Anhörung in Den Haag:
Auch der Internationale Gerichtshof sitzt auf
der Anklagebank
Analyse von Ze'ev Segal, Ha'aretz, 23.02.2004
Übersetzung Daniela Marcus
Am 8. Dezember 2003 entschied die
Generalversammlung der Vereinten Nationen in einer Sondersitzung,
den Internationalen Gerichtshof (IGH) in Den Haag um ein
Rechtsgutachten über "die rechtlichen Konsequenzen des Baus einer
Mauer in den besetzten palästinensischen Gebieten" zu ersuchen.
Dadurch, dass die Generalversammlung und der IGH
das Wort "Mauer" benutzten, obwohl sich die Barriere aus
unterschiedlich gebauten Segmenten zusammensetzt, haben sie keine
neutrale Sprache verwendet. Auch der Ausdruck "besetzte
palästinensische Gebiete" ist viel mehr ein politischer als ein
rechtlicher, vor allem deshalb, weil diese Terminologie nicht in den
UN-Resolutionen 242 und 338 des Sicherheitsrates, die sich auf die
Lösung des Konflikts der beiden Seiten beziehen, verwendet wird.
Doch nicht nur der Sprachgebrauch kennzeichnet das
Ersuchen der Generalversammlung als ein einzigartiges. Die 20
Abschnitte, aus denen der Antrag besteht, erklären in keinster Weise
die Umstände, unter denen die "Mauer" gebaut wird – die andauernden
Terrorangriffe gegen Israelis. Die IGH-Akte dieses Falles, die 88
Dokumente umfasst, die von der UN an Den Haag übergeben wurden,
erwähnt nicht einmal am Rande die Terrorangriffe. Der IGH wird
wahrscheinlich das 130 Seiten umfassende israelische Dokument
veröffentlichen, das klarstellt, warum die israelische Regierung das
Recht des IGH, über die Barriere zu beraten, nicht anerkennt. All
dies wird im Schatten des gestrigen Selbstmordanschlages in
Jerusalem stattfinden.
Die Hauptaussage der israelischen Position ist
rechtlicher Art und bezieht sich nicht nur auf die Gründe für den
Zaunbau – über 900 israelische Opfer in etwas mehr als drei Jahren
voller Terrorangriffe. Entsprechend der rechtlichen Argumentation
wurde die Generalversammlung einberufen, um den Zaun gemäß einer
speziellen Vorgehensweise zu diskutieren, wodurch der Sicherheitsrat
infolge der Meinungsverschiedenheiten seiner ständigen Mitglieder
als unfähig hingestellt wurde, seine "Hauptverantwortung" zu
erfüllen, nämlich Frieden und Sicherheit zu garantieren. Bezüglich
des Zauns hatte der Sicherheitsrat entschieden, den sogenannten
"Fahrplan" als Blaupause für die Lösung des
israelisch-palästinensischen Konfliktes zu übernehmen. Auf jeden
Fall wurde vor der Debatte in der Generalversammlung die Option, den
IGH um ein Rechtsgutachten zu bitten, vom Sicherheitsrat nicht in
Erwägung gezogen.
Wenn diese Argumentation zurückgewiesen wird –was
als sicher angenommen werden kann- wird der IGH noch entscheiden
müssen, ob er in diesem Fall überhaupt zuständig ist. Der IGH hat
die Option, das Ersuchen der Generalversammlung nach einem
Rechtsgutachten zurückzuweisen. Denn eigentlich werden solche
Gutachten nur in rechtlichen Angelegenheiten gefordert. Israel
könnte überzeugend argumentieren, dass der Zaun nicht ein rein
rechtliches, sondern eher ein politisch-rechtliches Thema ist.
Wenn der IGH urteilt, dass der Zaun im Grunde ein
Rechtsstreit ist, wird er diesen Präzedenzfall in seinen eigenen
Anhörungen behandeln müssen, wobei solche Fälle nur mit voller
Zustimmung beider Parteien diskutiert werden können. Israel erkennt
das Recht des IGH, den Konflikt mit den Palästinensern zu beraten,
nicht an. Alle Abkommen, die Israel und die Palästinenser in der
Vergangenheit unterzeichnet haben, sprechen von Verhandlungen als
Schlüssel zur Lösung des Disputs. Sie erwähnen den IGH nicht als
Forum für die Konfliktlösung.
Ein Rechtsgutachten des IGH ist, anders als ein
Urteilsspruch derselben Körperschaft, nicht bindend. Es liegt an der
Generalversammlung darüber zu entscheiden, was mit dem
Rechtsgutachten geschehen soll. Das heißt, die Stellungnahme des IGH
wird zweifelsohne beeinflussen, ob er in Zukunft als bedeutende
rechtliche Stimme oder als Forum für politisch beeinflusste
Entscheidungen betrachtet werden wird. Insgesamt sind die Richter
des IGH weltberühmte Juristen, die eine jahrelange Berufserfahrung
in ihren jeweiligen Herkunftsländern vorweisen können und die sich
selbst als Rechtsexperten betrachten. Während eines Gesprächs, das
ich letzten Sommer mit einem dieser Richter hatte, wurde mir klar,
dass sie sich selbst als unabhängig von dem Land betrachten, das sie
nach Den Haag sandte. Diese Selbstwahrnehmung wird in den kommenden
Tagen einer Feuertaufe ausgesetzt werden.
hagalil.com
23-02-2004 |