Dialog mit Islamisten:
Verständnisvolles Europa
In Beirut lädt die Friedrich Ebert
Stiftung und die österreichische Botschaft zum Dialog mit Islamisten
Von Thomas von der Osten-Sacken und Thomas Uwer
Stellte man nach dem 11. September 2001 die Frage,
wie es denn möglich sei, dass sich ein derart radikaler und
organisierter islamischer Terrorismus entwickelte und die mit dem
Islam und der nahöstlichen Region befassten Wissenschaften zugleich
scheinbar nichts davon mitbekommen hatten, so lautete die gängige
Antwort, dass dies nicht die Aufgabe von Wissenschaft sei. "Vor
Terroristen zu warnen, ist nicht Sache der Gelehrten, sondern der
Geheimdienste. Dafür zahlt man immerhin Steuern", nahm
beispielsweise Edward Said auf dem ersten Weltkongress der
Orientalisten jene Wissenschaft in Schutz, als deren Kritiker er
einst bekannt geworden war.
Dass es sich mit dem Verhältnis zwischen
panarabischen und islamistischen Bewegungen auf der einen, den
Forschern, die sich ihrer annehmen, auf der anderen Seite nicht ganz
so einfach verhält, darauf wies bereits vor den Anschlägen des 9/11
die kritische Studie des amerikanischen Orientalisten Martin Kramer
hin[1]. So sehr "verliebt" seien seine Kollegen in den Gegenstand
ihrer Forschung, die islamischen und arabischen Gesellschaften, dass
sie jede Distanz vermissen ließen. An keinem anderen Ort außerhalb
der arabischen Welt würden panarabische und –islamische Ideen derart
gepflegt, wie in den islamwissenschaftlichen Instituten des Westens.
Damit ist sicherlich nur ein kleiner Ausschnitt der Problematik
benannt. Nicht zuletzt die Auftritte deutscher Islamwissenschaftler
und Nahostexperten im Vorfeld des vergangenen Irakkriegs haben
deutlich gemacht, wie eng wissenschaftliche Expertisen und
politische Interessen bei der Auseinandersetzung mit dem Nahen Osten
verwoben sind. Ganz harmlos und
der wissenschaftlichen Auseinandersetzung dienend scheint auf den
ersten Blick auch eine Konferenz am Deutschen Orientinstitut in
Beirut zu sein, die von der Friedrich Ebert Stiftung gemeinsam mit
dem libanesischen "Consultative Center for Studies and Documetation"
(CSSD)[2] für den 17. bis 19. Februar 2004 organisiert wurde.
Gefördert wird die Veranstaltung unter Titel "The Islamic World and
Europe; From Dialogue towards Understanding"[3] unter anderem von
der österreichischen Botschaft in Beirut. So harmlos aber, wie es
die Begriffe Dialog und Verständigung nahe legen ist die
Veranstaltung bei weitem nicht. Denn das CSSD steht der
libanesischen Hizbollah nahe und die Liste der Referenten weist
neben den deutschen Nahostexperten Michael Lüders, Volker Perthes
und Helga Baumgarten namhafte Islamisten wie Tariq Ramadan, Azzam
al-Tamimi, Jamal al-Banna oder Skeikh Naeem Quasim von der Hizbollah
auf. Unter dem Begriff des Dialogs bietet eine deutsche Stiftung
damit den Vordenkern eines modernen Islamismus ein Podium in
direkter räumlicher und organisatorischer Nähe zur militanten
Hizbollah. Dass der akademisierte "europäische Islam", für den vor
allem Tariq Ramadan aus Genf und Azzam al-Tamimi vom britischen
Muslim Council werben, den direkten Anschluss an die radikalen
nahöstlichen Bewegungen sucht, darf kaum verwundern. Die
antisemitischen Äußerungen Ramadans im vergangenen Jahr und die nur
scheinbar differenzierte Sichtweise von Tamimi auf den arabischen
und islamischen Antisemitismus legen nahe, dass ein moderner
Islamismus sich durchaus mit den europäischen Gesellschaften
arrangieren kann und zugleich den Hass auf Amerika und die Juden
pflegt. "Die Unbeugsamkeit des
palästinensischen Volkes und die Eskalation ihres Aufstandes bis zu
