Berechtigte Kritik an Israel?:
Uri Avnery und der Antisemitismus
Von Karl Pfeifer
Am 13. Mai strahlte das staatliche Wiener Radio Ö1
ein von Michael Kerbler geführtes einstündiges Interview mit Uri
Avnery aus. Das ganze Interview verdiente eine kritische Analyse,
doch würde diese leider den mir gegebenen Rahmen sprengen.
Michael Kerbler erinnert an die Antisemitismus
Konferenz in Berlin und konstatiert: "...Antisemitismus in Europa
wächst. Antisemitische Vorfälle nehmen zu, das ist dokumentiert.
Europa wird handeln müssen."
Uri Avnery: "Was man heute Antisemitismus nennt sind
– meiner Ansicht nach – drei vollkommen verschiedene Geschehnisse.
Es gibt eine berechtigte Kritik an Israel. Leute in Europa, die das
selbe sagen wie wir in Israel sagen, werden automatisch als
Antisemiten bezeichnet. Das ist einfach eine Verleumdung.
Dann haben wir die echten Antisemiten, die immer da sind und die den
Mantel der Kritik anziehen aber in Wirklichkeit überhaupt kein
Interesse an Israel haben. Es sind die alten antisemitischen
Aussprüche, manche sind verdeckt, manche offen und das hat mit
Israel überhaupt nichts zu tun.
Es ist nur paradox, weil eben Theodor Herzl, der ein Wiener
Journalist und Gründer des modernen Zionismus war, den Zionismus
erfunden hat als Antwort auf Antisemitismus. Und seine Idee war alle
Juden, die wollen, gehen in den Judenstaat, die anderen werden
bleiben wo sie sind und werden sich assimilieren und als Juden
verschwinden und damit wird der Judenstaat das Problem des
Antisemitismus lösen. Was wir jetzt haben ist, dass gerade Israel zu
einer Neubelebung des Antisemitismus in Europa und auch anderswo
führt. Ein Paradox."
Avnerys exkulpiert die europäischen "Antizionisten",
die seine Kritik bereitwillig übernehmen, und bestätigt ihnen
pauschal nichts mit Antisemitismus am Hut zu haben.
Wie so oft verwechselt Avnery auch diesmal Ursache
und Wirkung. Nicht Israel führt "zu einer Neubelebung des
Antisemitismus in Europa und auch anderswo", sondern der Vorwand
Israel ermöglicht es manchen Antisemiten Agitation zu betreiben. Da
sei beispielsweise nur an Mikis Theodorakis, der Perikles den
jüdischen Stammvätern gegenüberstellte und an Jose Saramago
erinnert, der Ramallah und Jenin mit Auschwitz verglich. Das ist
linker Antisemitismus und hat nichts mit Israelkritik zu tun.
Gerade in den postnationalsozialistischen Staaten ist
das Bedürfnis nach Umschuldung riesengroß und der Erfolg Uri Avnerys
hier dürfte nicht nur mit seinen guten Deutschkenntnissen sondern
auch damit zu tun haben, dass sich Mainstream-Medien und
"Antizionisten" gerne auf ihn berufen, wenn sie sich wieder einmal
auf Israel einschießen. Haben wir schon erlebt, dass diese
"Friedenskämpfer" Demonstrationen zum Protest gegen den jetzt von
Arabern im Sudan begangenen Völkermord an Schwarzafrikanern
durchgeführt hätten? Wird dem Genozid in Sudan und der Vertreibung
von Hunderttausenden Schwarzafrikern in ständig Israel
kritisierenden Medien der gleiche Raum gewidmet, wie der Zerstörung
eines Tunnels und eines Hauses in Rafah? An diesem Beispiel wird die
ganze Heuchelei gewisser Mainstream Medien und der "Antizionisten"
klar.
Doch das allerverblüffendste ist, wie Uri Avnery den
spezifischen Antisemitismus junger Moslems in Frankreich leugnet
bzw. verharmlost. Das hört sich so an:
"Und dann haben wir eine dritte Erscheinung, die mit
Antisemitismus überhaupt nicht zu tun hat, da alles zusammengeworfen
wird. Die jungen Moslems aus Nordafrika in Frankreich und anderswo,
die sich emotionell am israelisch-palästinensischen Konflikt
beteiligen, greifen die Juden an, die sich total mit Israel
identifizieren und sie haben so einen Kleinkrieg zwischen Juden und
Arabern, der nichts ist als eine Projektion des
israelisch-palästinensischen Konflikts. Das hat mit Antisemitismus
überhaupt nichts zu tun aber wenn man diesen dazuzählt, dann haben
sie plötzlich eine neue riesige Erscheinung von antisemitischen
Ereignissen, das ist aber ein optischer Irrtum. Es hat nichts damit
zu tun. Wenn junge Juden und Moslems in Pariser Vororten sich
bekämpfen, was hat das mit Antisemitismus zu tun? Überhaupt nichts.
Im Gegenteil, die Antisemiten die Hakenkreuze in jüdischen
Friedhöfen [auf Grabsteine] malen, malen auch die Hakenkreuze in
islamischen Friedhöfen."
Hier unterschätzt Uri Avnery - weil nicht sein kann,
was nicht sein darf - die Bedrohung der Juden in den Vorstädten, die
Abfackelung von Synagogen und jüdischen Einrichtungen in Frankreich
und die Aggressionen gegen Juden nur weil sie Juden sind mit dem
"Argument", diese "greifen die Juden an, die sich total mit Israel
identifizieren". Das ist eine de facto Verharmlosung der Situation.
So wurde erst unlängst ein junger Jude mit Kippa mit dem Ruf "Allahu
Achbar" von einem jungen Moslem in Paris niedergestochen.
Wenn die Juden Europas pauschal für die Politik
Israels in Geiselhaft genommen werden, dann ist das – auch wenn Uri
Avnery dafür Verständnis aufbringt – Rassismus. Alle Daten zeigen,
dass die meisten antisemitischen Taten in Frankreich nicht mehr von
Rechtsextremisten, sondern von jungen Moslems begangen werden. Wer
die
Berichte aus Frankreich in "Hagalil" liest, wird den
klaffenden Abgrund zwischen der Realität und der hier geäußerten
Meinung Uri Avnerys bemerken.
hagalil.com
11-06-2004 |