Das Recht zu existieren:
Vorwürfe und Antworten
Von Karl Pfeifer
Der Antisemitismus ist eine schwerwiegende Kränkung des
Menschen im allgemeinen. Die Juden wurden verfolgt, weil sie es waren, und nicht
auf Grund ihrer Meinungen oder ihres Glaubens: Die Existenz selbst wurde ihnen
verweigert, man warf ihnen nicht vor, dies oder jenes zu äußern, man warf ihnen
vor, zu sein. Bis zu einem gewissen Punkt erstreckt sich diese Verweigerung noch
heute auf die Existenz des Staates Israel. Man glaubt Israel eine
außerordentliche Konzession, ein Gratisgeschenk zu machen, wenn man ihm das
Recht einräumt, zu existieren....., als wäre diese Anerkennung nicht das
elementare und vitale Recht, das jeder Mensch bei jedem anderen Menschen zu
respektieren hat, und zwar ohne Verhandlungen irgendwelcher Art, ohne
irgendeinen Anspruch auf Dankbarkeit.
Vladimir Jankélévitch: "Das Verzeihen"
Suhrkamp Verlag, 2003, ISBN 3-518-58365-4, Seite 247
Der "letzte, echte Zionist", wie ihn einer seiner israelischen
Freunde nannte, der Nahostexperte Dr. John Bunzl - erwartet von mir eine
Distanzierung von meiner Vergangenheit als Soldat im israelischen
Unabhängigkeitskrieg, und schon einen Tag später war ich für Herrn Baruch
Wolski, den Sprecher des Wiener Kulturvereins Kanafani ein "militanter Zionist",
weil ich in der Hagana (um präziser zu sein, im Palmach) und in der israelischen
Armee vor mehr als fünf Jahrzehnten gedient habe. Es würde beiden nicht
einfallen, einem Österreicher, der vor sechs Jahrzehnten in der Wehrmacht
gedient hat, deswegen einen Vorwurf zu machen. Aber es geschieht mir schon
recht, wieso habe ich mich zehn Monate nach Ende des Zweiten Weltkriegs, als
noch nicht 18jähriger zu einer Elitetruppe der Hagana gemeldet? Wieso haben wir
nicht die 1947/48 ins Land strömenden arabischen Armeen als Befreier begrüßt?
Univ.-Doz. Dr. John Bunzl macht mir sogar die Nakba (Katastrophe) zum Vorwurf,
das heißt, dass die Palästinenser den Teilungsplan der Vereinten Nationen
(29.11.47) nicht akzeptiert und gleich danach begonnen haben auf Juden Anschläge
zu verüben und zu schiessen. Er will diese Vorgeschichte der Nakba nicht zur
Kenntnis nehmen, diese wertet er - wenn er sie überhaupt erwähnt - als
"zionistische Narrative" ab.
Ich habe noch in Ungarn, im Herbst des Jahres 1942 von den
Gaskammern erfahren, in denen Deutsche und Österreicher Juden massenhaft
ermordeten. Doch das Ausmaß dieses Massenmordes wurde mir erst nach dem Sieg der
Alliierten bewußt, als ich erfuhr, dass einige Dutzend meiner nächsten
Angehörigen in diesen Gaskammern ihr Leben verloren. Aber das war nicht alles.
Es kamen die Überlebenden ins Land, die berichteten, welchen Anteil die
"kleinen, anständigen Leute", beim Raub und Mord hatten. Sicher gab es auch den
Kinderglauben, dass all das ein direktes Resultat des "Kapitalismus" gewesen
wäre. Doch bald erfuhren wir aus dem Mund des legendären Partisanenführers Abba
Kovner, dass es in den russischen Wäldern auch russische Partisanengruppen gab,
die den jüdischen Gruppen ihre Waffen abnahmen und noch ärgeres antaten. Was
haben wir dabei gefühlt? Hat das unseren Glauben, an die "Welt des Morgens", wie
man damals in dieser poetischen Sprache, auf Hebräisch sagte, erschüttert?
Keinesfalls. Wir erhielten folgende Erklärung: Die Sowjetunion und die
kommunistischen Parteien haben in den meisten Fragen recht, ausgenommen
natürlich die "jüdische Frage", die von unseren Ideologen besser analysiert
wurde.