dem Punkt, an dem Panik und Verwirrung unter den Israelis herrscht
und sie ihren eigenen Staat in Frage stellen, sind klare Anzeichen,
dass die Post-israelische Ära vor der Tür steht." Zu diesem Schluss
kommt Azzam al-Tamimi, der auf der Konferenz der Friedrich Ebert
Stiftung auf einem Podium zu "Freiheit und Menschenrechte" sprechen
wird. Tamimi hat eine "Kritik des islamischen Antisemitismus"[4]
verfasst, die zu dem bekannten Ergebnis kommt, dass es einen solchen
nicht geben könne, da die Araber doch selbst Semiten seien. Dass es
gleichwohl einen Anti-Judaismus gebe, dafür trage "das zionistische
Projekt die volle Verantwortung". "Beschimpfungen und Abstempeln von
Juden als Nachfahren von Schweinen und Affen, wie es oft in der
arabischen Literatur geschieht, ist rassistisch, inhuman und daher
auch unislamisch", schreibt Tamimi. "Ohne die anti-jüdische Haltung
vieler Muslime rechtfertigen zu wollen, verstehe ich doch, dass es
gute Gründe für diese Haltung gibt." Richtig sei vielmehr, eine
klare Trennung zwischen dem jüdischen Glauben und dem "zionistischen
Projekt" zu ziehen. "Muslime müssen einen rationalen und
überzeugenden Diskurs entwickeln, der zu einer klaren und
stichhaltigen Auffassung führt, was die Juden für uns bedeuten und
welche Rolle sie in unserem Glauben und unserer Religion einnehmen.
Das ist das, was die Hamas in den vergangenen 10 Jahren bereits
geleistet hat." So folgt Tamimi strikt dem klassisch antisemitischen
Paradigma, wonach zuerst der Verfolger entscheidet, wer Jude ist und
wer nicht. Verschont bleiben sollten Juden, wie Tamimi sie
definiert, nämlich solche, die dem "zionistischen Projekt"
abschwören. "Muslime sollten sich effektiv daran beteiligen, eine
Lösung des Palästinakonflikts herbeizuführen", erklärt Tamimi. "Ein
Teil dieser Bemühungen muss sich gegen die jüdischen Gemeinden in
der Diaspora wenden, damit sie ihre Unterstützung Israels beenden
und sich von dem zionistischen Projekt abwenden."
Ähnlich wie bei Tariq Ramadan, der auf dem
Europäischen Sozialforum in Paris eine begeisterte
Zuhörerschaft fand, liegt der Erfolg Tamimis darin, seinen
Islamismus an antiamerikanische und globalisierungskritische
Diskurse anzubinden. "Im wesentlichen ist das zionistische Projekt
ein westlich-kolonialistisches Unternehmen dessen Erfolg von zwei
Faktoren abhängt. Der erste Faktor ist die Wahrung eines starken und
machtvollen Westens... Der zweite Faktor ist die Schwäche der Araber
und Muslime, die ihrer Möglichkeiten, sich zu verteidigen, beraubt
wurden." In demselben Maße, in dem die "muslimische Welt" als Opfer
der "World Order" gezeichnet wird, bietet er sie als neuen
Hoffnungsträger einer gerechteren Welt an. "Offensichtlich aber wird
die muslimische Welt gerade Zeuge eines massiven Erwachens, das ihre
Schwäche in Stärke verwandeln wird. Wenn Araber und Muslime wieder
Stärke und Vertrauen erlangen, dann wird dies einhergehen mit einem
Rückzug der World Order aufgrund der schrumpfenden materiellen und
militärischen Ressourcen und in Folge einer Zuspitzung des aktuellen
Konflikts; dann wird auch das Ende des zionistischen Projekts
gekommen sein und der Staat Israel wird aufhören zu existieren."
Verpackt in einen akademischen Diskurs formuliert Tamimi so das
Programm eines weltweiten Jihad, wie es in gröberen Worten bereits
von Osama Bin Laden und der Al Qaida bekannt gemacht wurde. Der
Widerstand gegen eine von Israel und den Zionisten gelenkte "World
Order" werde Erfolg haben, wenn es gelinge, die militärischen
Ressourcen durch eine Vermehrung der Konflikte zu maximieren und den
Feind auf diese Weise zu schwächen. Nüchterner kann der Aufruf zum
Mord kaum formuliert werden.
