"…in ganz besonderem Maße wehlos":
Kritische Presseschau zum Fall "Scheich Yassin"
Von Markus Ströhlein
März 2004, Empörung in der deutschen Presse: "Mord"
mit "geradezu systematisierter Heimtücke" stürzt Schreiber der FAZ
und der TAZ, des Spiegel, der SZ und der Frankfurter Rundschau in
tiefe Abscheu, "noch monströsere Exekutionen" der "Killer" gilt es
zu verdammen – doch Assoziationen zum Massaker von Madrid führen auf
die falsche Fährte. Das Szenario für derlei journalistische
Superlative lieferte mit der Militäraktion zur Tötung des
Hamas-Führers Scheich Yassin die laut 65 % der Deutschen "größte
Bedrohung für den Weltfrieden": Israel.
Doch schnell erklärt sich die Entrüstung angesichts
des respektablen Rufs Yassins unter bundesdeutschen Journalisten.
Gern ist vom "geistlichen Führer" (TAZ, Neues Deutschland), vom
"geistigen und politischen Oberhaupt" (Spiegel) oder gar dem
"spirituellen Guru" (Frankfurter Rundschau) die Rede. Bei derlei
esoterischer Euphemisierung bleibt natürlich wenig Platz für den
Judenhasser Yassin, dessen Vordenkereien sich in ausgebrannten
Bussen und unzähligen toten Israelis manifestierten.
Die Verbindung seiner Worte mit den Taten seiner
Handlanger ringt man sich höchstenfalls in Nebensätzen ab, wenn mit
allem Bedacht von "geistiger Anstiftung, mutmaßlich ausdrücklich,
jedenfalls durch Hetzreden, mit Sicherheit durch Nichtdistanzierung
von solchen Taten" (FAZ) die Rede ist. Aber selbst wenn Yassin "kein
Friedensengel" (Neues Deutschland) war, äußerte er "für einen
Hamas-Führer noch moderat anmutende Sätze" (Frankfurter Rundschau).
Und wo sich selbst im schlimmsten Hass noch der Wille zur
Moderatheit entdecken lässt, ist es bis zur Opferlammterminologie
der FAZ nicht weit: "Das Opfer Yassin, fast blind und
querschnittsgelähmt, war in ganz besonderem Maße wehrlos."
Bedient man sich, wie im Fall des Spiegel, wenigstens
einmal annähernd treffender Worte, so doch nur zum Schwenk auf den
"wahren" Schuldigen: "Israelische Raketen…haben heute Nacht einen
der schlimmsten Hetzer des palästinensischen Terrors zerrissen. Und
nebenbei die Hoffnung auf eine baldige Entspannung. Der Konflikt ist
außer Kontrolle geraten." Ähnlich sieht es das Neue Deutschland: Die
"israelische Regierung kennt offenbar keine Grenzen mehr." In wie
fern ein Konflikt unter Kontrolle ist oder Grenzen besitzt, in dem
sich Frauen und Jugendliche bereitwillig in die Luft sprengen, um
möglichst viele jüdische Menschen zu töten, vermögen wohl nur die
Journalisten besagter Blätter zu beantworten. So wenig
besorgniserregende Normalität scheint der palästinensische Terror zu
sein, dass die Auseinandersetzung mit der beständigen Bedrohung für
die Einwohner Israels zum Hirngespinst verharmlost werden kann:
"Sharon suggeriert, sein Land befinde sich im Krieg gegen den
Terror" (Süddeutsche Zeitung). Der wirklichen Bedrohung sieht sich
demnach die palästinensische Seite durch die Maßnahmen der
israelischen Regierung ausgesetzt, denn "für einen lebensfähigen
Palästinenserstaat ist in diesen Plänen kein Platz" (Spiegel). Und
wo Israel der Existenzbedrohung der Palästinenser bezichtigt wird,
wandeln sich deren Terrorakte zu "unentschuldbaren Exzesstaten eines
gerechtfertigten Widerstands" (FAZ), wird Massenmord zum lediglich
übertriebenen Mittel eines legitimen Zwecks verharmlost.
Nicht umsonst liest man wenig über die ideologischen
Hintergründe von Hamas. Über Randnotizen derart, dass "Hamas und
andere Gruppen Israel zerstören wollen" (TAZ) oder ihre "Ideen auf
denen der Moslemischen Bruderschaft in Ägypten fußen" (Frankfurter
Rundschau), reicht die Leistung einer Presse nicht hinaus, die sich
ansonsten ihrer Background-Recherche rühmt. Würde man sich mit der
Moslemischen Bruderschaft beschäftigen, die dem Islamismus den
Antisemitismus als tödliches Herzstück eingepflanzt hat, oder einen
Blick in die Charta der Hamas und somit in deren Manifest zum Mord
an den Juden werfen, könnte man den Taten der Hamas und den Worten
Scheich Yassins nur eine Bezeichnung geben: vernichtungswütiger
Antisemitismus. Doch wer wie
ein Großteil der deutschen Berichterstatter und Kommentatoren vom
Judenhass der Djihadisten und ihres Scheichs schweigt, kann vor
allem auch eines: vom eigenen Antisemitismus schweigen. Der kann
unter Aufbietung von Experten Israel als Feind des Völkerrechts
stigmatisieren, selbst wenn der Vorgänger eben jenes Völkerrechts
die Ermordung von 6 Millionen Juden nicht verhindern konnte und
jetziges Recht nicht im geringsten zur Eindämmung des
palästinensischen Terrors beiträgt. Der kann wie der Spiegel eine
"internationale Intervention" fordern und damit sowohl die Aufhebung
der staatlichen Souveränität Israels als auch den Einsatz deutscher
Soldaten um und möglicherweise sogar in Israel. Der kann die
Regierung eines Staates, in dem sich die ultimative Forderung "Nie
wieder Vernichtung" manifestiert, der "gezielten Vernichtung" (SZ)
bezichtigen und so per Jargon auf eine Stufe mit den
nationalsozialistischen Tätern stellen. Der kann die israelische
Regierung der "Reanimalisierung des Konflikts" (FAZ) beschuldigen
und so in gepflegter Ausdrucksweise endlich wieder einmal Juden als
Tiere beschimpfen. Doch selbst wenn sich die derart schreibende
Zunft des Beifalls von 65% der Deutschen sicher sein kann, bleibt
ihre sogenannte "Israelkritik" nur eines: Antisemitismus.
hagalil.com
16-03-2004 |