Doch es ging natürlich primär nicht um Ideologie, sondern um das
Schicksal der paar hunderttausend Überlebenden in Europa, die nicht mehr in ihre
"Heimat" zurückkonnten oder wollten. Man darf nicht vergessen, dass es in
einigen Ländern Osteuropas noch nach 1945 blutige Pogrome gegen Rückkehrer gab.
Diese Menschen brauchten eine Heimat. Und es gab nur eine Gesellschaft, die
bereit war sie aufzunehmen. Das war der "Jischuv", die ungefähr 600.000 Juden,
die im Land Israel damals lebten. Man vergesse in Österreich auch nicht, welche
Anstrengungen dieses "erste Opfer des Nationalsozialismus" unternahm, damit die
Juden nicht zurückkehren bzw. damit die größte und wichtigste Errungenschaft der
nazistischen Volksgemeinschaft erhalten bleibe, nämlich das Land so weit als
irgendwie möglich "judenrein" zu halten und das Geraubte zu behalten.
Man vergesse auch nicht: Vor dem Holocaust war trotz aller
Verfolgung der Fortbestand der Juden, die zerstreut unter den Völkern lebten,
nicht gefährdet. Der Massenmord an sechs Millionen Juden änderte die Lage. Wir
wurden noch zu "Achvat amim" zur Brüderschaft der Völker erzogen. Doch mußten
wir sehr bald erfahren, dass man eine solche nicht erzwingen kann. Uns war klar,
nie wieder sollten Juden wehrlos sein. Vielleicht war auch der Wunsch Abenteuer
zu erleben, ein Motiv meiner Gruppe sich gerade bei einer Elitetruppe zu melden.
Auch das ist nur allzu menschlich. Erst vor kurzem brachte eine Wiener Gruppe
Verständnis für einen arabischen Holocaustleugner und Mitarbeiter
neonazistischer Medien auf und zwar mit dem Argument, dass die arabische Welt am
Holocaust keine Schuld trägt. Indessen war drei Jahre nach Ende des Zweiten
Weltkrieges bekannt, dass Polen seine Grenzen auf ein Gebiet verschoben hatte,
das zumindest seit sechs Jahrhunderten deutsch war. Da mußten Millionen Deutsche
weg und die waren nicht nazistischer als zum Beispiel die Österreicher oder die
Westfalen. Natürlich geschah das erst nachdem die Sowjetunion ihre Grenze um
hunderte Kilometer in den Westen verschoben hatte und Millionen Polen Platz
machen mussten. Zur gleichen Zeit kam es zu einer wahren Völkerwanderung in
Indien und Pakistan, als dieser Kontinent in zwei Staaten geteilt wurde. Hat
schon jemand großzügig erklärt, Pakistan hätte ein Recht auf Existenz, obwohl
dieser Staat sicher künstlich ist und nur auf Religionszugehörigkeit gründet?
Millionen Hindus, Sikhs und Moslems flüchteten und Millionen verloren nicht nur
ihr Hab und Gut, sondern auch das Leben. Gibt es denn irgend jemand in der Welt,
der die Forderung erhebt, die vierte, fünfte oder sogar sechste Generation von
Nachkommen derer, die damals flüchteten, das Recht auf Rückkehr haben müßten?
Wir hören immer nur von hunderttausenden "palästinensischen Flüchtlingen", aber
kein Wort über die gleiche Anzahl von Juden aus arabischen bzw. moslemischen
Staaten, die in Israel - mit allen Problemen - aber doch integriert wurden. Wer
von denen, die über die angeblichen Vorrechte der Aschkenazim spricht, erwähnt
die Tatsache, dass heute ein großer Teil der israelischen Juden aus arabischen
Ländern stammt?
Wir haben es also auch hier mit einem Bevölkerungsaustausch zu
tun, der zu der damaligen Zeit keine Besonderheit war. Während jedoch Israel
sich bemühte diese Menschen zu integrieren, haben die arabischen Staaten alles
unternommen, um ihre arabischen Brüder und Schwestern in Baracken und schäbigen
Flüchtlingslagern zu halten, um sie von der UNWRA notdürftig ernähren und
kleiden lassen. Das Schicksal dieser Menschen war ihnen vollkommen egal, im
politischen Schachspiel waren sie nur wertvoll als Berufsflüchtlinge, deren
Hauptaufgabe es war Israel anzuklagen. Und dies obwohl Israel angeboten hat,
sich an der Ansiedlung der Flüchtlinge in den arabischen Ländern zu beteiligen.
