Antisemitismus kam
während der Durban-Konferenz gegen Rassismus zutage. Hier wurde eine
deutliche Verbindung zwischen der hasserfüllten anti-israelischen
Rhetorik, die in vielen Reden zum Ausdruck kam und den unverschämten
antisemitischen Äußerungen der Araber am Austragungsort der Konferenz
sichtbar.
Nach Rosens Ansicht ist die Leugnung des Holocausts
durch Neonazis in Europa und durch den Mufti von Jerusalem, der
offiziell von der PA unterstützt wird, ein weiteres ähnlich
alarmierendes Anzeichen des neuen Antisemitismus. "Die dämonisierende
Sprache, die in mancher europäischen und arabischen Presse bezüglich der
Juden gebraucht wird, erinnert an das Europa der 30er Jahre", schrieb
Rosen. "Ich wuchs auf und dachte, ich lebte in einer Welt nach dem
Holocaust. Und nun merke ich, dass sie sich mehr und mehr wie die Welt
vor dem Holocaust darstellt."
Ganz offensichtlich ist eine bloße Aussage, die den
Arabern mörderischen Antisemitismus zuschreibt, in sich selbst
rassistisch. Es ist jedoch klar, dass der von Arabern ausgedrückte Hass
weit unter die Eckpunkte der politischen Feindseligkeit geht, die sich
um den palästinensisch-israelischen Konflikt dreht. Und er nimmt einen
entschieden antisemitischen Charakter an, wenn er von bestimmten
Personen in der arabischen Welt geäußert wird.
Unter den Juden in der gesamten Diaspora kann Feingefühl
für diese neue Welle des Antisemitismus beobachtet werden – von
Zentralasien bis Südafrika und von Südamerika bis nach Europa (wo
Feingefühl natürlich besonders wichtig ist).
Bei einer kürzlich stattfindenden Konferenz der
Vereinigten Synagoge in Großbritannien warnte der Oberrabbiner der
Vereinigten Hebräischen Gemeinden des Britischen Commonwealth, Dr.
Jonathan Sacks, dass der Antisemitismus, den Juden durch die Christen
erlitten haben, nun von islamischen Radikalen übernommen worden sei:
"Die gleiche Dämonisierung, die gleichen schlimmen Phantasien.... als ob
die Menschheit nichts aus der Vergangenheit gelernt hat.... (es ist als
ob) die Welt sich in die schlimmsten Tage des Mittelalters zurück
entwickelt hat und es dabei nur einen kleinen Unterschied bezüglich der
Namen gibt: Man lösche "Christentum" und setze dafür "Islam" ein. Man
lösche "Kreuzzug" und setze dafür das Wort "Heiliger Krieg (Jihad)"
ein." Egal welches Wort man benutzt, das Ziel ist das gleiche, bemerkt
Rabbi Sacks: "Den Juden das Recht auf ihr Dasein zu rauben."
In den letzten zwölf Monaten hat das französische
Judentum die bösartigste Welle von Antisemitismus seit der Nazibesatzung
erlebt. Es gab 150 Gewaltakte gegen jüdische Institutionen und jüdische
Personen, darin enthalten sind 43 Akte der Brandstiftung und des
Vandalismus gegen Synagogen. Roger Cuckierman, Präsident der
Schirmorganisation der jüdischen Institutionen in Frankreich (CRIF),
beschuldigte die französische Presse, den Hass gegen Israel und die
Juden zu fördern. Cuckierman war der Meinung, dass die verzerrte
Berichterstattung über den palästinensisch-israelischen Disput nur Öl in
das Feuer der Feindseligkeit gegenüber den Juden gießt.
Sogar die Juden in der Schweiz fühlen sich langsam durch
den Antisemitismus des islamischen Fundamentalismus eingeschüchtert. Der
ehrenwerte Präsident der Jüdischen Gemeinde in Zürich, Sigi Feigel,
sagte letzten Monat bei einer Konferenz von Schweizer Jüdischen
Gemeinden, dass, soweit es die Juden betrifft, Hitler noch immer am
Leben sei.
haGalil onLine
10-12-2001 |