Eine ähnliche Strategie vertritt Munir Shafiq. Der ehemalige
Marxist, der unter dem Einfluss der iranischen Revolution und Roger
Garaudys zum Islam konvertierte, avancierte in den vergangenen
Jahren zu einem wichtigen Ideologen des Palästinensischen Jihads und
der Hamas[5]. 1998 fiel Shafiq durch einige Artikel auf, in denen er
forderte, den Begriff des Terrorismus neu zu definieren. Morde gegen
Zivilisten seien "unrein", erklärte Shafiq damals, verteidigte aber
"Terrorismus" als legitime Form des Widerstandes bei "Besatzung" und
als Teil einer "ideologischen und zivilisierten Mission für eine
politische Alternative zu der ungerechten Politik überall auf der
Welt". Vergangenes Jahr hielt er die Eröffnungsansprache einer
Konferenz über die palästinensische Intifada an der Universität
Teheran. Im Abschlusscommunique der Tagung hieß es: "Die Teilnehmer
dieser Konferenz halten die Vernichtung des zionistischen Regimes
für die Vorbedingung der Schaffung von Demokratie im Mittleren
Osten."[6] Der Ägypter Jamal
al-Banna, Bruder des Gründers der Muslimbruderschaft, wird in Beirut
über "Demokratie – ein flexibles Konzept" sprechen. Al Banna gilt
als führender Kopf der islamistischen Bewegung in Ägypten. Banna
setzte sich beispielsweise für den bekennenden Antisemiten Roger
Garaudy ein [7] und verteidigt das Konzept des Jihad in
Palästina[8][8]. Gleichzeitig wird auch er nicht müde, den
friedlichen Charakter der Muslimbrüderschaft zu betonen; der
Fanatismus einiger islamistischer Gruppen liege nicht in ihrer
Ideologie begründet, sondern sei einzig das Ergebnis von
Unterdrückung und Ausgrenzung.
Allen Genannten gemeinsam ist der Versuch, das Konzept des
islamischen Jihad in eine zivilere Sprache zu übersetzen und so für
soziale und antikapitalistische Bewegungen zu öffnen. Islamistischer
Terror wird durchweg als legitime Reaktion auf Unterdrückung aus der
Position der Schwäche legitimiert, während eine "gerechte Welt" nur
durch eine Niederlage der "World Order" und eine Vernichtung Israels
erzielt werden könne. Anschläge gegen Zivilisten werden abgelehnt,
der Terror gegen Israelis, denen als Teil des "zionistischen
Projekts" kein Zivilistenstatus zuerkannt wird, unterstützt. Damit
benennen sie zugleich auch die Schnittmenge zwischen den
arabisch-nationalistischen und islamistischen Bewegungen, die im
nahen Osten in den vergangenen Jahren bis zur Ununterscheidbarkeit
verschmolzen sind. In den palästinensischen Intifada-Komitees, wo
Hamas und PFLP eng zusammenarbeiten, wie auch in Saddam Hussein, der
einen angeblich säkularen Panarabismus mit religiösen
Heilsversprechen und der Finanzierung von Selbstmordattentätern zur
"Befreiung der Heiligen Städten von Al Quds" verband, hat diese
unheilvolle Verschmelzung in jüngster Zeit ihren Ausdruck gefunden.
So wird auf der Konferenz im Deutschen Orientinstitut
in Beirut auch ein Vertreter der "irakischen Opposition" auftreten.
