Benita Ferrero-Waldner:
Die europäische Nachbarstaaten-Politik
Von Benita Ferrero-Waldner, Ha'aretz,
21.12.2004
Übersetzung Daniela Marcus
Es gibt Momente im politischen Leben, in denen
einem der Instinkt sagt, dass eine fundamentale Veränderung
geschehen ist. Manchmal ist dieses Gefühl nichts anderes als eine
leichte Brise, manchmal ist es klar wie ein plötzlicher Sonnenstrahl
durch die Wolken. Mein Instinkt sagt mir, dass solch eine
Veränderung vor kurzem in der Beziehung zwischen der Europäischen
Union und Israel geschehen ist.
Die EU und Israel haben sehr viel gemeinsam – wir haben nicht nur
unsere kulturellen und historischen Verbindungen, sondern auch
unsere täglichen persönlichen Kontakte. Wir teilen die gleichen
demokratischen Werte, den Respekt für Menschenrechte, die Herrschaft
des Gesetzes und grundsätzliche Freiheiten. Auf wirtschaftlicher
Ebene ist die EU Israels größter Handelspartner – etwa 40 Prozent
des israelischen Imports kommt aus der EU und etwa 30 Prozent des
israelischen Exports geht in die EU.
Doch trotz allem verliefen die Begegnungen in den letzten Jahren
kühl.
Zu meiner Freude kehrt die Wärme nun jedoch zurück. Veränderungen
auf internationaler Ebene wie z. B. die anstehenden Wahlen in der
palästinensischen Autonomiebehörde, eine neue amerikanische
Regierung und eine neue europäische Kommission geben uns eine reelle
Möglichkeit, unsere Beziehungen von neuem zu betrachten und zu
sehen, wohin wir von hier aus gehen wollen.
Und wir können uns glücklich schätzen, denn wir haben das Werkzeug,
dies zu tun. Am 13. Dezember einigten sich die EU und die
israelische Regierung auf einen Aktionsplan, der im Rahmen der
europäischen Nachbarstaaten-Politik (ENP) entwickelt wurde und eine
Anzahl von Regionen aufzeigt, mit denen wir enger zusammen arbeiten
möchten.
Die ENP stellt für uns einen neuen Start dar – als Anerkennung für
die Zusammenarbeit auf Gebieten gemeinsamen Interesses bietet sie
Nachbarstaaten die Möglichkeit, ihre politische Kooperation und ihre
wirtschaftliche Integration mit uns zu vertiefen. Das prinzipielle
Ziel ist es, eine Region der Stabilität, des Wohlstandes und der
Sicherheit für alle zu fördern. Denjenigen Ländern, die bereit sind
und denen es möglich ist, hieran teilzunehmen, bieten wir die
Aussicht, in interne EU-Programme aufgenommen zu werden und Zugang
zum größten Binnenmarkt der Welt zu erhalten.
Jeder Aktionsplan wird direkt mit der betroffenen Regierung
ausgehandelt. Der Aktionsplan mit Israel reflektiert deshalb die
Beziehung, die wir miteinander entwickeln möchten. Deshalb bin ich
so ermutigt. Wir haben es geschafft, eine Vereinbarung zu treffen,
die beiden konkreten Nutzen bringt und Israel näher an die EU zieht
als jemals zuvor.
Was bedeutet das für die Israelis?
Die EU und Israel haben sich verpflichtet, im Kampf gegen
Antisemitismus, Rassismus und Fremdenhass und im Schutz der
Menschenrechte und Minderheiten zusammen zu arbeiten. So werden wir
zum Beispiel gemeinsam daran arbeiten, unsere Völker hinsichtlich
der Wichtigkeit der Toleranz und des Respekts für alle ethnischen
und religiösen Gruppen zu erziehen. Wir werden unsere Zusammenarbeit
im Kampf gegen Terrorismus und in der Nichtverbreitung von
Massenvernichtungswaffen stärken.
Beide Parteien haben auch zugesagt, hinsichtlich der Beilegung des
israelisch-palästinensischen Konfliktes unter Verwendung der
"Roadmap" und mit dem Ziel einer permanenten Zwei-Staaten-Lösung
zusammen zu arbeiten. Durch diese Verpflichtung und durch das
Ergreifen der Möglichkeit, die sich durch die palästinensischen
Wahlen bietet, bin ich sicher, dass wir fähig sein werden, gemeinsam
den Friedensprozess im Nahen Osten zu reanimieren.
Auf wirtschaftlicher Ebene ist uns Israel eher von Nutzen als einige
unserer anderen Partner, weil es eine funktionierende
Marktwirtschaft hat, die sehr gut zur Marktwirtschaft der EU passt.
Unter anderem lässt der Aktionsplan außerdem hoffen, dass die EU
schließlich eine Freihandelszone für Dienstleistungen, insbesondere
finanzielle Dienstleistungen, schafft und es israelischen Firmen
somit ermöglicht wird, sich auf Gebieten, die bisher verschlossen
waren, mit unseren Firmen zu messen.
Der Plan deckt auch eine Anzahl anderer Gebiete ab, so z. B. die
Migration, den Kampf gegen organisiertes Verbrechen und
Menschenhandel. Bald wird es Israelis auch möglich sein, weiteren
unserer Programme beizutreten, angefangen von kulturellen Programmen
bis hin zum öffentlichen Gesundheitswesen.
Lassen Sie mich zum Schluss auch die zwischenmenschlichen
Beziehungen hervorheben. Die ENP handelt nicht nur von Aktivitäten
von Regierungen und Institutionen, sie handelt auch von Menschen. Im
Jahr 2005 werden die israelische Regierung und die Regierung der EU
gemeinsam ein Symposium für Intellektuelle, Politiker, Experten und
Journalisten organisieren, um gemeinsame Aktivitäten zu diskutieren.
Alles in allem denke ich, dass uns der Aktionsplan eine beachtliche
Gelegenheit bietet, um die europäisch-israelischen Beziehungen in
der Praxis und zum gemeinsamen Vorteil zu vertiefen. Und vor dem
Hintergrund internationaler Ereignisse denke ich, dass die Zeit
dafür eine gute ist. Wir werden sicherlich weiterhin nicht in allen
Punkten übereinstimmen, doch ich bin sicher, dass das vertiefte
Vertrauen, das wir dank dieses Planes gewonnen haben, uns
ermöglichen wird, die Unstimmigkeiten offener als in der
Vergangenheit zu diskutieren.
Ich bin stolz, an den bedeutenden Verbesserungen unserer Beziehungen
beteiligt zu sein und ich freue mich auf den aufgenommenen Prozess
und auf die persönliche Erfahrung der neu gefundenen Wärme in
unserer Beziehung bei meinem Besuch im nächsten Jahr.
Die Autorin ist EU-Beauftragte für
Auslandsbeziehungen und europäischen Nachbarstaaten-Politik.
hagalil.com
22-12-2004 |