"Europa hasst uns!"
Europhobie in Israel
Nach einem Artikel von Jehoshua Simon
in der israelischen Wirtschaftszeitung
Globes
12/02
Vor dem Hintergrund der zunehmenden
europäischen Kritik an der Politik Sharons in den Gebieten, traten
in der israelischen Öffentlichkeit Strömungen an die Oberfläche, die
sich sehr schnell zum Konsens der Medien verfestigten: "Europa haßt
uns, wobei die Palästinenser nur ein Vorwand sind".
Eli Jazpan, der bekannte israelische Komiker, ein
stolzer Europhober, meint: “Als der Schöpfer den Antisemitismus
verteilte, kamen die Franzosen um sechs Uhr, obwohl er erst um neun
Uhr aufmachte.” Jazpan greift in seiner täglichen Talkshow immer
wieder Europa und vor allem die Franzosen an. Über Deutschland und
Gerhard Schröder sagte er einmal: "Gerhard Schröder, der Führer des
neuen Deutschlands, ist ganz der ‘Golem’, der sich gegen seinen
Schöpfer stellt. Ohne Amerika würden die Deutschen heute die Kleider
tragen, die sie den Juden im Holocaust abgenommen haben, und sie
hätten nichts zu essen. Eine Frechheit haben die!”
Wenn sich die Konversationen nach einem Europaurlaub früher aufs
Shopping bezogen hatten, heißt es jetzt: “Und, wie war der
Antisemitismus?”. Und dennoch, es gibt unzählige Reklamen, in denen
mit französischem Akzent gesprochen wird, und der Israeli kauft
immer mehr Produkte, denen ein europäischer Duft anhaftet.
Wegen des Gefühls, dass sich die Beziehungen in einer Krise befinden
und das Ansehen Europas in der israelischen Öffentlichkeit einen
Tiefpunkt erreicht hat, fanden in diesem Jahr einige Kongresse zum
Thema israelisch-europäische Beziehungen statt, z.B. an den
Universitäten von Tel Aviv und Bar-Ilan. Eine Veranstaltung auf dem
Rabin-Platz, nannte sich “Ja zu Europa!”.
Avi Primor, der Vizepräsident der Tel Aviv Universität und
ehemaliger Israelischer Botschafter in Deutschland, ist Gründer des
israelisch-europäischen Forums, dem er vorsteht, er organisierte den
Kongress “Israel-Europa, Beziehungen in Not” in der Universität Tel
Aviv. Das Forum versucht, den Dialog zwischen Israel und der EU
voranzutreiben, um die Entwicklung tieferer Beziehungen mit der EU
zu ermöglichen. Ziel des Forums ist es, eine Infrastruktur
vorzubereiten, auf die sich die israelische Regierung bei
Verhandlungen mit der EU stützen kann.
Im Gespräch mit Jehoshua Simon meint Avi Primor: “Eli Jazpan sagt in
seiner Fernsehsendung, er bedauere, gesagt zu haben, die Franzosen
seien ein Scheißvolk, denn sie seien die Scheiße der Scheiße, und
das Publikum applaudiert. Stellen Sie sich vor, in einer
französischen Sendung würde man so etwas über die Israelis sagen,
oder noch schlimmer, über die Juden. Können Sie sich vorstellen, was
dann los wäre?”
Stellen Sie in Israel Hass gegen Europa fest?
“Das ist nichts Neues, aber es ist schlimmer geworden. Die
Erscheinung hat in den letzten beiden Jahren zugenommen. Die Gründe
sind natürlich eindeutig. Je gespannter die Situation in der
Gegenwart wird, desto stärker wird die Vergangenheit betont.”
Bevorzugt Europa die Araber?
“Nein. Wenn Sie mit arabischen Vertretern oder Organisationen
sprechen, dann bringen diese dieselben Argumente vor wie die
Israelis, nur umgekehrt. Die europäische Presse sei anti-arabisch
und pro-israelisch, es werde nur der palästinensische Terror betont,
während die IDF-Aktionen in den Gebieten ignoriert werden etc. Die
Argumente auf beiden Seiten sind emotionell, denn wir sind
emotionelle Völker, und da wir uns in einem grausamen Kampf
befinden, sind wir intolerant.”
Und wie verhält es sich mit den Vorwürfen, Europa sei antisemitisch?
“Der Großteil dieser Vorwürfe ist emotionell und stammt aus der
Vergangenheit. Europa wird jedoch auch auf zynischer, nicht nur
emotioneller, Weise Antisemitismus vorgeworfen, als Versuch, die
Kritik an den Aktionen der israelischen Regierung abzublocken. Der
Antisemitismus in Europa nimmt ab, zwar allmählich, aber
kontinuierlich. Vor dem 2. Weltkrieg waren 90% der Deutschen
Antisemiten. In Frankreich, einem katholischen Staat, lehnten in den
40-er Jahren 50% einen jüdischen Präsidenten ab. Heute akzeptieren
90% den Gedanken eines jüdischen Präsidenten. In den letzten zwei
Jahren hat sich nichts verändert. Der Ausbruch des Konflikts hat den
Antisemiten nur eine weitere Bahn für ihren Hass geliefert. Es gibt
aufrichtige Kritik an der Politik der israelischen Regierung, die
gerade von unseren besten Freunden geübt wird.”
hagalil.com
26-12-2002 |