Oppositionell ist Abd al-Amir al-Rikabi freilich nur gegen das
amerikanische Besatzungsregime, während er unter Saddam Hussein zu
jenen Exilanten gehörte, die von der irakischen Staatsführung als
genehme Opposition hofiert wurden. Nach einem Besuch in Bagdad 1992
lobte der damalige irakische Außenminister und spätere Vizepräsident
Tarik Aziz den "Oppositionellen", der eine "echte nationale
Opposition" repräsentiere und nicht mit äußeren Kräften
zusammenarbeite.[9] Im Oktober 2002 wurde Rikabi mit anderen
Exilirakis von Saddam Hussein persönlich nach Bagdad geladen, um
dort an einer Regierung der "nationalen Einheit" zu
partizipieren[10]. Mit einer milieutypischen Hypokrisie erklärte
Rikabi seinerzeit:: "Unglücklicherweise habe ich alles, was es
braucht, um einer nationalen Einheitsregierung vorzusitzen. Ich bin
ein schiitischer Linker, akzeptiert von der Linken, ich bin Araber,
bin aktiver Schriftsteller und habe arabische Beziehungen. Ich sage
'unglücklicherweise', weil ich Journalist bin und kein Staatsmann.
Wenn man mich aber fragt, ob ich die Aufgabe übernehmen wolle, einer
Regierung der nationalen Einheit vorzusitzen, dann werde ich diese
Mission erfüllen." Selbst wenn man das amerikanische Engagement im
Irak unter allen anderen Aspekten ablehnte, so müsste man doch als
Segen bezeichnen, dass eine derartige Regierung unter Rikabi niemals
zustande kommen konnte. So
versammeln sich unter der Schirmherrschaft der Friedrich Ebert
Stiftung im Deutschen Orientinstitut von Beirut panarabische und
islamistische Ideologen zu "Dialog" und "Annäherung". Mit der
Ausnahme des syrischen Philosophieprofessors Tayyib Tizini, der
letztes Jahr demokratische Reformen und eine Liberalisierung in
Syrien forderte, nimmt nicht ein einziger der liberalen arabischen
Intellektuellen Teil, die im vergangenen Jahrzehnt eine grundlegende
Kritik an den ideologischen Prämissen nahöstlicher Herrschaft
formuliert haben. Auch eine Frau sucht man, mit Ausnahme deutscher
Orientalistinnen, ebenso vergeblich wie die Thematisierung von
Frauenrechten in islamischen Gesellschaften.
Zwar taucht Europa als Dialogpartner des Islam in der
Ankündigung auf, andere als deutsche, österreichische oder
französische Wissenschaftler sucht man allerdings vergebens, wie in
Reden Schröders besteht "Europa" auch in Beirut aus jenen Ländern,
die sich vehement gegen den militärischen Sturz Saddam Husseins
gewehrt haben. Solcherart ist
zumindest die im Titel angekündigte "Annäherung" bereits
vorauseilend vollzogen worden. Angesichts einer derartigen Tagung
macht es also durchaus Sinn, sich erneut Edward Saids Verteidigung
ins Gedächtnis zu rufen. Steuern nämlich zahlt man nicht nur für
Geheimdienste, sondern auch für die aus Bundesmitteln
mitfinanzierten Institutionen, die den Islamisten in Beirut
Unterkunft bieten. So offen, wie dies geschieht, ist jede
geheimdienstliche Arbeit ohnehin überflüssig.
Zuerst erschienen bei:
www.juedische.at
Anmerkungen:
[1] Martin Kramer: Ivory Towers on Sand: The
Failure of Middle Eastern Studies in America. Washington 2001.
[2] Podiumsteilnehmer Ali Fayyad vom Mitveranstalter des CCSD wurde
2002 in Jordanien unter dem Verdacht festgenommen für die Hizbollah
klandestin zu arbeiten.
http://www.moqawama.org/archive/drep_2002/mar/0309.htm
[3] Das Programm der Konferenz kann eingesehen werden unter:
http://www.oidmg.org/page_tmp/oib/TheIslamicWorld.htm
[4] Der Text ist in englischer Sprache abrufbar unter
www.ii-pt.com
[5] Reuven Paz : Is Hamas Reevaluating the Use of Terrorism?
http://www.ict.org.il/articles/reevaluation.htm
[6] Bill Samii: Israel's 'Annihilation' Demanded at Tehran
Conference, Radio, Free Europe September 01, 2003
[7]
http://southmovement.alphalink.com.au/southnews/Jan23.htm
[8] Interview in: Yemen Times Vol. 13 vom 2. 3.2003.
[9]
http://www.arabicnews.com/ansub/Daily/Day/021024/2002102416.html
[10] So die Jordanische Zeitung Al-Arab al-Yum von 23. 10. 2003
hagalil.com
09-02-2004 |