Sicher hat Israel einen Teil der Verantwortung allein durch sein Zustandekommen
für dieses Problem zu tragen, aber ungleich schwerer lastet die Schuld auf die
arabischen Regierungen, die diese armen Menschen in Elend hielten und halten.
Das wirtschaftlich schwache Griechenland hat nach dem Ersten
Weltkrieg eine Million Griechisch-Orthodoxe, die von Türken vertrieben worden
sind, aufgenommen. Finnland, das 1940 einen beträchtlichen Teil seines Gebietes
an die Sowjetunion verlor, hat die Bewohner dieses Gebietes, die nach Finnland
flohen in fünf Jahren in den Wirtschaftsprozeß eingegliedert. Man hat
ausgerechnet, dass mit einem Bruchteil des Geldes, das die arabischen Staaten
für Kriege gegen Israel ausgegeben haben, alle Flüchtlinge und deren Nachkommen
längst hätten als vollwertige Bürger integrieren können.
Die Fronten laufen nicht so einfach, dass man immer nur für die
unterentwickelten Ländern Partei nehmen dürfte. Weil die Araber - trotz immensen
Bodenschätzen - in solchen Ländern leben, sind sie noch nicht die reinen Engel.
Gerade der Herr Univ.Doz. Dr. John Bunzl erzählt immer wieder,
dass sich schon Ende des 19. Jahrhunderts sich viele Sozialisten, unter ihnen
auch viele Juden, die in Osteuropa im "Bund" organisiert waren, gegen das
zionistische Programm aussprachen. Es sei, so behaupteten sie, trotz
sozialistischer Zielsetzungen, dennoch im ganzen bürgerlich und reaktionär, weil
es vom schon erreichten Internationalismus wieder zurücklenke. Indem es daran
erinnere, daß Judentum nicht nur eine Religion sei, erschwere es die jüdische
Assimilation. Endlich entziehe es der europäischen Arbeiterbewegung Kräfte, die
dem Aufbau in Palästina, aber nicht dem in Euopa nützen würde.
Dieser antiquierte Antizionismus wurde durch den
Nationalsozialismus fürchterlich widerlegt. Hätten mehr Juden auf den Rat der
Zionisten gehört und nach Palästina übersiedelt, so wären nicht nur sie gerettet
gewesen, sondern das jüdische Gemeinwesen hätte auch mehr Verfolgte aufnehmen
können. Aber auch ohne Nazi wäre dieser internationalistische Antizionismus im
Unrecht. Internationalismus bedeutet für die europäischen Nationen, sie bleiben
was sie sind, nur das sie mit ihren Nachbarn in Frieden leben. Für das
europäische Judentum dagegen bedeutet dieser Internationalismus Selbstauflösung.
Wenn dem Zionismus einige von sozialistischer Seite Nationalismus vorwerfen, so
ist dies ein Beispiel mehr für die Unfähigkeit, sich in eine andere
Geschichtslage zu versetzen. Nationalisten betonen eine bestehende, nicht
gefährdete Gemeinschaft und schätzen andere Nationen gering. Der Zionismus aber
hat ein vom Untergang bedrohtes Volk gerettet, ja eigentlich wiederhergestellt,
und wollte einem bis dahin diskriminierten und verfolgtem Volk Normalität
verschaffen.
Das ist bislang nicht gelungen. Es ist eine beliebte Methode
autoritärer Systeme angestaute Aggressionen auf einen "Feind" nach außen zu
lenken. Wie der Antisemitismus den Nationalsozialismus dazu diente, Widersprüche
des Systems zu übertünchen, so dient der arabische Antiisraelismus dem gleichen
Zweck. Wie er die unter sich zerstrittenen arabischen Staaten aneinander bindet,
so bindet er die arabischen Massen gegen ihr eigenes Interesse an ihre
Feudalherren, Theokratien und Militäroligarchien. Er blockiert damit die längst
überfällige Reformen.
Da andererseits die Ungelöstheit ihrer eigenen Probleme verdrängt
werden und sie zugleich in Israel einen effizienten Staat vor sich sehen, der
für sie einen beständigen Vorwurf bedeutet, steigert sich der Haß gegen Israel.
Deswegen wird ausgerechnet Israel von ihnen als rückständig, imperialistisch,
rassistisch und kolonialistisch genannt, während sie vorgeben, die wahre
Fortschrittlichkeit wäre erst von einem arabischen Palästina zu erwarten.
hagalil.com
15-07-2003 |